Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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samtene Stimme zu hören war, die unversehens einen dicken Kloß in meinem schmalen Hals versenkte:

      „Ja, Arnold Kreutzer, mit wem habe ich das Vergnügen?“

      Es wäre ein Klacks gewesen, die Verbindung zu trennen und nicht nur den Anruf, sondern auch diesen hinterhältigen Kerl auf der Stelle zu vergessen. Aber sag das mal einer jungen Frau, die gerade von genau der dunklen, samtig warmen Stimme umgarnt wird, die ihr sowieso den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen ist. Und die Nacht über noch viel weniger.

      „Ich …“, begann ich zögernd, und das klang so beschämend hilflos, dass die kleine Denkfabrik zwischen meinen Ohren schlagartig in Alarmbereitschaft versetzt und glücklicherweise sofort auf hundertzwanzig Prozent Leistung hochgefahren wurde. „Ich habe mich grade gefragt, wie weit Sie wohl inzwischen mit Ihren Brüsten sind.“

      „Ach Sie sind’s, Maxine“, erwiderte er mit einem Lachen.

      Seltsamerweise fand ich den Umstand, dass er sich nach beinahe sechsunddreißig Stunden noch an meinen Namen erinnerte, eine tolle Leistung. Für einen Mann, meine ich.

      „Ich denke an gar nichts anderes mehr“, antwortete ich bemüht flapsig. Eigentlich war es als ironische Anspielung auf sein Forschungsprojekt gemünzt. Erst als es schon hinaus war, fiel mir auf, dass er meine hingehauchten Worte ohne weiteres auch als Aufforderung zu einem unmoralischen Angebot verstehen konnte. Was zwar auch nicht direkt falsch gewesen wäre, aber das musste ich ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden.

      Ich gebe zu, dass ich in der Nacht zuvor ein wenig nachgeholfen hatte. Ich hatte natürlich an ihn gedacht und an all die aufregenden Sachen, die wir zusammen angestellt hatten. Nein, die er mit mir angestellt hatte. Ich hatte viel in mich hineingeschmunzelt, weil es sehr angenehme Erinnerungen waren, zumindest wenn ich an die Empfindungen dachte, die er in mir ausgelöst hatte. Ein paar Details waren nicht ganz so schön gewesen, eher ein bisschen blamabel, aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle?

      In mich hineinsummend hatte ich mir nächtens ausgemalt, wie schön es mit uns beiden noch werden konnte. Oder wie schön es hätte werden können? Ob es überhaupt noch so etwas wie ein Wir geben würde?

      Ach was!

      Ich hatte mir alles weiter ausgemalt, in den schönsten Farben, und die meisten dieser Farben waren irgendeine Schattierung von Rosarot. Naja, und soll ein Mädchen dann vielleicht gleichgültig bleiben, wenn es sich vorstellt, wie der Geliebte es in den Arm nimmt, und noch enger in den Arm nimmt und ihm zärtliche Worte ins Ohr flüstert und, und, und, und?

      Es war mir auf einmal alles wieder in den Sinn gekommen, als ich nun diese Stimme wieder gehört hatte. Wie es schien, hatte das keinen vorteilhaften Einfluss auf meine Fähigkeit, mich unnahbar zu geben.

      „War ganz nett gestern“, sagte ich irgendwann hilflos, weil mir einfach kein noch lockererer Spruch einfallen wollte.

      Wenigstens wusste er damit schon mal, dass er auf meiner Bewerberskala nicht über ein mageres ‚ganz nett’ hinausgekommen war.

      „Oh, ich fand es sogar sehr nett!“, entgegnete er zu meiner Verblüffung. Und dann auch noch in einem Tonfall, der oben am Treffpunkt meiner Schenkel ein Buschfeuer auslöste.

      Ein paar Sekunden lang musste ich die Hand auf das Handy legen, damit er mein Keuchen nicht hören konnte.

      „Sind Sie noch da?“, hörte ich ihn schließlich fragen.

      „Ja, ja!“, entgegnete ich noch immer atemlos, nachdem ich hastig die Hand dort weggenommen hatte, wo sie nicht hingehörte.

