Jürgen Walter

Verbrannte Schiffe


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des Beifalls der anderen gewiss, um. Noch ehe er antworten konnte, mischte sich Alfons ein, einer der grobknochigen Verteidiger, sonst neben Ali und Anselm der Stillste der Truppe, schon weil ein Sprachfehler seine Sätze und Wörter mit Verzögerung anspringen ließ. D-das w-war nicht seine Schuld, sagte Alfons, k-konnte doch keiner w-wissen, dass wir gegen Asoziale spielen. Bis auf Anselm und Ali, die sich traditionell aus Diskussionen heraushielten, protestierte die übrige Mannschaft gegen die Einlassung mit lautem Murren, und so entschloss er selbst sich, die Attacke zu erwidern, indem er die Verantwortung auf ungenannte Schultern verlagerte. Er habe die Gegner nicht ausgesucht, die Spiele seien schon im Vorfeld vereinbart worden. Damit setzte er die Meute auf Millers Fährte, was diesem in seiner zehntausend Kilometer entfernten Residenz nicht schaden konnte. So ließ er Hernan, dessen frischer Ruhm als Retter vorerst nicht angekratzt werden durfte, aus dem Spiel. Während der Elan von Elvis’ Angriffs langsam verpuffte, gab Alfons zu bedenken: A-aber wir sollten in Zukunft n-nicht mehr gegen Assos spielen. Das werde auch nicht mehr geschehen, beruhigte er sie in der Hoffnung, die kargen Informationen, die ihm Hernan gegeben hatte, seien richtig. Das nächste Match würden sie gegen die Betriebsmannschaft eines deutschen Automobilherstellers bestreiten – sind aber auch Fidschis, war der dicke Dirk, der aus dem deutschen Osten stammte, ein - , und in den anderen beiden Städten gebe es gar keine Elendviertel wie hier in der Hauptstadt, mithin keinen derartigen menschlichen Abschaum.

      Blieb eine Frage offen, und es war Emil, der Kapitän, der sie aufwarf und gleich zu beantworten suchte. Wir sind keine elf Mann mehr, weil diese Knauser keine Reservespieler haben mitfliegen lassen, sagte er, der Miller gleich zwei gute Freunde für diese Funktion vorgeschlagen hatte. Am besten, er blickte ihn als Expeditionsleiter an, du kaufst dir gleich Schuhe und Klamotten, weil dir die von Stan nicht passen. Er wusste, dass dies für ihn nicht in Frage kam. Trotz seines praktisch ununterbrochenen Konsums selbstgedrehter Zigaretten aus holländischem Tabak verfügte er immer noch über eine relativ gute Kondition, wie gelegentlich Fernwanderungen belegten, als Sportler aber hatte er von früher Kindheit an in allen Disziplinen versagt. Ihm fehlten Biss, Härte und Timing, wie Trainer zu sagen pflegten, und obwohl er sich Fußball ganz gern im TV ansah, wäre er auf dem Platz viel zu unbeholfen gewesen und hätte zu große Angst vor Verletzungen gehabt. Es war seine Aufgabe, das Team unbeschadet wieder nach Deutschland zurückzubringen (woran er allerdings bereits zu einem Elftel gescheitert war), nicht die, sich vor ihm lächerlich zu machen.

      Ich habe nie Fußball gespielt, sagte er und fügte, als er in den meisten Mienen las, dass dieses schwächliche Argument nicht akzeptiert wurde, schnell hinzu: Außerdem habe ich ein kaputtes Knie und darf keinen Sport machen. Anordnung des Arztes. Das sei ganz egal, erwiderte Emil. Und wenn du als Eckfahne herumstehst, Hauptsache, wir sind wieder elf Mann! Hernan fragte ihn, was der Streit zu bedeuten habe, und er übersetzte den Gesprächsinhalt langatmig, weil er Zeit gewinnen wollte. Während Hernan nur abschätzig die Lippen verzog und etwas von „Maya-Ritualen“ murmelte, sprang unversehens Bernal, der mitgehört hatte, als Retter in die Bresche. Er bot an, für Stan zu spielen. Früher in Cáceres habe er ein paar Jahre in der Jugend eines Vereins gekickt. Ich habe sogar noch Sportklamotten, sagte er, wenn auch nicht ganz in euren Farben. Das Angebot wurde rasch ins Deutsche übersetzt. Hör mal, wir sind eine deutsche Truppe, sagte der dicke Dirk, brach dann aber unvermittelt ab, weil er sah, wie Ali den Kopf schüttelte. Also gut, meinetwegen, entschied Kapitän Emil, konnte sich aber einen Seitenhieb gegen ihren Expeditionsleiter nicht verkneifen. Besser als diese Pfeife wird der Tolero allemal sein. Die Frage war geregelt, und die beiden Spanier verzogen sich zu dem Loch, in dem sie hausen mochten, um ihr Gepäck zu holen.

      Er hatte seine Sachen schon in der Frühe gepackt und konnte sich in aller Ruhe eine Zigarette im Foyer des Hotels gönnen, während die anderen ihre Zimmer räumten. Er sah aus den Augenwickeln, dass ihn der Mann an der Rezeption halb misstrauisch, halb verächtlich beobachtete, und glaubte den Gedankengang des Portiers nachvollziehen zu können. Ein lauter, protziger Gringo, fett, rotgesichtig und ohne ein Wort Spanisch, ist eine unangenehme Sache; aber er wirft mit Zaster um sich, und man kann ihn leicht übers Ohr hauen. Ein Gringo aber, der kein Geld hat, sich seine fertige Zigaretten zu kaufen, muss knauserig sein und – wenn er auch noch die Sprache versteht – vermutlich krankhaft misstrauisch.

