Toni Hartl

WOM


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überschlugen sich die Gedanken. Woher konnte der alte Mann wissen, dass er sich zu Garlina, Krangors Tochter, hingezogen fühlte? Weder Walgin, noch seine Eltern, noch sonst jemand hatte davon eine Ahnung. Niemandem hatte er je davon erzählt. Niemand konnte davon wissen. Am aller wenigsten Garlina selbst! Es ärgerte ihn, dass er so etwas vor seinem scharfsinnigen Großonkel nicht hatte verheimlichen können. Aber wie auch immer – der alte Mann hatte recht damit.

      Irgendwann, ganz langsam und zunächst unbemerkt, war in ihm ein Verlangen nach Garlinas Gesellschaft herangereift. Nach und nach war ihm aufgefallen, dass er sich ihre Anwesenheit herbeisehnte, ihren liebreizenden Anblick, ihr Lachen und ihre Stimme. Er wurde rot und verlegen, wenn sie sich begegneten und er bildete sich seit einiger Zeit ein, dass es auch ihr so erging. Wie oft hatte er nachts vor dem Einschlafen mit offenen Augen davon geträumt, dass sie plötzlich da war, sich zu ihm herunter neigte, ihm ein vielversprechendes Lächeln schenkte und ihn küsste. Und noch mehr hatte er sich vorgestellt.

      Und jetzt war er mit Walgin zusammen auf dem Weg zu ihr und ihrem Vater. Sicher würde er sie dort treffen. Wie sollte er sich nur verhalten? Morgen würde er für lange Zeit weggehen und sie nicht mehr sehen und sprechen können. Ein schrecklicher Gedanke.

      Er musste ihr heute noch sagen, wie er empfand! Ja, das musste er. Mit Mingars Hilfe hatte er schließlich das nötige Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein erlangt. Noch heute würde er ihr sagen, wie gern er sie hatte. Heute konnte er es fertig bringen. Heute Abend war der richtige Zeitpunkt. Denn wenn sie ihn auslachen und abweisen sollte, hätte es den Vorteil, dass er ihr für längere Zeit nicht mehr unter die Augen treten musste. Sollte sie seine Gefühle jedoch erwidern, dann hatte er etwas, woran er während der ganzen Reise denken konnte und seine Rückkehr würde eine besondere Wonne werden.

      Als sie schließlich Krangors Hütte erreichten, klopfte Nondols Herz nicht nur wegen der zwar kurzen, aber rasch zurückgelegten Wegstrecke heftig. Ohne anzuklopfen öffnete er die Türe und sie betraten die große Wohnstube. Bereits beim ersten Blick in den Raum sah er sie am Tisch sitzen. Sie war damit beschäftigt, mit Nadel und Faden den Riss in einem Lederleibchen zu flicken. Überrascht sah sie auf und sein Herz beschleunigte erneut, als er ihr Lächeln sah und bemerkte wie sich kleine Grübchen auf ihren Wangen bildeten und ihre schwarzen Zöpfe im Feuerschein glänzten.

      Krangor holte ihn aus seinen Träumen, als er mit polternder Stimme aus dem hinteren Bereich des Wohnraumes auftauchte und ihm eine seiner Pranken schwer auf die Schulter fallen ließ: „Ah, da seid ihr ja endlich! Hat der Alte euch doch noch vor Anbruch der Nacht entlassen.“ Nicht als Frage, sondern eher als Feststellung hatte er seine letzten Worte lautstark von sich gegeben.

      „Na dann kommt mal her und seht euch an, was ich in den letzten Tagen für euch besorgt habe.“ Damit war er schon beinahe durch die Tür zu einem der Nebenräume verschwunden. Nondol und Walgin beeilten sich, ihm zu folgen, wobei Garlina nicht der geheimnisvolle Blick entging, den Nondol ihr im Vorbeigehen zuwarf.

      Im Nebenraum angekommen, stand Krangor vor zwei recht großen Rucksäcken, die allem Anschein nach, beide prall gefüllt waren.

      „Jeder dieser Rucksäcke“, vernahmen sie erneut die beinah schmerzhafte Stimme „enthält im Grunde die gleichen Dinge. Lauter Sachen, die ich auf Mingars Geheiß zu besorgen hatte. War gar nicht so leicht, kann ich euch sagen. Aber ich denke, nun ist alles da, was ihr benötigt.“

      Damit wandte er sich an die Beiden, zeigte mit einem seiner gewaltigen Finger auf die Rucksäcke und forderte sie auf: „Jeder von euch kann sich einen davon schnappen und mit nach Hause nehmen. Der hier“, damit wies er auf die hintere der beiden Packtaschen „ist für dich Nondol. Und den anderen nimmt sich Walgin.“

      Damit bückten sich beide und nahmen jeweils das ihnen zugewiesene Gepäckstück auf. Überrascht vom beträchtlichen Gewicht schwang sich dennoch jeder von ihnen seinen Rucksack behände auf den Rücken. Bevor sie aber die Stube verließen, nahm Nondol all seinen Mut zusammen und wandte sich nochmals an Krangor: „Ich müsste Garlina noch etwas von Mingar ausrichten. Darf sie uns noch ein Stück des Weges begleiten?“ Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit. Aber hatte sein Großonkel ihn nicht indirekt dazu aufgefordert, sich von Garlina zu verabschieden? Nun ja, großzügig ausgelegt konnte man es so sehen. Walgins überraschten Blick ignorierte Nondol geflissentlich.

