Peter Polonius Teichmann

Jahre auf See


Скачать книгу

rekrutieren. Das führte dann dazu, dass auf so manchem Zossen ein zweiter Ingenieur oder Steuermann seinen Dienst tat, der normalerweise schon seit langer Zeit im Rentenalter war. - Über dieses Thema wurde vielleicht schon berichtet und ich möchte dazu hier auch einen bescheidenen Beitrag leisten.

      Dass ich im Januar 1956 als Moses auf M/S “ELFRIEDE” eingestiegen bin, habe ich an anderer Stelle schon hinreichend breit getreten. - Beide zweite Steuerleute die im Verlauf des Jahres 56 ihren Dienst auf der ELFRIEDE taten waren um die 70 Jahre alte und rüstige Rentner. - Der eine hatte in jungen Jahren noch als Kadett auf der “HERZOGIN CECILIE“, dem Segelschulschiff des Norddeutschen Lloyds gedient, der andere war zwischen den Weltkriegen als Matrose mit Laeisz Seglern um Kap Horn zur Westküste-Süd und nach Australien gesegelt. - Da es auf der ELFRIEDE kein Radar, keinen Kreisel und keine Selbsteueranlage gab und die astronomische Navigation in der Hand von unserem Kapitän und dem 1.O. lag, brauchten sich die Herren mit weitgehend unbekannter Technik nicht beschäftigen. - Das Echolot konnte man allemal ablesen und dem Funkpeiler durfte man sowieso nicht trauen. Vielleicht lag es auch an den eigenen Ohren.

       Zwar hatte ich sogar als Moses schon eine laute Stimme, so dass mich unser Chief einmal fragte wo ich denn her käme; auf meine Antwort: “Aus Nürnberg”, sagte der Mann doch glatt: “Kein Wunder, Du Plärrer“; doch genau genommen hatte ich überhaupt nichts zu melden! - Es gab aber auch für mich Momente, da bekam ich die Chance groß heraus zu kommen. - Nach einigen Monaten an Bord, teilte man mich für die Mittelwache ein; d.h. die Wache von 12 bis 16 und von Mitternacht bis 4 Uhr morgens und das war die Wache vom alten 2.O.

      Wenn sich nachts mitten auf See zwei Schiffe begegneten, hat man sich mit Licht an gemorst. - So war das jedenfalls früher üblich. - Da gab es je eine Morsetaste in beiden Nocken und das Licht oben im Vormast oder man hatte einen modernen Klappscheinwerfer – ein solcher war natürlich auf der ELFRIEDE nicht vorhanden. - Also ging es los mit: “What ship, what ship”? und “Where are you come from”? “Where are you bount to”? - das war manchmal so richtig spannend und endete immer mit der freundlichen Verabschiedung: “Bon Voyage”! ~ Ja und da kam dann unser zweiter Steuermann an seine Grenzen und: “Peter, Du warst doch auf der Schiffsjungenschule, dem PRIWALL” - da hatte er recht und auf dem PRIWALL hatten wir das ja gelernt und jetzt kam meine große Stunde und ich war derjenige welcher. - Da schipperte die BAUMWALL von HMG nach Dakar oder der ADMIRAL BASTIAN kam von Kaolak und wollte nach Dünkirchen. - Manchmal hat es allerdings geregnet oder der Zossen war ein bisschen zu weit weg und so genau habe ich das dann auch nicht immer erkennen können. - Aber um irgend einen Dampfer war ich nie verlegen und um einen Hafen auch nicht; wie gesagt: “Bon Voyage ~ Bon Voyage”!

      ~ ~ ~

      Tage auf MS Elfriede und der Augenarzt von Rouen

      Diese Geschichte widme ich den Hafenarbeitern von Rouen, zwei hilfsbereiten Krankenschwestern einer dortigen Ambulanzstation und nicht zuletzt einem freundlichen Augenarzt, der wenn er noch lebt, noch immer auf sein ärztliches Honorar wartet. - All diesen Personen bin ich dankbar, denn ich verdanke Ihnen die Sehkraft meines linken Auges.

      Von Dünkirchen ging es zunächst nach Rouen. Wir luden dort Stückgut und im Nachhinein wundere ich mich noch heute, dass die Agentur überhaupt anständige Ladung für unseren Zampan auftreiben konnte. Jedenfalls vertraute man uns jede Menge Bier in Schachteln an. "Stella d'Artoise", "Biere de l'Alsace". - Glauben Sie bloß nicht, daß nur "German beer" im Ausland gefragt ist. - Mich hatte Kraake, unser Bootsmann, als "Raumwache" in eine Luke beordert und nun hieß es, sich mit den französischen Schauerleuten zu arrangieren. Das waren freundliche Männer mit blauen Hosen und Hemden und Baskenmützen auf dem Kopf und roten Gesichtern vom Wein trinken. Es wurde ohne Eile gearbeitet und zwischendurch tranken sie Rotwein in erstaunlichen Mengen aus großen, grünen Flaschen ohne Etiketten. Am Bier hatten sie wenig Interesse und wenn man hin und wieder in ein Gespräch verwickelt wurde - da waren einige, die halbwegs gut Deutsch sprachen - und es in einer Ecke verdächtig knackte, hörte man einfach nicht hin. Wir kamen blendend miteinander aus. - Sollen doch die Büroknüppel von den Versicherungen, die die Ladung versichern, im Sommer acht Stunden lang Bierkartons stapeln. Noch dazu bei dreißig Grad im Schatten in einem staubigen Laderaum. Dann sieht die Welt sicher ganz anders aus und die meisten von denen dürften danach allenfalls noch für den Sperrmüll taugen. Das gilt selbstredend nicht nur für die von den Versicherungen, sondern betrifft die Büromenschen im allgemeinen. - Die Raumwache verfolgt eher den Zweck, den versicherungstechnischen Vorschriften aus Sicht der Schiffsleitung Genüge zu tun. - Also wie überall, immer schön mit dem Hinterteil an der Wand. - Natürlich muss alles im Rahmen bleiben. Wenn große Kisten auf einmal leer sind, oder die Hafenarbeiter schreiben einladend auf die Abfahrtstafel an der Gangway: "Here you can drink German beer" und sind alle besoffen, ist das übertrieben und eine Sauerei. - Ich hatte jedenfalls mit den Rouaner-Hafenarbeitern keine Probleme und als ich am zweiten Tag unserer Liegezeit morgens wieder meine Raumwache bezog, wurde ich freundlich begrüßt. Man wusste sehr wohl zu schätzen dass ich mich nicht wie ein pingeliger Blödmann anstellte.

