Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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Laute zu formen.

      „Die Nacktheit wäre dann nur eine belanglose Randnotiz. Sie symbolisiert im Prinzip Ihre völlige Offenheit mir gegenüber“, fuhr er nachdenklich klingend fort. „Aber sie hat auch eine praktische Bedeutung.“

      „We-welche denn?“

      Mir war fast, als verschluckte ich meine Zunge, doch er sprach ungerührt in einförmig dozierendem Tonfall weiter, als wäre ihm noch nichts an mir aufgefallen. Was ich mir allerdings immer weniger vorstellen konnte.

      „Sie haben ein entzückendes Hinterteil!“

      Jetzt verschluckte ich meine Zunge. Naja, fast.

      „Ich habe was?“, stieß ich hervor.

      „Oh, es war gar nicht zu übersehen, so aufreizend schamhaft, wie Sie sich in Ihren Ketten gewunden haben“, entgegnete er entschuldigend.

      „In … Ihrem … Traum!“

      „Ein formidables Hinterteil! Prall und knackig. Allerbestes Erbgut! Sie können wirklich stolz darauf sein.“

      Das war ich auch, jedenfalls ein paar Augenblicke lang, bis allmählich doch das Gefühl überwog, dass unsere Unterhaltung die schmale Grenze zum Bizarren bereits weit überschritten hatte:

      „Ich dachte“, stieß ich kurz atmend hervor, „Sie interessieren sich mehr für … ähm … Euter!“

      „Ach wissen Sie! In der Anatomie der höheren Säugetiere gibt es immer wieder gewisse Parallelen.“

      „Parallelen …“

      „Ja. Nehmen Sie nur die Proportionen. Ein wohlgeformtes Hinterteil beispielsweise lässt mit hoher Sicherheit auf ebenmäßige Gesichtszüge schließen und vice versa.“

      „Vice versa …“

      „Genau!“

      „Sie meinen, bei Rappenantilopen.“

      „Da auch.“

      Diese Stimme machte mich kirre. Vielleicht hatte ich zu lange keine Männerstimme mehr am Ohr gehabt, vielleicht hatte aber auch sein Timbre von Natur aus einen so hohen Schlafzimmeranteil, dass ich es trotz allen Bemühens nicht mehr fertigbrachte, unter der Beschallung durch so viel schmeichelnden Wohlklang den Kopf noch einmal klar zu bekommen.

      Auf einmal packte mich wieder dieselbe Empfindung, der ich schon machtlos erlegen war, als er mir im Zoo die Hände gefesselt hatte. Es war eine schrecklich verwirrende Mischung aus heftigem Widerstreben und einer nachgerade selbstverleugnenden Bereitschaft zur Hingabe, die all meine Sinne restlos benebelte.

      Völlig aus dem Gleichgewicht geriet ich aber, als ich gewahr wurde, dass die Mitte meines Leibes von dem heftigen Verlangen erfasst wurde, dieser tolle Mann möge mich auf der Stelle wieder in Fesseln legen, möge mich entschlossen in den Arm nehmen, mich leidenschaftlich küssen und dann wild und unerbittlich absolut alles mit meinem wehrlosen Leib anstellen, wonach ihm gerade der Sinn stand. Und bitte keine Gnade!

      Wie ich die Männer kannte, würde er sowieso nicht allzu lange überlegen müssen, womit er denn anfangen sollte.

      Je mehr er jetzt noch redete und je weniger ich noch von seinen Worten erfasste, desto sicherer wurde ich, dass ich ihn – genau ihn! – jetzt auf der Stelle zu meiner Verfügung haben wollte. Oder wollte ich doch eher selbst bedingungslos zu seiner Verfügung stehen? Oder vielleicht beides zugleich? Atemlos lauschte ich noch meinen wildgewordenen Empfindungen, da fühlte ich die ersten Vorzeichen dafür, dass es mit mir durchging.

      Zu dem Telefongespräch trug ich mittlerweile so gut wie überhaupt nichts mehr bei, außer vielleicht das weitgehend sinnfreie Echo seiner jeweils letzten Worte und ein immer schlimmer werdendes Keuchen, das dem Topzustand meiner Lunge und meines spitzenmäßig trainierten Sportlerherzens Hohn sprach.

      „Hören Sie“, fiel ich ihm schließlich abrupt ins Wort, als er gerade über die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung wohlproportionierter Beine bei höheren Säugetieren dozierte, „ich muss jetzt wirklich … etwas sehr Wichtiges … ich … muss … ich … muss …“

      Panisch drückte ich mit letzter Kraft den roten Knopf.