      „Na meinetwegen“ war Krangors einsilbige Antwort. Draußen vor der Hütte angekommen, bemerkten sie, dass inzwischen beinahe Dunkelheit herrschte.

      „Was lässt Mingar mir denn ausrichten?“ wollte Garlina neugierig und mit einem undefinierbaren Unterton wissen, nachdem sie sich einige Schritte entfernt hatten. Walgin war ebenfalls neugierig stehen geblieben und Nondol sah sich nun einer peinlichen Situation gegenüber. Aber was half es? Er musste nun sozusagen Farbe bekennen und wandte sich deshalb mit verlegener Stimme an Walgin: „Äh, Walgin, entschuldige, aber würdest du uns bitte einen Moment alleine lassen? Ich hätte da mit Garlina etwas Vertrauliches zu besprechen.“

      Spätestens jetzt wurde seinem Freund klar, worum es ging. Mit einem verstehenden Lächeln wandte er sich ab und trat alleine den Heimweg an. Nach einigen Schritten jedoch wandte er so noch einmal um. „Wir sehen uns dann morgen in aller Frühe, Nondol.“

      Und an das Mädchen richtete er die Worte: „Gute Nacht, Garlina. Du wirst ja wohl auch zu unserer Verabschiedung kommen morgen?“

      Sie nickte nur, blickte dann zu Nondol auf und meinte lächelnd: „Gehen wir?“

      Sie gingen schweigend und sehr langsam. Der Weg war schließlich kurz. Auf nicht einmal halber Strecke blieb Nondol an einer nicht einsehbaren Stelle stehen und drehte sich zu seiner Begleiterin, sodass sie sich nun Auge in Auge gegenüberstanden. Nach einem Blick in Garlinas erwartungsvoll leuchtende Augen brachte er es nach mehrmaligem Schlucken fertig, zu sagen: „Also, es ist so … Es stimmt gar nicht, dass ich dir von Mingar etwas auszurichten habe.“

      „Ach wirklich?“ Am schelmischen Lächeln seiner hinreißenden Begleiterin erkannte Nondol in diesem Moment, dass sie seine Notlüge von Anfang an durchschaut hatte. Aber das machte es auch nicht leichter, wie er feststellen musste. Und dann, nachdem sie erneut eine Weile vergeblich auf seine Worte gewartet hatte, fügte sie lächelnd und in herausfordernder Weise hinzu: „Was hast du mir denn dann so Wichtiges zu sagen, Nondol?“

      Mit den letzten Worten schmiegte sie sich an ihn und legte ihm beide Arme um den Nacken.

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      Als sich die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Morgens durch das Fenster in seine Schlafkammer stahlen, erwachte Nondol aus einem unruhigen Schlaf. Nur eine schwache Erinnerung an seine Träume war übrig geblieben. Er konnte sich aber entsinnen, dass sie sowohl wunderschön, als auch beängstigend gewesen waren.

      Dann kam ihm wieder der Rucksack in den Sinn. Selbstverständlich hatte er am Abend zuvor noch den Inhalt inspiziert und war mehr als überrascht gewesen von den Dingen, die er darin vorgefunden hatte. Kleidungsstücke waren da zum Vorschein gekommen, wie er sie noch nie besessen hatte. Eine mit Schaffell gefütterte Lederjacke und eine ebensolche Hose. Die Hose besaß sogar Schlaufen, durch die ein Ledergürtel gezogen war. Des weiteren fand er zwei erdfarbene Hemden, eines davon aus weichem Leder, das andere aus einem warmen, angenehm weichen Stoff gefertigt.

      Mit Leder besohlte Schuhe, die so robust wirkten, als könne man sein Leben lang damit über spitzes Geröll spazieren, ohne sie zu schädigen. Und dann diese Handschuhe! Auch sie wirkten ungemein strapazierfähig und waren, wie Jacke und Hose, mit Fell gefüttert. Noch nie zuvor hatte er Handschuhe besessen (abgesehen von den wollenen Fäustlingen, die seine Mutter ihm für den Winter gestrickt hatte).

      Dann hatte er noch einige nützliche Dinge vorgefunden, wie ein sehr kleines, handliches Beil und ein beeindruckendes Messer. Dieses saß in einer Lederscheide, die man mittels einer Schlaufe am Gürtel befestigen