abendlichen Zahnseidenritual durch war.
Ich nenne mich nämlich gar nicht Maxine, wenn ich mit mir allein bin. Ich finde, Mäxchen klingt zärtlicher, vertrauter, einfach weniger förmlich. ‚Maxine Sawitzki’ oder gar ‚meine liebe Maxine’ nenne ich mich nur, wenn ich wirklich ein ernstes Wörtchen mit mir zu reden habe. Dann weiß ich aber auch gleich, dass ich mich besser warm anziehen sollte.
Ganz so weit war es diesmal noch nicht.
„Ich kenne diesen Blick!“, sagte ich jedoch streng. „Schlag dir den Kerl bloß aus dem Kopf! Wenigstens erst mal für ein paar Tage.“
Ich kannte den Typen doch kaum. Kein Grund also, seinetwegen schon unruhig zu schlafen. Seine letzten Vorgänger hatten sich nach genauerer Prüfung leider alle als ziemliche Luschen entpuppt, und ich war schon am Zweifeln, ob ich vielleicht an meinen inneren Parabolantennen was nachjustieren lassen sollte, mit denen mein weibliches Ortungssystem die Umgebung laufend auf die Annäherung eines oder mehrerer checkenswerter Kerls abtastete. Naja, mehrere auf einmal waren es in Wirklichkeit noch nie gewesen. Aber einzelne erwähnenswerte Exemplare hie und da schon.
Zuletzt aber nicht mal mehr das. Ehrlich gesagt, war die Trefferquote schon seit einiger Zeit total im Keller. Wenn es so weiterging, musste ich die nach oben offene Skala unten dringend ins Unendliche erweitern.
Schauderhaft!
Mein Spiegelbild sah ein bisschen missmutig drein. Unzufrieden.
Kein Wunder! Ich war auch unzufrieden!
Nicht mit dem, was der Spiegel mir zeigte. Zwar gehöre ich bestimmt nicht zu den Frauen, die an keinem Spiegel vorbeigehen können, ohne sich zu vergewissern, wer denn die Schönste ist im ganzen Land. Aber die fidele junge Frau im Spiegel hatte ich trotzdem schon immer gut leiden können. Schön, die Lippen waren vielleicht ein bisschen zu voll, um perfekt zu sein. Als Glamour-Schönheit mit Handtuchsilhouette und Kindermund wäre ich wohl nicht grade durchgegangen. Doch um den Jungs auf der Straße nach Belieben den Kopf zu verdrehen, dazu reichte es gerade noch.
Noch?
Wieso noch?
Ich drehte den Kopf ein wenig und inspizierte mein rechtes Auge. War das etwa ein Fältchen, da an der Seite? Nein, nur ein Schatten. Puh!
„Alles im Lack!“, sagte ich aufmunternd zu der kleinen Hübschen im Spiegel. „Garantiert 1a Frischfleisch – musst dir keine Gedanken machen!“
Keine Gedanken machen?
Auf diese Worte hatte ich von jeher mit Alarm reagiert. Wenn dir jemand sagt, du sollst dir keine Gedanken machen, solltest du dir so gut wie sicher mal ganz rasch allergründlichst Gedanken machen.
Gab es vielleicht etwas, das ich nicht wahrhaben wollte?
Waren da vielleicht doch irgendwo verborgene Runzeln zu finden?
Binnen weniger Atemzüge sah ich meinen knackigen Körper der Vergänglichkeit anheimfallen. Gesicht, Hals und Brüste welkten in Sekundenschnelle, das herrliche dunkelblonde Haar mit dem royalen Rostton wurde matt und grau. Die grade noch verlockenden Lippen waren bald ein Schatten ihrer selbst und die sonst vor Unternehmungslust sprühenden Augen waren nun dunkle kleine Punkte ohne Hoffnung und ohne jede Zukunft.
Der Schock packte meinen ganzen Körper, und im Nu ging mein Atem stoßweise und flach. In einer Vision, wie ich sie gar nicht leiden kann, sah ich mich krächzend beim zahnlosen Lutschen meines Gnadenbrots in einem tristen Altersheim, wo ich mich mühsam am Stock vorwärtsschleppte und beharrlich versuchte, die apathisch herumlungernden gleichaltrigen Herren von den kläglichen Resten meiner einstigen Reize zu überzeugen.
Ein Alptraum!
Ich drehte mein Gesicht vor dem Spiegel mal zur einen, dann zur anderen Seite, tastete mit langen Fingern darüber und versuchte panisch herauszufinden, was Wahn und was Wirklichkeit war. Ich sah sie deutlich, all die Falten, die Runzeln, die hässlichen Krähenfüße, und doch war ich nicht sicher, ob sie nun da waren oder nicht.
