sich nur dreckig und das Sprichwort: "Er sank von Stufe zu Stufe - zuletzt wurde er im Hafen gesehen", ist keine Erfindung von mir, sondern leider an der Küste ein verbreitetes Vorurteil.
Nun, von den Hafenanlagen von Rouen bis in die Innenstadt muss es auch ein ordentliches Stück gewesen sein. Jedenfalls fuhr ich einige Zeit mit dem Taxi durch die Gegend. Schließlich hielt der Wagen vor der Praxis eines Augenarztes. Es war um die Mittagszeit und der Taxifahrer der gottlob! bei mir blieb, musste eine Weile klingeln, bis uns jemand aufmachte. Der Augenarzt war ein feingliedriger Mann im dunklen Anzug, der geflissentlich über mein schäbiges Aussehen hinweg sah, obgleich ich ihm wahrscheinlich den Mittagsschlaf verdorben hatte. Vom Taxifahrer wusste er, dass ich vom Hafen kam, das genügte ihm. Dass ich unmittelbar aus der Ladeluke eines deutschen Frachters gestiegen war, der Bierkisten für Conakry in Guinea geladen hatte, interessierte ihn nicht. Ich hätte es ihm auch beim besten Willen nicht erklären können. - In einem dunklen Raum mit kompliziertem Gerät, holte mir der Doktor - dessen Namen ich leider vergessen habe - in einer längeren Aktion drei Rostsplitter aus dem linken Auge, die tief in die Hornhaut eingedrungen waren. Danach kam das, was man bei uns vornehm mit "ärztlicher Liquidation" bezeichnet. Der Augenarzt schien einigermaßen fassungslos und fragt immer wieder: "No l'argent?" "No money?" No plata?" - No! Nichts! Nada! Was sollte ich auch aus meinen verstaubten Hosentaschen hervor zaubern. Da gab es keine Piselotten, lediglich ein Taschenmesser mit eingebautem Flaschen- und Dosenöffner. Der Doktor gab sich damit naturgemäß nicht zufrieden. "Quelle est le nombre de Companie?" Oh weh! "Memel Transportschifffahrts GmbH und Co". "C'elle"? Ja Donnerschlag, ich konnte doch nichts dafür, dass ich nicht Kapitän der Messagerie Maritime war. "Quelle est le nombre de bateau?" "Shipsname, you know?" Schon gut, schon gut - in Bitching-Inglish war ich dem Mann garantiert überlegen - ich hatte verstanden. "Bateau Elfried!" Diese Information erschien dem Doktor wiederum zu dürftig, vielleicht hatte er auch andere Vorstellungen und erwartete einen eindrucksvolleren Namen. "Quelle est le nombre de Capitaine?" - "Jan Qualsterkamp!", log ich jetzt dreist. Der Doktor stand mir quasi Auge in Auge mit hängenden Schultern gegenüber. Jetzt nachdem alles wieder in Ordnung war, konnte ich ihn schon besser erkennen. Wir starrten uns schweigend an. Ich hätte ihm allenfalls noch sagen können, dass Madame Dujardin furieuse ist, weil man ihr im Kaufhaus Louvre ein kaputtes Bügeleisen angedreht hat. Aber das ließ ich lieber bleiben. Schließlich verabschiedete er mich mit einem hilflosen Kopfnicken und sah noch ganz verdutzt aus, als ich ihm ein schulmäßiges: "Bonjour, Monsieur Docteur, merci beaucoup" an den Kopf warf. - Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Reederei jemals eine Rechnung in meiner Angelegenheit bekommen, geschweige denn bezahlt hat.
Zurück an Bord wollte mich Kraake gleich zusammen schxxxen, wo ich denn solange abgeblieben sei. Aber da ließ ich mir nicht an den Wagen fahren und wurde ganz pampig und den Taxifahrer schickte ich auf die Brücke zu unserem Alten von wegen der Rechnung. Der Alte staunte nicht schlecht, denn da kam sicher einiges zusammen, was meine monatliche Heuer überstieg.
Kurz danach liefen wir aus und waren mit unserem langsamen Zossen fast drei Wochen auf See nach Westafrika. Da hätte ich ganz schön Schwierigkeiten bekommen mit meinem Auge, oder um es deutlich zu sagen, das Auge wäre mit Sicherheit nicht mehr zu retten gewesen.
~ ~ ~
Ostern auf dem Saloum River (Senegal)
Für unseren neuen I.O. war es nicht einfach mit dem Kapitän klar zu kommen. – Heute denke ich die Chemie hat von Anfang an nicht gestimmt zwischen den beiden. – Ich war damals Schiffsjunge an Bord und normal hätte ich das alles nicht mitkriegen dürfen. Aber der I.O. war ständig schlechter Laune und brüllte häufig so laut an Deck herum, dass es der Letzte hören musste, also auch ich, der Moses. – Nur mal als Beispiel, der I.O. saß in seiner Kammer und erledigte Schreibarbeiten oder sonst was. Währendem ließ der Alte den Bootsmann auf die Brücke kommen und gab Order, sämtliche Ladebäume schon mal hoch gehen zu lassen, die Persennige von den Luken zu ziehen und die Luken zu öffnen. - Das, obgleich der Zossen nicht an der Pier lag, sondern es noch 3 Stunden Revier Fahrt bis zum port of Destination waren. – Der Erste dagegen hatte für uns peoples eine ganz andere Arbeit vorgesehen die nun liegen blieb. D.h. der Alte pfuschte dem Ersten dazwischen nur um Zeit zu schinden, damit sich die Hafenarbeiter in Kaolak sofort wie die Ameisen über unseren Zossen her machen konnten. Dass so etwas auf Dauer nicht gut geht kann man sich denken.
