Mila Brenner

Wolkenschwäne


Скачать книгу

aber sie war trotzdem meine beste Freundin und passte immer auf mich auf.

      Ich brachte Sephie bis zur Tür, und als sie gegangen war, holte ich mir aus der Küche die kaltgestellte Limonade und stellte einen Teller mit Zitronen- und Orangenkeksen zusammen. Ich trug beides ins Wohnzimmer, machte es mir dort in meinem Lesesessel gemütlich.

      Die Wohnung war schön geworden. Ich hatte seit meinem Einzug viel verändert. Nach und nach hatte ich die Einrichtung verkauft oder rausgeworfen und durch Neue ersetzt. Jetzt hatten die Räume meinen persönlichen Charme. Ich hätte gerne die kalten Fliesen im Wohnzimmer oder das Linoleum in der Küche und den Teppich im Schlafzimmer ausgetauscht. Auch die Tapeten hätte ich gerne abgelöst und neu tapeziert. Aber da ich mich weder mit dem einen noch dem anderen auskannte, hatte ich die Böden und Wände gelassen, wie sie waren. Für Handwerkliches war immer Simon zuständig gewesen. Ich hatte absolut keine Begabung, was das anging. Stattdessen schaffte ich es schon mich zu verletzen, wenn ich einen Nagel in die Wand schlug. Zum Anbringen der Lampen und Regale hatte ich Sephies Hilfe benötigt. Die war ebenso unbegabt wie ich, aber als ich eingezogen war, traf sie sich mit einem Kerl, der wusste, wie man mit einer Bohrmaschine umging. Er hatte wohl angenommen, er könnte bei ihr Punkte sammeln, indem er ihrer besten Freundin in der Not zur Seite stand. Leider gab sie ihm trotzdem vier Tage später den Laufpass.

      Ich grinste bei der Erinnerung an Paul. Denn ein Tag danach hatte er vor meiner Tür gestanden und gefragt, ob ich nicht Lust hätte mit ihm ins Kino zu gehen. Sephie hatte allen Ernstes wissen wollen, ob ich zugesagt hatte. Als ich sie ungläubig gefragt hatte, wie sie darauf kam, ich hätte seine Einladung angenommen, hatte meine Freundin locker die Achseln gezuckt.

      „Meinetwegen hättest du mit ihm ausgehen können. Er ist gar nicht so schlecht im Bett. Sanft und vorsichtig. Genau das Richtige, um wieder ins Spiel einzusteigen.“

      Das war ihre Antwort gewesen. Danach war das Thema für sie beendet. Sie brauchte nicht erwähnen, dass es ihr ernst damit war.

      Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Damals hatte ich entrüstet, für meine Verhältnisse sogar wütend reagiert. Jetzt sechs Wochen später gelang es mir, über Sephies Reaktion zu lachen. Wahrscheinlich hatte sie Recht und es war unmöglich zu behaupten, ich könnte für den Rest meines Lebens enthaltsam und ohne Mann leben. Aber sie verstand einfach nicht, dass ich noch nicht so weit war, mir überhaupt nur vorzustellen, mit einem anderen Mann auszugehen. Bei der Vorstellung ein Date zu haben, Händchen zu halten, oder gar jemanden zu küssen, schauderte es mich. Wenn ich meine Augen zumachte, spürte ich Simons Berührungen auf meiner Haut. Wenn ich mich konzentrierte, schaffte ich es auch ein Jahr nach seinem Tod noch, seinen Duft in der Nase und sein Lachen im Ohr zu haben. Dieses laute, schiefe Lachen, was zu seiner offenen, redseligen Art gepasst und mir sofort gefallen hatte.

      Ich öffnete die Augen, wischte mir die Tränen von der Wange. Für einen neuen Mann, ein Rendezvous oder ein One-Night-Stand war ich ganz klar noch nicht bereit. Ich vermisste all das nicht.

      Was ich wirklich vermisste, war meinen Ehemann. Ich vermisste Simon. Wie wir zusammen gewesen waren. Wie er meinem Alltag Farbe gegeben hatte. Danach sehnte ich mich und das konnte mir kein Date mit einem Fremden wiedergeben. Also kuschelte ich mich unter meine Decke in meinen Lesesessel, ignorierte den Fakt, dass es zu warm dafür war und griff nach meiner Abendlektüre. Das Buch hatte den großen Vorteil, dass es so traurig war, dass ich behaupten konnte, meine Tränen kämen von der Geschichte und nicht vom Kummer, der schwer wie Blei auf meinem Herz lastete.

      Ein Paradies für Bücher

      Es war der letzte Arbeitstag in dieser Woche und das war, woran ich dachte. Andere überlegten bestimmt was sie an ihrem freien Wochenende machen würden. Ausschlafen, zeitintensive Hausarbeiten, die unter der Woche liegen blieben oder einfach mal ausspannen und sich Zeit für seine Hobbys nehmen. Da Sephie und ich die Buchhandlung nicht am Samstag schlossen, stellten sich mir diese Fragen nicht. Allerdings beschäftigten wir seit einem halben Jahr eine Aushilfe, so dass wir uns die Wochenenden aufteilen konnten.