      „Ich habe von Ihnen geträumt“, erwiderte er ruhig. „Ich hoffe, das stört Sie nicht.“

      „Nein, nein“, sagte ich rasch, ehe mir am Ende wirklich noch die Luft wegblieb. „Warum denn auch?“

      „Oh, weil es ein reichlich anzüglicher Traum war.“

      „Was denn? Sind Sie etwa zudringlich geworden?“

      „Könnte man sagen.“

      „Hoffentlich haben Sie mir erst rote Rosen gebracht, um sich für Ihr unmögliches Benehmen zu entschuldigen.“

      „Nein.“

      „Orchideen?“

      „Was dann?“

      „Ich hatte Sie in Ketten gelegt.“

      Jetzt war es so weit. Jetzt blieb mir endgültig der Atem weg. Und was das Schlimmste war: Mir fehlten die Worte.

      Wer mich kennt, weiß, wie ungeheuerlich das ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich davor zuletzt ein Mann sprachlos gemacht hatte. Seit ich das erste Mal einen Büstenhalter umgelegt habe, jedenfalls keiner. Auf den Mund gefallen war ich schon als Kind nicht gewesen, aber seit ich jeden Morgen zwei hinreißende Wonnedinger in die Auslage packen konnte, wusste ich, dass die Welt mir gehörte.

      Und jetzt auf einmal war ich sprachlos.

      „Maxine?“

      Seine Stimme klang echt ein wenig besorgt. Rührend!

      „… j-jjahh…“

      Es war eher ein klägliches Krächzen, das ich da mit letzter Willenskraft zustandebrachte.

      „Sind sie okay? Sie klingen so – abwesend?“

      „Oh, ich muss bloß nebenbei … gerade … etwas Wichtiges erledigen.“

      Erst als ich das gesagt hatte, wurde mir bewusst, dass die Finger meiner freien Hand tatsächlich gerade etwas zu erledigen versuchten. Jetzt war die Hand wirklich an einer Stelle, an die sie nicht hingehörte.

      Oder vielleicht doch?

      Ich musste schlucken und hatte Angst, er könne etwas davon mitbekommen. Auch keuchte ich jetzt noch mehr als vorher, so dass ich mich schließlich zwang, die Zähne aufeinanderzupressen und die Lippen ebenso. Geatmet wurde nur noch durch die Nase. Zudem wollte ich mich zwingen, die Hand von dieser hochempfindlichen, ja explosiven Stelle fortzunehmen. Doch das misslang auf ganzer Linie.

      Das Streicheln war wunderschön. Ich wusste doch genau, wie ich es am liebsten hatte, und während diese unerhört warme, männliche, hocherotische Stimme unaufhaltsam ins Zentrum meiner Ohrmuschel kroch und ungehindert bis tief in mein Inneres vordrang, befiel mich unwillkürlich die Vorstellung, dass noch etwas völlig anderes unaufhaltsam in mich drang. Etwas unerhört Warmes, Männliches, Hocherotisches. Etwas, das eine Frau mit Herz außergewöhnlich glücklich machen konnte.

      „Ist Ihnen das peinlich?“, fragte er jetzt in besorgtem Tonfall.

      „Was? Was soll mir peinlich sein?“

      „Denken Sie sich nichts“, beschwichtigte er sanft.

      „Es … war ja nur ein Traum, nicht wahr!“

      Der Satz kam fast von selbst über meine Lippen. Ich vermute, es war eine Art natürliche Schutzreaktion, sowas wie ein Notprogramm meines überforderten Gehirns, das nach vorübergehendem Totalausfall gerade nur von einer Art Notstromaggregat gespeist wurde.

      „Auch wenn Sie nackt waren. Das ist doch etwas ganz Natürliches.“

      „Ich – war – nackt?“, stieß ich entsetzt hervor.

      „Ja, sicher. Und in Ketten. Sagte ich das nicht?“

      „Vielleicht schon. Ich frage mich nur …“

      Wieder musste ich schlucken, weil meine unverfrorenen Fingerchen sich nicht zu schade waren, das Schlüpfrige der Situation schamlos auszunutzen. Was natürlich nicht unbedingt dazu führte, meine Beiträge zum Gespräch intellektuell über die Maßen aufzuladen.

      „Ich frage mich nur, ob Sie immer so … wilde Träume haben.“

      „Oh, ich erkläre mir das so, dass die Ketten wohl den Wunsch nach einer besonders festen Bindung symbolisieren. Zwischen Ihnen und mir.“

      „Ja, das … das leuchtet