Jürgen Walter

Verbrannte Schiffe


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je bei Hernan erleben würde. Die beiden Spanier nötigten ihn zu einem Mezcal, und plötzlich begann sich Hernans Zunge zu lösen. Er fiel in einen Monolog, dessen Ausgangspunkt ebenso unklar zu sein schien wie sein Bezug zur bevorstehenden Tour. Dies ist eigentlich ein großes, reiches und schönes Land, sagte er, aber es ist auch hart und karg; es hatte nie genug, um die Krankheit unserer Herzen zu heilen. Und die Menschen hier sind grausam, sie glauben an Götzen und begehen in ihrem Wahn blutige Verbrechen. Wir – mit einer Handbewegung schloss er den anderen, Bernal, mit ein – sind Spanier und werden stets Spanier bleiben, wo immer wir leben. Wir haben Tradition, Kultur und Glauben, aber hier sind wir Fremde geblieben, obwohl wir auf den Trümmern ihrer alten gottlosen Welt eine neue aufgebaut haben. Man kann unter den Menschen in diesem Land Alliierte und Freunde gewinnen – und Freundinnen, unterbrach Bernal grinsend - , aber die meisten sind misstrauisch und hinterlistig. Sie sind tapfer, doch wenn man ihnen den Rücken zuwendet, töten sie ohne Skrupel. Das sind keine edlen Wilden, sie legen Hinterhalte und begehen Verrat, wann immer es ihnen vorteilhaft erscheint. Und ihre Weiber sind Megären oder Huren, allesamt, bis auf die eine... Als Hernan tief Luft holte, versuchte er, die düstere Suada mit der Frage, warum die beiden dann in einem so unwirtlichen Land lebten, aufzuhellen, doch der rätselhafte Spanier nahm keinerlei Notiz von seinem Einwurf. Wenn sie einen Herren über sich sehen, einen Gott, einen Kaziken, einen Caudillo, werden sie zu knechtischen Kreaturen. Im Krieg aber sind sie fanatische Kämpfer. Wir werden uns dennoch den Weg zur Küste bahnen.

      Er war verwirrt. Aus dem Mund eines Mannes, mit dem er die nächsten Tage verbringen musste, der ihn bei der Bändigung eines Haufens deutscher Hooligans unterstützen sollte, klangen solche Sätze beunruhigend. Er konnte nur hoffen, dass Hernan lediglich betrunken war und sich hier nicht der Beginn einer weltfremden Hybris oder handfesten Psychose andeutete. Er suchte den Blick von Bernal, doch der hatte den Kopf gesenkt und starrte mit zusammengepressten Lippen in sein leeres Glas. Er entschloss sich, Hernans sonores Gefasel dem Alkohol anzulasten, was ihm aber auch nur kurzzeitig Erleichterung verschaffte. Als Ausländer zusammen mit anderen Fremden, die im Suff aggressiv werden mochten – und Hernan hatte nicht gerade sehr friedfertig geklungen - , in einer Cantina in Streitereien mit Mexikanern zu geraten, glich einem Himmelfahrtskommando. Als er sich umsah, stellte er allerdings erleichtert fest, dass die Trinker an der Theke nichts von dem Monolog, der zwar eindringlich, aber leise vorgetragen worden war, registriert hatten und sich stattdessen mit zunehmender Intensität über die Betrügereien bei der letzten Präsidentenwahl stritten. Bernal schien seine Gedanken erraten zu haben. Als Hernan die nur durch einen Plastikvorhang vom Gastraum abgetrennte Pissrinne aufsuchte, sagte er: Keine Sorge, er wird keine Probleme machen. Er träumt nur manchmal von längst vergangenen Zeiten, und die waren glänzend, meistens wenigstens.

      Als sie kurze Zeit später zu Dritt aus der Cantina stolperten und sich auf den Weg zu ihrem Hotel machten, hörte er Hernan einzelne Worte und unzusammenhängende Sätze vor sich hin murmeln, in einem Ton, in dem hilfloser Zorn und konfuse Drohungen mitschwangen. Nach Veracruz werdet ihr kommen, das schon, glaubte er zu verstehen, aber dort ist nichts mehr. Dort werden keine Schiffe auf euch warten. Er sah Bernal fragend an, aber der ging stoisch die Straße entlang, als habe er nichts gehört.

      5

      Dies war kein Freundschaftsspiel unter Besoffenen, es hatte nichts mit Millers Event-Blödelei zu tun; es war knochenharter Kampf. Zwar hatten die Gringos einige Flaschen eisgekühlten mexikanischen Bieres an ihrer Torauslinie deponiert, doch sie kamen kaum dazu, sie zu trinken, denn ihre Gegner, kleine, sehnige Mestizen mit wenig Sinn für Fairplay und großem, vom ständigen Leben in der Höhenluft erweitertem Lungenvolumen nahmen das Match bitterernst. Das Spielfeld, graslos und staubig, lag außerhalb von Magalopolis an der Strecke nach Toluca. Selbst die letzten Slumgürtel hatten sie hinter sich gelassen, um in einer Gegend, die nicht mehr Land, aber noch nicht Vorstadt war, gegen Leute zu spielen, die unmöglich einem regulären Fußballverein angehören konnten. Es fehlte an einheitlichen Trikots, einige spielten barfuß, traten aber härter zu als die meisten Deutschen in ihren mit Stollen bewehrten Sportschuhen.