Die Alten Westafrikafahrer von HMG, Bastian der Flensburger Schiffspartenvereinigung und andere sind damals wie wir regelmäßig den Saloum River hoch nach Kaolak gefahren um Stückgut zu löschen und Expeller zu laden. Das dieses gepresste Ölkuchenzeug ein gewaltig staubiger Dreck war in der Art Kohlenstaub nur in gelb, erwähne ich hier nur nebenbei. Andererseits war Kaolak aber nicht schlecht. Meistens lag man dort einige Tage und nachts wurde nicht gearbeitet. – Moment mal Männer ihr freut euch zu früh auf eine entsprechende Geschichte von mir. Diesmal ist es nicht das Thema, ich bleibe sauber. – Damals war ich noch nicht so lange an Bord und weil die peoples natürlich abends alle an Land gehen wollten, hat mich der Scheich häufig zur Nachtwache verdonnert. Wenn er dann nachts mit ordentlich einem in der Krone längs die Pier zurück an Bord getorkelt kam, hab ich ihn dafür von oben mit Kartoffeln beworfen. Das war so meine kleine Rache.
Aber das wollte ich ja gar nicht erzählen. – Von See kommend war damals die Einfahrt zum Saloum River nicht einfach zu finden, weil es dort keine Leuchtfeuer, keine markanten Landerkennungsmerkmale wie Berge ja nicht einmal eine Ansteuerungstonne gab. – Die Navigation musste schon stimmen, damit man mit dem Point of Destination nicht zu weit nördlich oder südlich lag. Sonst war man am Suchen. – Das ist uns immerhin einmal passiert mit dem Vertreter Kapitän. Oh was waren da die peoples aus dem Fettenkeller am lästern. – Aber wie gesagt, ich war nur der Moses, mich ging das alles nichts an; was nicht heißt, dass ich es nicht mitbekommen hätte. - Entschuldigung, ich bin ja immer noch nicht bei den Eiern - pardon Ostereiern - und ein bisschen brauche ich auch noch bis ich da hinkomme. – Die Flussmündung vom Saloum River war ziemlich breit und wenn man mit dem Zossen halbwegs drin war kam noch ein zweites Hindernis, nämlich eine Barre. Über die Barre kam man nur weg bei Hochwasser, sonst musste der Dampfer vor Anker gehen. Das gleiche Spielchen gab es natürlich auch bei der Ausreise und von so einer Ausreise zur Osterzeit handelt der eigentliche Teil meiner Geschichte.
M/S „ELFRIEDE“ kam von Kaolak, alle 4 Luken randvoll mit Ölkuchen für Mühlen in Rouen oder Dünkirchen und wir waren zu spät dran d.h. hatten das Hochwasser verpasst. – Wir also innerhalb der Barre den Anker weggeschmissen und dann hatte unser Kapitän einen Einfall. – Wenn ich jetzt so schreibe traue ich mich fast nicht mehr weiter zu machen denn die meisten Ehemaligen werden denken, jetzt lücht he allweder de Pit. Dem ist aber nicht so, es ist die Wahrheit und die muss eben nu mal raus. Ein Bootsmanöver wäre ja normal gewesen, aber das Boot aussetzen, um in einem Eingeborenen Dorf welches da irgendwo zwischen Steppe und Savanne im Busch lag, Eier und deren Produzenten einzuhandeln, das konnte nur unserem Alten einfallen. – Das Kapitän Robert C. ein alter Kap Hoornier und zu seiner Zeit ein bekannter Segelschiffskapitän war habe ich an anderer Stelle schon hinlänglich berichtet. Dass er in kleineren Häfen schon mal zusammen mit dem Koch an Land ging um frische Lebensmittel für uns boardpeoples einzukaufen, meine ich auch. Also passte der Osterausflug ganz gut ins Bild. – Unser I.O. war wieder mal stocksauer, weil ihn niemand informiert hatte und während wir eines der Boote klar machten verschwand er wortlos in seiner Kammer. – Für mich als Moses war das ja damals alles so was von aufregend. Ich kam mir vor wie Robinson Crusoe oder besser noch Old John Silver aus der Schatzinsel und dies nur, weil ich dabei sein durfte. – Natürlich hatten wir auf unserem Zossen keine modernen Klappdavits, sondern noch die Alten zum raus schwenken, trotzdem bekamen wir nach einigem hin und her das Boot raus und ganz ordentlich zu Wasser. - Mit 8 Mann plus Steuermann ~ unser Captain ~ war unser Boot voll besetzt und klar zum ablegen. Jetzt half mir meine Bootsausbildung vom PRIWALL, ich wusste Bescheid und konnte mit Krake dem Bootsmann und den beiden Matrosen gut mithalten, während die beiden Assis und Egon aus der Kombüse mit ihren Riemen Ellerbecker Rundschläge vollführten und vom Alten zusammen geschixxen wurden. Nach einiger Zeit klappte es dann aber doch einigermaßen und wir kamen gut vorwärts, dem nördlichen Ufer des Saloum Rivers entgegen.
Kapitän C. musste die Gegend gekannt haben, denn er ließ uns flussabwärts eine Sandbank umrunden und