Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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konnte?

      Die Kerls sind nun mal schärfer auf uns Mädchen als wir umgekehrt auf sie. Jedenfalls denken sie das. Weil wir so viel besser aussehen.

      Zu blöd aber auch, dass meine ganze schöne Theorie ausgerechnet in Arnolds Fall irgendwie nicht recht passen wollte!

      Na schön, dann musste ich eben dafür sorgen, dass ich erst mal anständig auf meine Kosten kam. Später, wenn ich wieder ausgeglichener war, konnte ich immer noch mein Standardprogramm abziehen, an dessen Ende er es sich immer als großen Erfolg seiner Verführungskünste anrechnen würde, wenn ich ihn mal wieder nach Herzenslust ranließ.

      *

      Für den Donnerstagmittag dieser Woche war ich mit Webse verabredet. So nannten die meisten Kollegen unsere Amtsvorsteherin Melina Weber-Schnuckenreuth. Aus manchem Mund klang der Kurzname zwar ein bisschen geringschätzig, doch ich fand ihn wegen ihrer umtriebigen, eben ausgeprägt wepsigen Art trotzdem ziemlich passend.

      Die Webse hatte mich entzückend formlos eingeladen, indem sie mir vormittags eine Notiz auf den Bildschirm geschickt hatte, mit nichts weiter als der Skizze eines Tellers mit einer dampfenden Speise und den Worten „Hunger? 12.30 bei Veggie’s!“.

      Ich hatte das ganz in Rattan und Jute gehaltene Lokal bis dahin nur von außen gekannt und mit vegetarischer Kost gerechnet, die ich sicher recht gut verkraftet hätte. Stattdessen erwartete mich ein veganes Menü, das sie mir anhand der Karte auch noch wortreich schmackhaft zu machen versuchte. Erst später, als man uns bereits die ersten der angeblichen Köstlichkeiten auf den Tisch gestellt hatte, wechselte sie unvermittelt das Thema.

      „Die Machtgier der Männerseilschaften ist unersättlich“, ereiferte sie sich zwischen Braunalgensalat und Tofu-Gehacktem an Karottentunke. „Vor zwei Jahren mussten wir eigens die Leiterin unseres Frauenförderungsdezernats in Gleichstellungsbeauftragte umbenennen.“

      „Is’ nich’ wahr!“, erwiderte ich vorsichtig empört, weil ich noch nicht recht sah, worauf das hinauslaufen würde.

      „Doch! Nur weil so ein ewiggestriger Dumpfmacho gerichtlich feststellen lassen wollte, dass auch Männer Rechte haben. Männer Rechte! Wenn ich das schon höre! Die haben die Welt lange genug unterjocht! Jetzt sind endlich wir am Drücker. Ist es nicht so, Kindchen?“

      Ich zuckte zusammen, aber weniger ihrer Wortwahl wegen, sondern weil ich auf etwas Festes in der Süßmolke gestoßen war, das nicht so ganz mein Fall war. Was ihr wohl nicht entgangen war. Tadelnd sagte sie:

      „Ihre Geschmacksnerven sind vom industriell gefertigten Fressmüll anscheinend schon so verbildet, dass Sie gehaltvolle Nahrung von Wert gar nicht mehr zu schätzen wissen!“

      Da mochte was dran sein. Ich wusste tatsächlich noch nicht so recht, was ich daran schätzen sollte.

      Die meisten anderen Gäste freilich waren eher Fortgeschrittene. Sie zuckten nicht, ganz gleich, was sie auch zum Mund zu führen hatten. Andererseits genossen sie die Vorzüge der streng veganen Kost aber wohl noch nicht lange genug: Auf mich wirkten sie eher mitgenommen und verkniffen als urgesund und kraftstrotzend. Aber was verstand ich davon?

      Für meine vom Fressmüll ruinierten Geschmacksnerven war ja selbst der nun servierte Dinkel-Seitan mit Sojakäse nicht wirklich der Bringer.

      Webses lobende Worte, die sie für mich und mein Wirken fand, allerdings um so mehr. Vor allem die Art, wie sie mich als wichtige Verbündete in ihrem geheimen Netzwerk beschrieb, eröffnete mir einen ganz neuen Blick auf mich selbst und ließ mir die Zukunft rosarot erscheinen. Da war ich natürlich gerne bereit, den paar belanglosen Forderungen erst gar nicht zu widersprechen, die sie dafür mehr oder weniger zur Bedingung machte. Und die letztlich alle auf Ergebenheit ihr gegenüber hinausliefen.

      Bald darauf waren wir bereits beim Espresso. Ganz in Gedanken an die rosige Zukunft versunken führte ich das Tässchen zum Mund. Und zuckte.

