den Neandertaler
Europa und Westasien waren vor dem Eintreffen des modernen Menschen vom Neandertaler bewohnt. Er stellt die moderne Variante des Homo erectus dar, welche sich aus afrikanischen Wurzeln innerhalb eines langen Zeitraums in Europa in Anpassung an das oft eiszeitlich kalte Klima ausgebildet hatte. Bis vor kurzer Zeit kannte man keinen Neandertaler, der älter als 120 000 Jahre alt war und damit aus der Anfangsphase der jüngsten Eiszeitperiode stammte. Neuerdings hat man aber in der nordspanischen Höhle Sima de los Huesos bei Atapuerca Schädel entdeckt, die schon vor 430 000 Jahren einen ersten Übergang zur Physiognomie des Neandertalers zeigen. Es ist sogar gelungen, eine 400 000 Jahre alte DNS zu identifizieren – und diese hat eine starke Ähnlichkeit mit jener des frühen sibirischen Denisova-Menschen.
Die Neandertaler wiesen einen gedrungenen und muskulösen Körperbau auf mit einem schweren Skelett, welcher einen günstigen Wärmehaushalt erlaubte. Schlanke Körper mit hoher Wärmeabgabe sind einem kalten Klima offensichtlich ohne großen äußeren Schutz nicht gewachsen. Dieser Körperbau hat dem Neandertaler allerdings einen schlechten Ruf eingetragen, als seine Knochen erstmals 1858 in einer Höhle im Neandertal bei Düsseldorf gefunden wurden: Experten erklärten sie einmal als Reste eines mongolischen Kosaken und zum anderen Male als die eines Schwachsinnigen. Der örtliche Naturkundelehrer meinte, dass es sich um die Knochen eines Mannes handele, der vor der Sintflut Zuflucht in einer Höhle gesucht habe.
Der Neandertaler hat nach dem Eindringen des modernen Menschen in Europa das Mit- oder Gegeneinander zwar schließlich verloren; anderseits verwendete er aber schon Geräte, die man lange Zeit erst als Errungenschaft des modernen Homo sapiens betrachtet hat. So setzte er schon Wurfspeere mit Steinspitze ein. Kürzlich hat man Glättwerkzeuge aus Hirschknochen für Leder der Neandertaler gefunden, welche vom Homo sapiens bisher nicht bekannt sind. Auffallende kulturelle Fortschritte des Neandertalers hat man auch auf der Halbinsel Krim angetroffen, wo der Neandertaler seit 120 000 Jahren, der moderne Mensch aber erst seit 30 000 Jahren nachweisbar ist. Schon vor 50 000 Jahren begannen die Neandertaler dort mit dem Einsetzen feiner Steinabschläge und Klingen in hölzerne Träger und sie waren nach heutiger Kenntnis damit dem modernen Homo sapiens im Orient um einige Jahrtausende voraus. Der Neandertaler hat auch im Mit- und Gegeneinander mit dem eingedrungenen modernen Menschen in Europa beachtliche Entwicklungsschritte gezeigt.
Die dünne Neandertaler-Population muss allerdings ein sehr sensibles ethnisches System gewesen sein. Untersuchungen von A.Briggs und S.Pääbo (Leipzig) führten zu dem Schluss, dass in Europa gleichzeitig nur etwa 1500 Neandertaler-Mütter gelebt haben dürften, welche es bis zur Großmutter gebracht haben. Bei noch stärkerer Verdünnung der Population, wie sie durch das Eindringen des modernen Menschen wohl bewirkt wurde, fehlte dann möglicherweise der Kontakt mit einer ausreichenden Zahl von Menschen für die Durchmischung der Gene. Der Neandertaler könnte so durch erzwungene Inzucht anfällig geworden sein. Er verschwand aus Mitteleuropa und seinen Mittelmeerzentren vor etwa 33 000 Jahren und er wurde in Randgebiete abgedrängt, auf die iberische Halbinsel und an das spanische Mittelmeer, die Krim und den Nordwesten Kroatiens, wo die letzten Reste noch bis zur langen Kaltphase um 29 000 bis 28 000 v.h. überlebten. Bemerkenswert ist, dass der mit seinem Körperbau besser als der moderne Mensch an kältere Temperaturen angepasste Neandertaler nicht in Warmperioden, sondern in einer Folge sehr kalter Temperaturen ausgestorben ist, während der moderne Mensch sie bewältigen konnte!
Die Neandertaler haben sich damals nicht zum erstenmal wegen großer Kälte in wärmere Regionen zurückgezogen: das war auch in einer extremen Kaltphase vor 65 000 Jahren und in der kalten Periode zwischen 40 000 und 35 000 v.h. schon der Fall. Ein neuerer Überblick kam sogar zu dem Schluss, dass die Kerngebiete der Neandertaler-Besiedlung diese wärmeren Zonen waren und dass diese Frühmenschen nur in den wärmeren Interstadialen in die sonst kalten Regionen, wie das Neandertal, vorgerückt seien.
In der extremen Kaltphase nach 30 000 v.h., welche auch zum Aussterben einiger Tiere führte, wie Waldelefant und Waldnashorn, stand der Neandertaler wohl auch in den wärmeren Rückzugsgebieten im Wettbewerb mit dem modernen Menschen: wurde es dort zu eng für die beiden Menschenarten?