      Wo kommt denn die Mannschaft her? fragte er Hernan, der die vier Spiele bis zum Rückflug von Veracruz nach Ciudad de México vereinbart, folglich auch die Gegner verpflichtet hatte. Obwohl er es hätte wissen müssen, als die ersten Flüche seiner gefoulten Deutschen hörbar wurden, als sich die ersten Handgreiflichkeiten abzeichneten, erschütterte ihn die Antwort des Spaniers. Das sind Männer aus den barrios, sagte er, die einzigen, die ich in der Eile auftreiben konnte, denn am Sonntag bleiben die Vereinssportler meistens bei der Familie, wenn sie kein Ligaspiel haben. Die nächsten Begegnungen werden mit ordentlichen Mannschaften stattfinden. Aus den barrios stöhnte er hörbar, dann rekapitulierte er im Stillen, dass diese Gegenspieler aus den Elendsvierteln stammten, durch die sie kilometerweit gefahren waren: Die Straße hatte eine Bresche in die primitiven Ansiedlungen moderner Jäger und Sammler geschlagen. Links und rechts dieser Furche tauchten Anhäufungen von Hütten aus Plastik und Pappe und – wenn es hoch kam – Wellblech auf, trostlos in ihrem Anblick, ausweglos für die Gefangenen, die dort festsaßen, jede Hoffnung fahren gelassen hatten und sich gedanklich oder eher instinktiv mit Raub, Diebstahl und Vergewaltigung beschäften, weniger mit Fußballregeln. Als ob der Eindruck einer Vorhölle, eines nihilistischen Ghettos bestätigt werden sollte, hatten die Eigentümer einer Müllkate ein Stück Schlamm drum herum mit Stacheldraht eingezäunt. Um Hehlerware zu schützen? Um Inzuchttöchter zu behüten und feilzubieten? Aus diesem inneren Kreis der Hölle stammten also die Akteure auf der anderen Seite, aus einer unveränderlich negativen Idylle aus Schmutz und Mangel, in deren Hintergrund die Schwaden der ewig stampfenden, pulsierenden, diffus produzierenden Großen Stadt in den gelben Himmel stiegen.

      Bereits kurz nach Beginn des Spieles hatte die Spaßmannschaft begriffen, dass ihr hier nicht eine lockere Übung bevorstand, sondern eine Schlacht. Doch erst als sich ein Mann am Boden krümmte, nach einem Foul, das lebhaft von den drei Dutzend mexikanischen Zuschauern beklatscht wurde, was wiederum beinahe zu einer tätlichen Auseinandersetzung der Gringos mit dem Publikum geführt hätte, war auch dem letzten Deutschen aufgefallen, dass kein Schiedsrichter auf dem Platz war. Eine Weile ging es noch gesetzlos weiter. Stürmer wurden von den Beinen geholt, mit saugendem Geräusch prallten nur durch dünne Fleisch- und Hautschichten geschützte Knochen aufeinander, alle Augenblicke wälzte sich ein Spieler auf dem Boden. Zwar traten die Deutschen nun ebenso wie ihre Gegner zu, doch diese waren schneller, wirkten zäher und schienen über mehr kriminelle Energie zu verfügen. Als der Abbruch der Partie drohte, einigten sich die Teams auf Bernal, den offenbar beide Seiten respektierten, als Unparteiischen.

      Von Beginn an waren die elf Deutschen gut mit Bernal zurechtgekommen. Er sprach eine Art Pidgin-Englisch, das einige verstanden, bei den anderen setzte er seine pantomimischen Fähigkeiten erfolgreich ein. Zudem stellte sich heraus, dass einer der großen, breiten Verteidiger, genannt Anselm der Schweiger, einigermaßen Spanisch beherrschte und auch Ali, der Verwandte hatte, die in Barcelona und Zaragoza arbeiteten, ein paar Brocken konnte. So war es wohl vor allem dem komödiantischen Talent und der ausgleichenden Gutmütigkeit Bernals zu verdanken, dass der erste gemeinsam verbrachte Abend in Mexiko nach einem gemäßigten Besäufnis harmonisch und friedlich endete, auch wenn die bösen Zungen der Mannschaft bemängelten, dass Hernan, der nur Spanisch zu verstehen schien und nicht ansprechbar vor seinem Glas sinnierte, und er selbst, der sich früh verabschiedete, Spielverderber seien, Fremdkörper oder – wie es Emil ausdrückte – „Weicheier“. Trotz dieser leichten atmosphärischen Störungen hatte er zum letzten Mal das Gefühl, dass die ganze Tour problemlos vonstatten gehen könnte.

      Da Bernal keine Pfeife hatte, musste er die Halbzeitpause ausrufen. Emil, Kapitän und Wortführer der Mannschaft, kam, um sich zu beschweren. So haben wir uns das nicht vorgestellt, sagte der Torhüter wütend, auf dem Scheißplatz bricht man sich die Knochen, und wenn nicht in einem Rattenloch, dann weil diese Kanaken holzen wie Irre. Tatsächlich hatten beinahe alle Spieler kleinere Blessuren, Risse, Abschürfungen, blaue Flecken, bis auf Ali, der ein eleganter und wendiger Techniker war, und Stan, der den Einheimischen bei seinen Dribblings immer wieder entwischt war. Er wusste, dass sie ihn und nicht Hernan für die Auswahl des Gegners verantwortlich machen würden. Er ging zu dem Spanier, der sich abseits hielt, und bat ihn, auf die Mexikaner einzuwirken, dass sie sich bei den Zweikämpfen ein wenig mehr zurückhielten.