      Alles war bestens bis auf mein linkes Auge. Da hinein mussten mir Rostsplitter geflogen sein, weil es an Bord keine Schutzbrillen gab was Vorschrift gewesen wäre. Vielleicht gehörten die Schutzbrillen einst bei der Indienststellung zur Grundausrüstung unseres Schiffes; jetzt jedenfalls waren sie weg und mein Auge wurde rot, brannte und tränte ohne dass sich etwas besserte. Ich konnte keinen Splitter entdecken, hatte aber dauernd das Gefühl, Fremdkörper im Auge zu haben. Die Franzosen sahen, dass ich ständig in meinem Auge herum wischte und schließlich fragten sie mich, ob ich nicht besser zur Ambulanz gehen wolle. - Wie das, ich war doch Lukengast und überhaupt, wo gab es hier eine Ambulanz und wie sollte ich dahin kommen? - Da solle ich mir mal keine Gedanken machen, das wollten sie schon arrangieren, erwiderten mir die Männer.

      Als Kraake das nächste Mal an der Luke vorbei kam, sagte ich ihm das mit dem Auge und nachdem er wohl begriffen hatte, dass ich mit nur einem Auge auf Dauer weniger für die Reederei arbeiten konnte ließ er mich widerstrebend durch meinen Macker ablösen.

      In Amsterdam kamen die Hafenarbeiter damals mit dem "Brummfiez", sprich Moped. In Rouen mit dem Fahrrad. - Wenn ich daran denke, dass heutzutage schon der dümmste Schammako wie Graf Rotz mit eigenem Auto herum kreuzt, frage ich mich, ob es noch eine Gerechtigkeit gibt. - Kurz, einer der Arbeiter radelte mit seinem Fahrrad vornweg und ich mit dem seines Kollegen achteran in Richtung Ambulanz. Dort verarzteten mich zwei freundliche französchische Schwestern - ohne Wenn und Aber - leider auch ohne Erfolg. Dannach wurde beraten, was mit mir weiter geschehen sollte.

      Nun lassen Sie mich erklären. Mein Schulfranzösisch war schon immer dürftig und im Laufe der Zeit hatte ich das mühsam Eingepaukte erfolgreich vergessen. Was nützen einem in der Praxis schon angelernte Sätze wie: "Madame Dujardin est furieuse, elle achete ou Magazin du Louvre un fer electric, et cet fer ne fonctionne pas". Da kommt man mit dem Satz: "Bonjour Monsieur Stemmperlein; asseyez-vous", schon etwas weiter. Man kann wenigstens das Wort: "Bonjour" gebrauchen. Man sieht, meine französischen Sprachkenntnisse waren katastrophal. Es wurde mir aber klar gemacht, daß die Ambulanz hier nicht weiter käme und ich umgehend nach Rouen zu einem Augenarzt müsse bevor es für das Auge zu spät ist. - Mit einmal saß ich in einem Taxi und fuhr Richtung City; die Krankenschwestern hatten das bestimmt und kurzer Hand für mich gemanagt.

      Es gibt Städte, da stimmt die Bezeichnung: "Hafenstadt" noch. Man denke nur an Antwerpen und die alten Scheldekai Liegeplätze. Da pulsiert das Leben noch unmittelbar zwischen Stadt und Hafen und die Menschen die dort leben und arbeiten sind stolz darauf. Da sieht man abends von Bord aus die Lichter der Bars und Pinten. Es sind nur ein paar Schritte bis zum nächsten gemütlichen Tresen und die Wirtin wird auch von Glas zu Glas schöner. An warmen Sommerabenden laufen Touristen auf den langgestreckten Aussichtsterrassen entlang und betrachten die Schiffe und Seeleute. Man stelzt ordentlich breit herum auf dem Dampfer und macht ein wichtiges Gesicht, wenn man etwa die Vorspring durchholt oder einen Fender zwischen Pier und Bordwand richtet. Die Leute schauen dann ganz ehrfürchtig und der eigene Rostdampfer kommt einem plötzlich gar nicht mehr so heruntergekommen und schäbig vor. Andere Städte hingegen - und diese sind leider in der Überzahl - verdienen die Bezeichnung "Hafenstadt" nicht. Es ist so, als würde sich die Stadt ihres Hafens schämen. Er liegt irgendwo