      Es war ihm egal. Er genoss die Augenblicke, in denen er allein war, da sie ihn an eine Zeit erinnerten, in der er allzu oft ohne jede Gesellschaft hatte auskommen müssen; Nostalgie ist eine dialektische Angelegenheit, die einst schmerzliche Erfahrungen in jetzt ersehnte Zeitabschnitte verwandeln kann. Doch nicht nur seine Landleute störten ihn, auch Hernan und sogar Bernal, diese seltsamen Wiedergänger irgendwelcher iberischer Archetypen, auf die man ohne jede Wahrscheinlichkeit, wie von einer blinden Vorsehung ausgesandt, mitten in der riesigen Stadt traf. Ohne sie alle konnte er an die Hoffnungen, an den durch kleine Erfolge genährten Optimismus bei seiner ersten Ankunft hier denken, an die gedämpften, aber immerhin noch vorhandenen Erwartungen bei seiner zweiten Reise, nun aber nahm ihm der Gedanke an die inzwischen verflossenen ereignislosen Jahre, diese hohle und abgestandene Zeit, den Atem, und lästigerweise vollzog der Körper die Krisis der Seele nach; er verschluckte sich am Zigarettenrauch, hustete, röchelte und spuckte auf den Eingangsläufer, sehr zur Missbilligung des Rezeptionisten, wie er bemerken musste. Er setzte sich mit dem Rücken zum Empfang in einen Sessel. Die Zeiten hatten sich geändert, und er in ihnen, aber auf eine ziemlich deprimierende Weise. Als er vorgestern den skurrilen Alten, den vorgeblichen Konsul, getroffen hatte, war ihm dies peinlich gewesen, die Begegnung war aus dem Rahmen des allgemein Akzeptierten, des Normalen, das er eigentlich nicht akzeptierte, dem er sich aber mittlerweile unterordnete, gefallen. Früher hätte er die Begegnung – allerdings ohne die anschließende Prügelei - als Erlebnis, als Stoff für eine später im Freundeskreis zu erzählende Anekdote empfunden, heute deutete er sie als peinlichen Eklat mit schalem Vorgeschmack auf weitere Unannehmlichkeiten, was sich dann ja auf dem Fußballplatz bewahrheitet hatte; und mittlerweile wusste er nicht einmal mehr, wem er überhaupt davon erzählen konnte. Zwei Dinge fühlte er, die ihm fast körperliches Unbehagen einflößten: Er begann, immer schneller alt zu werden, und in diesem Land, „so fern von Gott und so nah an den Vereinigten Staaten“, wie ein mexikanischer Diktator vor langer Zeit geklagt hatte, war in den letzten Jahren nicht viel Erfreuliches geschehen. Die Aufgaben, die er sich einst gestellt hatte, waren unerledigt geblieben, und gleichzeitig war der Aufbruch in die Zukunft, in das klare Licht, der in Mexiko so sehr erhofft und in mit Blut geschriebenen Manifesten so häufig gefordert worden war, offenbar nach wenigen Schritten im Morast der Korruption und im Schutt der barrios steckengeblieben zu sein. Vielleicht musste er aber auch nur bescheidener werden, „realistischer“ nannte man das wohl. Seine jetzige Aufgabe war, eine deutsche Fußballmannschaft aus der Sierra ans Meer zu führen.

      II. Verräterstädte

      Die Geschichte der Entstehung, der Blütezeit, des Niedergangs eines Landes, eines Volkes oder einer Eroberung ist meist auch eine Chronologie des Verrats, an den eigenen Hoffnungen, den eigenen Leuten, den falschen Freunden, den gutgläubigen Verbündeten, den ehrlichen Feinden und den arglosen Nachbarn, die sich noch gar nicht für Feinde hielten. In Mexiko fühlten sich die spanischen Hidalgos auf ihrem Kriegszug nach Tenochtitlan verraten, verkauft, in die Falle von Cholula gelockt. Doch als sie sich Alliierte für die Kampagne gegen das große Reich suchten, als sie Befreiung vom aztekischen Joch und ein Goldenes Zeitalter mit unter den Menschen wandelnden Göttern versprachen, hatten sie den Betrug bereits im Hinterkopf. Und ihre späteren Leibeigenen verrichteten erst einmal gleichberechtigt die Blutarbeit für sie. Bei Verrat und Intrige spielen oft Frauen die herausragende Rollen, da sie als Waffen gelten, eingesetzt von den Angegriffenen, wo sie doch immer schon Waffenträger waren. Mal verrät eine Frau ihre eigenen Leute an die bärtigen Götter, dann wieder liefern andere lieber die Eroberer ans Messer. Auf die Dauer scheint sich alles auszugleichen, tut es aber nicht, weil bei jedem Verrat viel menschliche Substanz auf der Strecke bleibt.

      6

      Sie fuhren am frühen Nachmittag in Cholula ein. Cholula, jetzt ein flaches, ruhiges Städtchen mit einem riesigen Hauptplatz, einst eine sakrale Azteken-Metropole, Schauplatz beidseitig gebrochener Eide und Versprechen. Die einen, nicht mehr so ganz überzeugt von der Gottgleichheit der zottigen übers Meer gekommenen Weißen, hatten versucht, das heilige Gebot der Gastfreundschaft mit