I. Tame

Zerrissen


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Was sollte das alles? Wieder stieg eine Beklemmung in ihm hoch, die Keno schwerer atmen ließ. Wo war er hier nur hineingeraten? Menschenhandel. Menschenhandel, spukte es immer wieder ungewollt durch seine Gedanken. Doch das verdrängte er gleich wieder. Vielleicht handelte es sich hier um eine Sekte? Was auch immer: wenn die wirklich vorhatten, ihn hier einzusperren, würde Keno sich das unter keinen Umständen gefallen lassen. Sein Kopf wurde langsam klarer. Sein Eigensinn, seine Aggression erwachten zu neuem Leben. Ich komm‘ hier schon irgendwie raus, sprach er sich selber Mut zu.

      Die Thailänderin föhnte und kämmte voller Hingabe seine Haare, bis ihm die dunkle Pracht seidig in die Augen fiel. Danach rieb sie seine leicht geröteten Handgelenke mit einer Salbe ein.

      Kaum war sie fertig, öffnete sich die Türe und ein Diener betrat mit einem riesigen Tablett den Raum. Auf einem Sofatisch baute er alles auf und verließ wortlos Keno’s Zimmer. Stumm, aber gestenreich deutete seine Helferin auf einen großen Sessel direkt am Tisch. Sie goss ihm ein frisches Glas Wasser ein und richtete ihm einen Teller mit Speisen an.

      Alles sah sehr appetitlich und lecker aus – es duftete genial. Keno ließ sich auf den Sessel fallen und langte kräftig zu. Nach einer halben Stunde war er satt und leerte das Wasserglas in einem Zug.

      Und schon winkte die kleine Thai-Maus ihn zu dem riesigen Bett rüber. Keno streckte sich und merkte jetzt nach dem Essen, wie müde er war.

      Das Mädchen klopfte einladend auf die Matratze. Keno ließ sich darauf sinken und sofort begann sie, seine verspannten Schultern und Nackenmuskeln zu massieren. Sein wohliges Grunzen zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Genüsslich ließ er sich fallen und drehte sich auf den Bauch. Ihre kundigen Hände massierten ihn weiter, bis er einnickte.

      Als Keno gegen Abend aufwachte, war er allein im Zimmer. Neben seinem Bett auf dem Nachttisch stand eine Kristallkaraffe mit frischem Wasser. Sie war so kühl, dass sie beschlug. Sofort goss Keno sich ein Glas ein und schluckte gierig. Mann, das tat gut! Er stand auf und streckte sich, als er auch schon Schritte auf dem Flur hörte. Die Türe öffnete sich und die Wachleute kamen rein.

      „Zeig‘ mal deine Handgelenke!“, wurde er in ruhigem Ton aufgefordert.

      Keno streckte seine Arme aus. Die Manschetten wurden kurz geöffnet. Bis auf eine leichte Rötung konnte man keine Verletzungen mehr erkennen.

      „Sehr schön“, nickte der Typ zufrieden.

      „Was macht dein Hals?“, fragte er weiter.

      Keno zuckte mit den Schultern. „O. k.“

      „Trink lieber noch einen Schluck. Ich will keinen Ärger mit der Chefin kriegen, weil du womöglich einen Hustenanfall bekommst.“

      Er ging zu Keno’s Bett und goss ihm noch ein Glas ein. Es schmeckte köstlich – so kühl und frisch. Der Wachmann stellte das leere Glas wieder weg.

      „Komm jetzt! Ich bring dich zur Chefin und ihrem Gast.“

      Keno nickte und folgte ihm und seinem Kollegen.

      Wachmann Eins gab mit befehlsgewohnter Stimme noch diverse Anweisungen weiter.

      „Einige Dinge solltest du dir merken! Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst. Die Chefin sprichst du mit „Madam“ an. Wenn ein Gast dabei ist, sprichst du ihn so an, wie es dir gesagt wird. Solltest du es wagen, die Chefin anzufassen, ohne, dass sie es dir befiehlt, wirst du sofort bestraft. Solltest du versuchen, abzuhauen, wirst du sofort bestraft. Solltest du nicht das tun, was man dir befiehlt, wirst du sofort bestraft.“

      Keno schwirrte der Kopf. Doch er war klug genug, den Typen nicht zu unterbrechen. Obwohl eine weitere Ohrfeige wahrscheinlich nicht auf ihn wartete. Schließlich durfte sein Gesicht ja nicht verletzt werden.

      „Sollte dir zukünftig die Chefin – oder der Chef – auf einem der Gänge im Haus begegnen, bleibst du stehen und blickst zu Boden – unverzüglich! Den Chef lernst du noch früh genug kennen. Der soll dich erst mal nicht kümmern. Du gehörst zur Chefin!“

      Jetzt regte sich doch ein wenig Unmut in Keno. Du gehörst zur Chefin was sollte denn diese Aussage? Ich gehöre zu Niemandem von eurem durchgeknallten Verein! Ich bin doch kein Haustier!