      Sephie hatte Lila eingestellt, als ich bei meinen Eltern gewesen war und nur unregelmäßig bis gar nicht im Laden gearbeitet hatte. Zuerst war ich recht befangen mit Lila umgegangen. Ich war mir nicht sicher gewesen, wie sie auf mein Wiederkommen reagieren würde, und ob wir miteinander auskamen. Aber meine Sorgen stellten sich als unbegründet heraus. Denn zu meiner großen Erleichterung verstanden wir uns hervorragend. Mittlerweile zählte ich Lila zu meinen Freundinnen und freute mich immer auf die gemeinsamen Stunden mit ihr im Laden.

      Ich war gerade dabei, die Verlagsvorschauen nach Sommerhits zu durchforsten. Vielleicht konnten wir noch was Besonderes anfordern und im Schaufenster ausstellen, als Lila zur Tür herein kam. Wir öffneten erst in einer halben Stunde und da Sephie heute frei hatte, kam Lila früher als sonst.

      „Guten Morgen!“, begrüßte sie mich mit einem breiten Lächeln im Gesicht und hielt mir zwinkernd eine braune Papiertasche und einen Becherhalter entgegen. „Lust auf Frühstück? Ich war noch auf einem Sprung im Boulder Cafe.“

      „Wirklich?“ Ich lächelte und kam hinter dem Computer hervor. „Das war eine tolle Idee.“

      „Ich weiß doch von Sephie, dass du dir zuhause kein Frühstück machst. Bis zum Mittag zu warten, erschien mir zu lang.“

      Sie ging nach hinten in den kleinen Aufenthaltsraum, wo wir zwei bequeme Sessel stehen hatten und richtete auf dem kleinen Beistelltischchen die Bagels und den Kaffee an. Zumindest roch es eindeutig nach frisch gekochtem Kaffee.

      „Ich wusste gar nicht, dass Sephie über mein Frühstücksverhalten mit dir redet.“ Grinsend setzte ich mich, griff zu dem Truthahnbagel, und begann zu essen.

      „Gibt es etwas, über das Sephie nicht mit einem redet?“

      „Nein“, gab ich zu und lachte. „Sie ist wirklich unmöglich.“

      „Ach na ja. Sie macht sich eben Sorgen um dich. Ist schöner, als wenn sie dir den Mann ausspannen würde, ohne dabei mit der Wimper zu zucken.“

      Mit großen Augen sah ich sprachlos zu Lila, die mich beruhigend anlächelte.

      „Guck nicht so, Eden. Ich bin über Bill hinweg. Und auch über Carmen. Sollen die beiden doch glücklich zusammen werden.“

      Lila hatte vor einem Dreivierteljahr die Scheidung eingereicht, als sie herausgefunden hatte, dass ihr Mann sie mit ihrer besten Freundin betrog und war von Denver nach Boulder gezogen. Die Vorstellung von seinem Mann mit der besten Freundin betrogen zu werden, erschien mir grauenhaft.

      „Ich kann nicht fassen, dass dir das in so kurzer Zeit gelungen ist.“

      „Bei Bill hat es lange gedauert. Das muss ich zugeben. Wir kannten uns 23 Jahre lang und waren 22 Jahre davon zusammen. Beinahe 20 Jahre Ehe und ein Sohn verbinden uns und werden uns immer irgendwie verbinden. Zu Matt war er schließlich gut, das kann ich nicht ausblenden. Doch was Carmen angeht“, Lila schüttelte entschlossen den Kopf. „Das Thema habe ich abgehakt, nachdem ich sie das zweite Mal im Bett meines Mannes fand. Sie war eine falsche Schlange und ich bereue bloß, dass ich das nicht viel früher bemerkt habe. Aber so bin ich wohl. Zu leichtgläubig und naiv. War ich immer schon. Als kleines Mädchen wollte ich schon nur das gute in den Menschen sehen und scheinbar hat es diesen harten Aufprall gebraucht, um zu begreifen, dass nicht jeder gut ist. Selbst wenn man es sich wünscht.“ Sie sah mich fragend an. „Was ist?“

      „Du klingst gar nicht verbittert. Wie machst du das? Wo steckst du die ganze Wut hin?“

      „Keine Ahnung.“ Sie lächelte ehrlich. „Ich war wütend. Zwei Wochen oder so. Danach sagte ich mir, dass mich das auch nicht weiter bringt. Weder die beiden zu hassen, noch mich selbst, hilft mit jetzt. Also habe ich damit aufgehört und mich darauf konzentriert, was ich mit meinem Leben anfangen will. Und soll ich dir was verraten?“

      „Was?“

      „Es fühlt sich toll an. Zu Anfang war es schwer, aber es tat gut, einfach mal nur an mich zu denken. Herauszufinden, was ich will, wer ich sein möchte