      „Das ist Bio-Kaffee aus fairem Handel und ohne Zusatzstoffe“, sagte sie mahnend, weil ich wohl etwas zu auffällig das Gesicht verzogen hatte.

      „So schmeckt er auch!“, hätte ich fast erwidert, besann mich aber rechtzeitig darauf, dass mir meine Karriere unter den aktuellen Umständen doch wichtiger war als irgendwelche Röstnuancen von Kaffeebohnen.

      „Wenn Sie sich als loyal erweisen, können Sie hier sehr rasch vorankommen“, fuhr Webse fort. „Wissen Sie, was A14 bedeutet?“

      „A14 gibt es doch nur für den höheren Dienst, dachte ich.“

      „Oh, wir arbeiten gerade an einer Ausweitung für verdiente Frauen aller Dienstgruppen. Es ist nur eine Frage der Zeit, das durchzusetzen.“

      „Für Männer nicht?“

      „Männer werden sowieso maßlos überbewertet“, entgegnete sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, „meinen Sie nicht auch?“

      „Oh, doch, natürlich! Maßlos überbewertet.“

      Ich dachte kurz an Arnold und befand, dass selbst er seinen wirklichen Wert erst noch unter Beweis stellen musste. Und zwar möglichst bald!

      „Mein Motto war von jeher: eine für alle, alle für eine!“, verkündete Webse salbungsvoll. „Wird es schon bald auch das Ihre sein?“

      Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Was bestimmt nicht typisch ist für mich. Es war wie eine Aufforderung zum feierlichen Treueschwur, und entsprechend ergriffen war ich. Schade, dass der Kellner in den feierlichen Akt hineinplatzte, weil sie ihn zum Bezahlen herangewunken hatte:

      „Getrennt!“, wies sie ihn scharf an. Und ergänzte zu mir gewandt, mit schmallippigem, auffallend kontrolliertem Lächeln:

      „Wir wollen doch hier keinen Vorwand für Vorwürfe der Begünstigung schaffen, oder?“

      Natürlich nicht! Also zahlte ich etwas verdutzt für mich selbst und durfte feststellen, dass das Mittagsmenü vielleicht nicht das schmackhafteste, dafür aber mit Abstand das exquisiteste des Monats gewesen war. Jedenfalls am Preis gemessen. Naja, gesunde Ernährung muss man sich eben etwas kosten lassen. Und die Mitgliedschaft in elitären Zirkeln erst recht.

      Außerdem waren 17,80 Euro kein wirklich hoher Preis dafür, dass ich nach allem, was Webse gesagt hatte, jetzt endlich dazugehörte.

      Wozu auch immer.

      *

      „Zeit für eine Wohnungsbesichtigung?“, las ich zum soundsovielten Mal vom Display ab.

      Fahrig strich ich mir mit der Hand durchs Haar, von vorne unterm Pony bis ganz nach hinten, wo ich mit langen Fingern meinen Hinterkopf umfassen konnte. Der Hinterkopf brauchte eine Massage. Eine Massage des Hinterkopfs fördert das Denkvermögen.

      Kann es sein, dass der Mensch eine Nachricht, auf die er sehr, sehr lange mit zunehmender Verbissenheit gewartet hat, irgendwann nicht mehr wahrzuhaben vermag?

      Tage, Wochen, Monate hatte ich eine Nachricht ungefähr dieses Wortlauts herbeigesehnt. Und jetzt, wo sie dastand, gut lesbar auf dem Display meines schicken kleinen Galaxy, fiel mir nichts anderes ein, als dass daran etwas nicht stimmen konnte.

      Denn die Nachricht stammte von Arnold.

      Arnold war kein Immobilienmakler. Ich hatte ihn auch nicht gebeten, etwas für mich zu suchen. Möglicherweise hatte ich mein Problem bei unserem ersten Date nebenbei erwähnt, als ich ihn unterm Sternenhimmel in 500 knappen Sätzen über mich, mein Leben, meine Herkunft, meine Arbeit, meine Figur, meine Vorlieben und meine 23 Lieblingsträume informiert hatte. Oder vielleicht doch bei einem der kleineren Treffen, zu denen wir seither an mehreren neutralen Orten zusammengekommen waren?

      Hatte ich da eventuell auch das Problemchen mit dem Geld erwähnt?

      Schätze, dass mein ohnehin leichtgängiges Mundwerk in romantischen Situationen noch ein bisschen unaufhaltsamer sprudelt als ohnehin schon. Ich hatte mich einfach immer so wohl gefühlt in diesem mächtigen männlichen Arm, wenn er ihn ebenso selbstverständlich wie entschlossen um mich gelegt hatte. Am liebsten hätte ich den