      Cat räusperte sich als Zeichen seines Unmutes.

      „Gefällt dir nicht, was?“, lachte der Wachmann auf. „Du wirst dich noch an ganz andere Dinge gewöhnen, mein Freund.“

      Er wandte sich an seinen Kollegen. „Sieh‘ ihn dir an! Würdest du sagen, er könnte dem Chef gefallen?“

      Keno blickte von einem zum anderen. Der zweite Wachmann grinste über sein ganzes Gesicht.

      „Der flippt total aus, wenn er ihn sieht. Das ist genau sein Beuteschema! Da kommen lustige Zeiten auf uns zu, wenn du mich fragst!“

      Keno runzelte die Stirn. „Beuteschema“, schon wieder so ein Begriff, der ihm unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken jagte.

      Inzwischen waren sie an ihrem Ziel angekommen und einer der Wachmänner klopfte vorsichtig an die Salontüre. Diesmal wartete er, bis ein „Komm rein“ ertönte. Die Flügeltüren waren breit genug, dass sie alle drei gleichzeitig nebeneinander eintreten konnten.

      Auch dieser Raum strahlte eine wohlige Gemütlichkeit aus. Es gab mehrere kleine Ecken mit Plüschsesseln und Rauchertischchen. In einem Raumabschnitt am Fenster stand ein prächtiger Billardtisch. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein großer gemauerter Kamin. Ein gemütliches Feuerchen knisterte dort.

      Die Chefin und ihr Gast standen an einem der hinteren Fenster. Keno konnte den Gast nicht erkennen. Er wurde an den Kamin geführt, musste sich davor auf einen weichen Teppich knien – und den Kopf beugen.

      Die Wachleute zogen sich diskret in den Hintergrund zurück und bezogen dort Stellung. Die sich leise unterhaltenden Stimmen kamen langsam näher. In Keno‘s Kopf summte es ein wenig und ihm wurde noch wärmer. Er fühlte sich richtig eigenartig. Ein bisschen beduselt. Als hätte er was geraucht. Er merkte erst, dass die Chefin neben ihm stand, als sie ihm zärtlich mit den Fingernägeln über die nackte Schulter kratzte.

      „Du hast Recht“, schnurrte sie geradezu, „er ist wirklich ein Prachtexemplar. Gemacht für die Erotik und für die Züchtigung, natürlich.“ Sie lachte leise und eine tiefe Männerstimme brummte zustimmend.

      „Du glaubst ja gar nicht, wie oft ich mir diese Situation vor meinem geistigen Auge ausgemalt habe.“

      Moment mal! Die Stimme kam Keno bekannt vor. Woher kannte er die nur?! Wenn das jemand war, den er kannte, dann war die Lage vielleicht doch nicht so ausweglos. Hoffnung schlich sich in sein Herz und er verdrängte in seiner Euphorie den Inhalt dessen, was die Person gesagt hatte.

      Jetzt stand der Mann direkt vor ihm. Er atmete tief und genüsslich ein. Seine große Hand streichelte Keno durch die Haare.

      „Sieh‘ mich an, Cat!“, forderte er ihn sanft auf. Eigentlich wollte Keno den Kopf schnell in den Nacken legen, doch das gelang ihm nicht. Wie in Zeitlupe hob er den Blick. Er konnte einfach nicht anders. Im gleichen Moment wurde im bewusst, dass er unter Drogen stand. Die Karaffe mit dem Wasser! Diese Bastarde hatten ihn schon wieder reingelegt. Seine Augenlider öffneten sich schwerfällig.

      Und dann konnte er einfach nicht glauben, wer da vor ihm stand: George Garland – John’s Vater. Freude raste durch seinen Brustkorb. John’s Vater!! Der würde ihm auf jeden Fall hier raushelfen. Er mochte ihn! Er war damals sauer auf John, als dieser Keno die Freundschaft aufgekündigt hatte. Und unsinnigerweise sah Keno momentan das damals versehentlich mit Farbe beschmierte Hemd als Beweis dafür, dass dieser Mann niemals irgendetwas Böses mit ihm vorhaben könnte.

      George fiel das hoffnungsfrohe Glitzern in Keno’s Augen natürlich auf. Er lächelte gütig auf ihn herab, ignorierte jedoch die leicht angehobenen Hände, die sich ihm entgegen streckten.

      „Alles gut, Cat?“ Er hob fragend die Augenbrauen, während er an seinem Whisky nippte. Noch nie hatte John’s Vater ihn mit