Etwa zur selben kalten Zeit, vor 27 000 Jahren, ist auch an einer anderen Stelle der Erde, auf Java, der Homo erectus, dem der Neandertaler zuzurechnen ist, ausgestorben. Damals herrschten gleich über mehrere Jahrtausende eiszeitliche Tiefsttemperaturen (s.Abb. 2)! Lit.2.5
Früher Einwanderungsschub nach Amerika
Zwischen der ostsibirischen Halbinsel Chukchi und Alaska befindet sich die Beringstraße, deren tiefste Stelle heute 46 Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Nach der Rekonstruktion des prähistorischen eiszeitlichen Meeresspiegels bestand dort in der letzten Eiszeit mehrfach eine Landbrücke zwischen den Kontinenten, so auch im Zeitraum von 38 000 bis 30 000 v.h. Aber hielten sich damals auch Menschen im kalten Sibirien auf? Das sibirische Klima war – im Gegensatz zu Europa – kaum mehr vom Ausfall des Nordatlantikstroms betroffen. Deshalb war die Temperaturabsenkung dort in den kalten Zeitabschnitten vergleichsweise geringer als in Europa und es fielen auch so geringe Niederschläge, dass es in tiefer gelegenen Gegenden nicht zur Ausbildung dauerhafter Eisdecken kommen konnte. Zumindest in den etwas wärmeren Phasen füllten sich daher die sibirischen Weiten mit Großwild, wie dem Mammut. Offensichtlich haben damals Menschen bei der Verfolgung von Wild auch die Passage nach Amerika benutzt, ohne zu ahnen, dass sie einen neuen Kontinent betraten, welcher sich später bei der Beendigung der Eiszeit vom heimatlichen Großkontinent Eurasien trennen sollte.
Eine so frühe Besiedelung Amerikas war lange Zeit sehr umstritten. Vor allem US-amerikanische Forscher haben fast leidenschaftlich dafür gekämpft, dass Amerika nur in einer einzigen Einwanderungswelle, etwa um 13 000 v.h., aus Eurasien erreicht worden sei. Die Ergebnisse genetischer Untersuchungen an heute lebenden Menschen sprechen aber dagegen: der Pionier der Humangenetik L.Cavalli-Sforza errechnete aus der genetischen Distanz zu den Nordostasiaten eine erste Ankunftszeit der Menschen in Amerika von 32 000 v.h., d.h. gegen Ende des warmen Denekamp-Interstadials. Auch Untersuchungen an Schädelformen legen eine zweimalige Einwanderung in Amerika nahe und solche an Zahnformen sogar eine dreimalige. Lit.2.6
Kaltzeiten mit kurzen Warmperioden: Kunst der prallen „Venus-Figuren“
Die schon geschilderten großen Kunstperioden in Europa, in denen Kunstwerke aus Mammutelfenbein, wie die Venus vom Hohlefels und der berühmte Adorant (Hengelo-Interstadial) und der „Löwenmensch“ (Denekamp-Interstadial) entstanden, waren durch lange Warmzeiten mit einer Dauer von mehreren Jahrtausenden innerhalb des letzten eiszeitlichen Zyklus gekennzeichnet. Die nächste Kunstperiode, das Gravettien, hingegen charakterisieren nur kürzere wärmere Abschnitte innerhalb einer sonst recht kalten Zeit. Offensichtlich brachten aber auch sie den Zyklus aus Vermehrung der Bevölkerung und Erwachen des Kunstschaffens zumindest zeitweise wieder in Gang. Vor allem in Frankreich und in Mittel- und Osteuropa breitete sich nun eine kleinfigürliche Kunst aus in einem sehr weiten Raum, der bis zum Baikalsee reichte. Die meisten Funde aus den kühleren Gegenden stammen aus den Zeitabschnitten zwischen 27 000 und 25 000 Jahren v.h. mit 2 wärmeren Temperaturspitzen. Die späteren Funde aus den wieder kälteren Phasen konzentrieren sich auf wärmere Regionen wie Frankreich und Italien.
Häufig finden sich Darstellungen von „Urmüttern“ mit einer prallen überbetonten Weiblichkeit. In dieser von wiederkehrenden und oft langen Kälterückfällen geprägten Zeit war ja das Überleben der Familien ganz wesentlich abhängig von der Lebenskraft der Frauen, welche die Kinder zu gebären und zu ernähren hatten. Eine unbedingte Voraussetzung hierfür waren ausreichende Fettreserven. Am bekanntesten von vielen tragbaren Kleinfiguren aus unterschiedlichen Materialien ist die etwa 26 000 Jahre alte Kalksteinstatuette der „Venus von Willendorf“ in der Wachau. Eine etwa gleich alte Kalksteinfigur aus Kostienki in Russland weist eine große stilistische Ähnlichkeit auf – trotz einer Entfernung der Fundorte von zweitausend Kilometern. Auch Funde von Dolni Vestonice in Mähren und vom Baikalsee stammen aus dieser wärmeren Epoche. Lit.2.7
Die Eiszeit erreicht ihren Höhepunkt und das Meer seinen Tiefpunkt
Vor etwa 22 000 Jahren näherten sich die