Toni Hartl

WOM


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dem Messingknauf am hinteren Teil war so gefertigt, dass er angenehm in der Hand lag. Diese schwere Waffe - denn als solche konnte man das Ungetüm durchaus bezeichnen - faszinierte Nondol ganz besonders und es erfüllte ihn mit männlichem Stolz, dieses Prachtstück besitzen zu dürfen.

      Des weiteren beinhaltete der Rucksack noch einige Feuersteine, mehrere leere Lederbeutel in verschiedenen Größen, eine verschließbare Trinkflasche, ein Schaffell, das so zusammen genäht war, dass man hinein schlüpfen konnte (sein Vater bezeichnete es als Schlafsack), vier Paar Wollsocken, eine Blechtasse, eine kleine Bratpfanne mit Holzstiel und einiges mehr.

      Nondol wurde aus seinen Gedanken aufgeschreckt, als er hinter der Türe verhaltene Stimmen vernahm. Sofort stand er auf, zog sich an und begab sich in die Wohnstube. Dort hatte sich bereits Mingar eingefunden, der Nondols Eltern am Tisch saß und soeben das Gespräch abbrach, das er gerade noch mit ihnen geführt hatte.

      „Ah, Nondol, haben wir dich geweckt?“ wandte er sich sofort an seinen Großneffen. Und ohne dessen Antwort abzuwarten fuhr er fort: „Gut, dass du da bist. Ich habe dir etwas mitgebracht, ohne das du deine Reise gar nicht anzutreten bräuchtest.“ Damit wies er lächelnd auf den Lederbeutel, der in diesem Moment auf dem Tisch lag und in dem sich der geheimnisvolle, grüne Kristall befand. „Bevor ich ihn dir übergebe, muss ich dir aber noch etwas sagen, das ich dir bisher verschwiegen habe.“

      Oh nein, nicht schon wieder ein geheimes Geheimnis dachte Nondol, ließ sich aber seine Verdrossenheit nicht anmerken.

      Mingar winkte ihn an den Tisch, legte ihm eine Hand auf die Schulter und fasste mit der anderen nach dem Beutel. Nachdem er das Behältnis hochgehoben hatte und soeben zu einer, wie es schien, feierlichen Rede ansetzen wollte, öffnete sich die Türe und Walgin trat schwungvoll ein. Bevor die Türe sich wieder schloss, bemerkte Nondol, dass sich draußen bereits der Großteil der Dorfbevölkerung versammelt hatte.

      Mingar nahm die Unterbrechung gelassen. Er empfing Walgin mit freundlicher Miene und sagte dann: „Oh, gut, dass du kommst, Walgin. Geselle dich doch gleich zu deinem Reisegefährten und höre zu, was ich euch noch zu sagen habe.“

      Nachdem Walgin dieser Aufforderung nachgekommen war, setzte Mingar dort fort, wo er zuvor unterbrochen worden war: „Ich übergebe dir, Nondol, also hiermit feierlich den Kristall, den du in seine Heimat zu bringen beauftragt bist. Bevor ich dies aber tue, möchte ich es nicht versäumen, euch beide eindringlich auf drei wichtige Dinge hinzuweisen.“

      Damit ließ er seine Arme sinken und nahm eine Position ein, bei der er den beiden Jungen gegenüber stand. „Das erste ist: Bewahre den Beutel mit seinem wertvollen Inhalt stets so auf, dass er dir auf keinen Fall verloren gehen kann. Auch dann nicht, wenn du durch einen Fluss schwimmen oder einen Abhang hinunter purzeln solltest. Am besten trägst du ihn deshalb versteckt an deinem Körper unter der Kleidung. Hast du das verstanden?“

      „Natürlich, Onkel Mingar. Das hätte ich ohnehin so gehandhabt.“ Nondol musste sich eingestehen, dass er eine wesentlich bedeutungsvollere Aussage seines Großonkels erwartet hatte. Zufrieden mit dieser Antwort nickte der alte Mann und strich sich seine langen, weißen Haare hinter die Schultern. „Gut. Und das andere sage ich euch beiden.“ Dabei hob er mahnend einen Zeigefinger. „Erwähnt niemals irgendjemandem gegenüber, dass ihr diesen Kristall bei euch tragt“.

      Nach einer kurzen Pause wiederholte er: „Auf keinen Fall! Niemals! Kein Wort! Zu niemandem!“ Dann fügte er in nicht minder eindringlichem Ton hinzu: „Vergesst das bitte nicht. Wie lange eure Reise auch dauern mag und wem ihr auch immer begegnen werdet. Selbst wenn ihr Reisegefährten finden solltet, die eure Freunde werden. Kein Wort davon, dass einer von euch beiden ein Kristall-Bote ist!“ Und dann in einem beinahe schon flehenden Ton: „Bitte versprecht, dass ihr euch daran halten werdet!“

      Walgin und Nondol warfen sich gegenseitig einen kurzen Blick zu, dann nickten sie und gaben das Versprechen, zu schweigen. Beide meinten es ernst und beide fassten den festen Vorsatz, dieses Versprechen nicht zu brechen.