      Die Verbindung war getrennt.

      Es war eine Verzweiflungstat, die meine Lage auf lange Sicht höchstens noch komplizierte, doch für den Augenblick war sie meine letzte Rettung gewesen. Wenigstens was mein ohnehin schon arg ramponiertes Ansehen bei Arnold Kreutzer betraf.

      Der Buschbrand jedoch hatte während des kurzen Gesprächs Ausmaße angenommen, die jeden weitergehenden Versuch der Rettung sinnlos machten. Niemand kann retten, was nicht mehr zu retten ist.

      Wie aus weiter Ferne nahm ich wahr, wie meine gepflegten Finger mit größter Geschicklichkeit und wunderbarem Einfühlungsvermögen einen kleinen, aber um so wichtigeren Punkt meines Körpers stimulierten, bis ich mich plötzlich maunzen und wimmern und stöhnen hörte, wie ich es nicht mehr erlebt hatte, seit ich als Teenager auf die Möglichkeit gestoßen war, durch Ausdauer und einfühlsame Zärtlichkeit den Mann im Haus von eigener Hand zu ersetzen.

      Was danach geschah, vermag ich im Einzelnen nicht mehr zu berichten. Ich weiß nur, dass es wundervoll war und dass ich fast nicht glauben konnte, wie gut ich mich gerade in den Momenten höchsten Glückes über die Abwesenheit jenes Mannes hinwegzutrösten mochte, nach dem sich mein Herz zugleich so unbeschreiblich verzehrte.

      4

      Meine Mutter hatte mir früh beigebracht, dass kein Mann jemals die Kuh kaufen wird, deren Milch er auch so bekommt. Manchmal dachte ich sogar, dass meine Brüste vielleicht auch deswegen so wunderbar üppig herangewachsen waren, weil ich diesen Sinnspruch mit der Zeit verinnerlicht hatte. Jedenfalls hatte ich mich stets danach gerichtet und meinen Marktwert nach Kräften gesteigert, indem ich an den richtigen Stellen ‚nein!’ gesagt hatte. Natürlich nicht, ohne ein vielsagendes Lächeln hinterherzuschicken, das den jeweiligen Anwärter ermunterte, sich nicht gleich entmutigen zu lassen, sondern lieber sein Angebot kräftig zu verbessern. Das Lächeln gab es natürlich nur, wenn ich tatsächlich Interesse hatte.

      Diesmal hatte ich Interesse. Großes sogar.

      Arnold war bei aller Kultiviertheit so urwüchsig, dass er mit seinem wuscheligen braunen Haarschopf leicht als kraftstrotzender Steinzeitliebhaber durchgegangen wäre. Ich hätte nur noch das passende Fell finden müssen.

      Überhaupt, dass mir Mutters Worte wieder in den Sinn gekommen waren! Auch wenn ich mich stets daran gehalten hatte, so hatte ich doch ihre Wortwahl oft harsch kritisiert. Schließlich war ich keine Milchkuh, also war auch ihr Vergleich mit der Milch, um deren Preis es ging, absolut daneben.

      Arnolds unbeabsichtigte Anspielung auf das Euter hatte doch nicht etwa Spuren hinterlassen?

      Vielleicht doch. Denn als er sich jetzt formvollendet verabschiedete und ich plötzlich die Aussicht hatte, ihn nach diesem traumhaften halben Tag vielleicht niemals wieder zu sehen, hatte ich plötzlich große Lust, zum ersten Mal überhaupt ein erstes Date nicht an der Haustür zu verabschieden. Sondern unter einem möglichst billigen Vorwand mit reinzunehmen.

      Zum Glück für meine momentane Unbescholtenheit siegte meine antrainierte Selbstdisziplin.

      Doch sobald er fort und die Haustür ins Schloss gefallen war, warf ich mich im dunklen Hausflur mit dem Rücken an die Wand, trommelte mit den Fäusten dagegen und legte den Kopf weit in den Nacken:

      „Duuuuu – völlig verblödete – Halbidiotin“, beschimpfte ich mich selbst, „worauf willst du eigentlich noch warten?“

      *

      Die Nacht wurde ein einziges unzufriedenes Herumwälzen. Ich wälzte mich von der einen Seite auf die andere, von der anderen auf die eine, und die ganze Zeit über hieß ich mich selbst schonungslos alles mögliche Unfeine, weil ich in so einer Nacht allein war, statt mich schön langsam nach und nach von ihm freilegen zu lassen und dann wohlwollend aber kritisch auszutesten,