Sicher war ich nur, dass ich nicht das übelste aller Schicksale erleiden wollte. Ich wollte nicht das kokette Luder von Bau 13 im Sankt-Antonius-Stift werden, bloß weil ich meine Chancen nicht genutzt hatte, solange ich noch aus dem Vollen hatte schöpfen können. Und das war genau jetzt.
Jetzt war ich in der Form meines Lebens. Jetzt konnte ich jeden halbwegs knackigen Kerl haben, der mir über den Weg lief. Was die Angelegenheit freilich auch schon wieder kompliziert machte.
Denn ich wollte ja gar nicht jeden. Ich wollte einen ganz bestimmten.
Ausgerechnet jetzt kam ich zu der Überzeugung, dass sich dieser ganz bestimmte Kerl, dieser herzlose Knilch nicht einmal melden würde. Natürlich wusste ich, dass ich schon halb verloren hatte, wenn ich ihn anrief. Nein, ich musste umgekehrt ihn dazu kriegen, dass er es bei mir versuchte!
Ich wusste doch, dass er anfällig war. Ich hatte seine Blicke im Zoorestaurant gesehen, als mich die gefesselten Hände gezwungen hatten, meine Frontpartie so prall und herausfordernd darzubieten, wie sie mir eben gewachsen war. Und ich wusste nur eines: Der wollte damit spielen!
Ich hatte gespürt, wie sich seine Blicke dieser prachtvollen Ausbuchtungen bemächtigt hatten, und wie er sich verlangend ausgemalt hatte, die beiden Dinger mit seinen schönen, kräftigen, großen Händen zu umspannen. Wenn ich daran zurückdachte, war es bei aller Bloßstellung gar nicht so schlimm gewesen. Es hatte schon auch ein wohliges Kribbeln verursacht zu sehen, dass ihn meine unübersehbaren Vorzüge keineswegs gleichgültig gelassen hatten. Was ja wohl auch noch schöner gewesen wäre!
Also musste ich ihm nur noch Gelegenheit geben, seiner Wollust zu erliegen. Sobald er mich einmal von meinen zahlreichen besten Seiten erlebt hatte, würde er dafür reif sein. Aber wie sollte ich das anstellen?
3
Von Amts wegen waren wir nicht gehalten, bei Ortsterminen Uniform zu tragen. Eine wirkliche Uniform hatten wir Schreibtischtäter ja gar nicht. Dennoch hatte ich wie meist eines meiner dunkelblauen Kostüme angelegt, die einer Uniform nicht nur wegen der Applikationen an den Ärmeln zum Verwechseln ähnelten. Die hatte ich selbst anbringen lassen, um genau das zu bewirken, weil ich es satt gehabt hatte, im Außendienst nicht für voll genommen zu werden, nur weil ich eine Frau war. Und eine junge dazu.
Dazu hatte ich Pumps mit mittelhohen Absätzen gewählt, weil die beim Gehen und Stehen die Figur wunderbar strafften, was sich gerade im Gespräch mit aufsässigen Untertanen sehr bewährt hatte. Den richtigen Eindruck zu machen, ist manchmal einfach alles.
Dann noch die Haare mit zwei silbernen Spangen hochgesteckt und fertig war die unnahbare Bürokratenärschin, die ich darstellen wollte, damit ich nicht jede idiotische Kleinigkeit ausdiskutieren musste. Wer sich kompromisslos und ekelhaft gibt, wird von allen mit Samthandschuhen angefasst, auch wenn das etwa so sinnvoll ist wie ein wasserdichtes Nudelsieb. Jedenfalls wurde ich als Amtsperson von all diesen kleinmütigen sterblich Geborenen durch meine kleine Maskerade viel weniger belästigt als vorher.
In meiner Anfangszeit war ich noch naiv gewesen. Hatte mich umgänglich und verständnisvoll gegeben, stets bemüht, die Dinge wie unter normalen Menschen zu regeln. Doch das hatte dazu geführt, dass bei jedem meiner Termine dreimal so viel diskutiert wurde wie bei Kollegen, dass ich fünfmal so viele Einwände wegen nichts erhalten hatte und dass ich mich später zwölfmal so vielen fristgerechten Widersprüchen gegenübersah wie der nächstschlechteste Kollege. Und selbst der wurde im Amt schon wie ein armer Irrer behandelt, weil er einfach nicht begreifen wollte, wie er mit den nimmersatten Nörglern da draußen umzuspringen hatte.
Irgendwann hat man genug davon, immer nur die Dumme zu sein. Ich auch. Und seitdem trug ich Kostüm.
Maiki, mein vorvorletzter Ex hatte dem auch sein Gutes abgewonnen:
„Du siehst echt scharf aus in dem Dress!“, hatte er mir von der Couch aus zugerufen, als ich beim ersten Mal damit nach Hause gekommen war. Morgens hatte er mich nicht darin gesehen, weil er sich immer noch eine Stunde im Bett wälzen konnte,