      „Und als Letztes“, damit wandte er sich wieder an Nondol, „musst du mir schwören, den Beutel niemals mehr zu öffnen, solange du dich auf deiner Reise befindest“. Nondol blickte seinen Onkel etwas irritiert an, nickte jedoch auch diesmal zustimmend. „Ich werde ihn nicht öffnen und keinen Blick hineinwerfen. Das verspreche ich“. Damit schien der alte Mann zufrieden.

      „Nawina, Emnor“ wandte Mingar sich nun an Nondols Eltern „ihr werdet euch noch von eurem Sohn verabschieden wollen. Walgin und ich begeben uns jetzt hinaus zu den Anderen.“ Damit verließ er zusammen mit Walgin die Hütte. Draußen hatte sich, wie Nondol vorhin bereits bemerkte, die Dorfgemeinschaft eingefunden. Walgin begab sich stracks hinaus zu seinen Eltern und wurde von seiner Mutter sofort fest in die Arme genommen.

      Mingar aber verschloss hinter sich die Türe und richtete nun ein paar Worte an die Versammlung: „Liebe Freunde“ begann er mit seiner Rede „ihr alle wisst ja mittlerweile, was geschehen ist und weshalb Nondol und Walgin sich auf diese beschwerliche Reise begeben müssen. Ich möchte nicht mehr viele Worte verlieren. Wünschen wir ihnen deshalb nun eine möglichst gefahrlose Reise ohne schlimme Zwischenfälle und ein glückliches Erreichen ihres Zieles. Und natürlich eine baldige, gesunde Wiederkehr. Möge Walon mit ihnen sein!“

      Ein verhaltenes Stimmengewirr erhob sich nun und alle, ob jung oder alt, drängten sich in Walgins Richtung, um ihm einen Gruß mit auf den Weg zu geben und ihm aufmunternd auf den Rücken oder die Schulter zu klopfen. In diesem Moment ging erneut die Hüttentüre auf und Nondol erschien in Begleitung seiner Eltern. Traurig blieben die beiden vor der Hütte stehen, während Nondol sich nun, genau wie Walgin, in die Menge begab um sich zu verabschieden.

      Immer wieder musste Nawina sich beim Anblick dieser Zeremonie mit einem Tuch die Tränen aus dem Gesicht wischen und auch Emnors Augen blieben nicht ganz trocken. Nachdem Nondol sich von allen Anwesenden verabschiedet hatte, ging sein Blick zum Rand der Menge. Dort erblickte er endlich Garlina. Sie hatte sich etwas abseits gehalten und wartete nun darauf, dass er sich zu ihr begeben würde. Dies tat er auch sogleich. Er ging schweigend auf sie zu und eilte in ihre innige Umarmung.

      Lange standen sie so zusammen und drückten einander die Luft aus den Lungen. Dann lösten sie sich schließlich halb voneinander und standen sich gegenüber. Nondol wischte Garlina zärtlich mit dem Daumen die Tränen von der Wange und sie tat desgleichen bei ihm.

      Dann sagte er zu ihr: „Wie lange meine Reise auch dauern mag. Ich vergesse dich nicht, Garlina. Ich werde jeden Tag an dich denken.“

      Nondol hatte in diesem Augenblick das unbändige Verlangen, sie innig zu küssen. Aber das wagten sie beide nicht angesichts der Menge, die sie beobachtete. Garlina überwand sich schließlich, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte mit leiser Stimme: „Geh jetzt, Nondol. Du musst dich auf den Weg machen. Es lässt sich ja doch nicht länger aufschieben. Und sei gewiss; auch ich werde jeden Tag an dich denken.“

      Abermals küsste sie ihn auf die Wange und drängte ihn dann, sich zu seinem Reittier zu begeben. Schweren Herzens folgte er dieser Aufforderung. Kaum hatte er sich einige Schritte entfernt, hörte er noch einmal ihre leise Stimme: „Und danke für gestern Abend.“

      Er hielt kurz inne, schenkte ihr ein warmes Lächeln und setzte dann seinen Gang fort. Noch einmal warf er einen Blick zu seinen Eltern und winkte ihnen zu, während er sich seiner Jendali näherte. Walgin saß bereits in Loskas Sattel, den Rucksack auf dem Rücken und Tränen im Gesicht.

      Nun schwang sich auch Nondol auf sein Reitreh, was sich mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken als gar nicht so einfach erwies. Noch ein kurzer Blick zu seinem Reisegefährten und sie lenkten ihre Tiere sanft in Richtung Süden.

      Immer wieder drehten sich beide nach dem Heimatdorf und der versammelten Menge um. Nach und nach wurden die Freunde und Familienangehörigen