Toni Hartl

WOM


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an seinen Freund und es sprudelte aus ihm heraus: „Nondol, was ist denn hier los? Wie ist es denn nur möglich, dass du so schnell wieder gesund geworden bist? Was hat Mingar denn mit dir gemacht? Wieso tut er so geheimnisvoll?

      „He, he, langsam, langsam Walgin“ wurde er von Nondol unterbrochen. „Ich weiß genau so wenig wie du, was hier los ist.“

      „Aber Nondol, du warst gestern am späten Nachmittag noch halb tot. Ich hab deine Verletzung gesehen. Du wärst beinahe verblutet! Und durch die dreckigen Krallen dieses Adler-Mistkerls müsstest du doch eigentlich eine schreckliche Entzündung bekommen haben. Das gibt es doch gar nicht, dass du hier herum sitzt und scheinbar wieder vollkommen gesund bist!“ polterte Walgin erneut los.

      Wiederum musste Nondol den Redefluss seines Freundes bremsen. „Ja, du hast ja recht. Aber das letzte, an das ich mich erinnern kann...“ Nach einer kurzen Atempause musste er erneut ansetzen: „Also ich weiß nur noch, dass mich der Adler angegriffen hat, dann lag ich auf dem Waldboden und du hast mir geholfen, zu Loska zu kommen. Ich weiß, dass ich schlimm geblutet habe und immer schwächer wurde. Dass du mich dann auf Loskas Rücken festgebunden hast, hab ich schon nicht mehr mitgekriegt. Das haben sie mir erst heute erzählt.“

      Bei seinen letzten Worten hatte Nondol sich erhoben und mit beiden Händen über seine Schultern gegriffen, um sein Hemd bis in den Nacken hochzuziehen. Mit den Worten: „Hier, sieh dir das an“ drehte er sich so, dass Walgin einen Blick auf seinen Rücken werfen konnte.

      Dieser schob geistesabwesend seine Schüssel etwas beiseite und stand ebenfalls auf. Mit fassungsloser Miene näherte er sich langsam seinem Freund und fuhr mit der rechten Hand über die Narbe an Nondols Rücken. Er konnte einfach nicht glauben, was er sah. Er war davon ausgegangen, einen straffen Verband vorzufinden unter dem sich eine schreckliche, entzündete Wunde über den Rücken zog. Aber Nondol trug weder einen Verband, noch war etwas zu sehen, das nach einer tiefen, blutenden Verletzung aussah. Alles, was der junge Belmaner erkennen konnte, war eine lange Narbe, die sich neben der Wirbelsäule seines Freundes der Länge nach über den Rücken erstreckte.

      Es war kaum mehr als ein Flüstern, das Nondol nun aus dem Mund seines Kameraden vernahm: „Aber Nondol, das ist doch nicht möglich. Das ist ja völlig verheilt! Du hast da nur noch eine lange Narbe. Und selbst die sieht aus, als ob die Verletzung nicht erst von gestern, sondern bereits vom letzten Sommer wäre.“

      Einige Augenblicke standen sie noch wortlos da und Walgin konnte seinen Blick nicht von der verheilten Wunde lösen. Dann zuckte Nondol mit den Schultern, so als wollte er damit seine Ratlosigkeit zum Ausdruck bringen, und ließ dann sein Hemd wieder über den Rücken fallen. Mit einem erneuten Schulterzucken setzte er sich an den Tisch um mit dem Verzehr seiner Suppe fortzufahren. Auch Walgin nahm seinen Platz wieder ein, griff zum Löffel und machte sich ebenfalls über die verführerisch duftende Suppe her. Nach einer weiteren Weile des Schweigens und Essens meinte Nondol dann: „Ich bin wirklich gespannt, was Mingar uns zu erzählen hat.“

      „Ja, ich auch“ lautete Walgins einsilbige Antwort.

      Danach trat wiederum eine längere Schweigepause ein. Lediglich das leise Klappern der Schüsseln auf dem Tisch und die scharrenden Geräusche der Löffel erfüllten den Raum. Dann endlich brachte Nondol es über sich, seinen Freund anzublicken und rang sich die Worte ab: „Walgin .. ich .. ich weiß, was ich dir zu verdanken habe.“

      Diese Worte kamen nicht deshalb so schwer über Nondols Lippen, weil er sie etwa nicht ehrlich gemeint hätte. Nein, aber es war unter halbwüchsigen männlichen Belmanern einfach nicht üblich, sich sentimentale Gefühle einzugestehen. Das galt als „unmännlich“ und wurde, wo immer möglich, vermieden. Trotzdem legte Nondol nun seine freie Hand sanft auf den Unterarm seines Lebensretters und brachte flüsternd hervor: „Danke, Walgin“.

      Walgins Antwort bestand lediglich in einem Erröten und einem verlegenen Blick in seine Schüssel. Dann schwiegen sie, bis sie ihre Mahlzeit beendet hatten. Und in ihnen beiden reifte die Erkenntnis, dass sie vom Schicksal soeben noch enger verbunden worden waren, als es bisher ohnehin schon der Fall gewesen war.

      Bedeutsamer Auftrag

      Ruhelos schritt Mingar in seiner Hütte auf und ab. Seine Gedanken schweiften unstet umher. Einmal wanderten sie zurück zu längst vergangenen Tagen und Geschehnissen, dann wieder kehrten sie zurück zum gestrigen und heutigen Tag, um sich gleich darauf mit der ungewissen Zukunft zu beschäftigen.

      Während er einen Fuß vor den anderen setzte und mit zu Boden gerichtetem Blick seine Runde drehte, vernahm er plötzlich Schritte vor der Hütte. Die Beiden Jungen kamen. Schon öffnete sich knarrend die Türe und Nondol und Walgin betraten den Raum.

      „Ah, da seid ihr ja“ empfing Mingar sie freundlich. „Das ging ja schneller als ich dachte“.

      Dann ging er rasch an den Tisch, der sich unweit der Feuerstelle befand, setzte sich auf einen Stuhl und gab den beiden Jungen durch ein Handzeichen zu verstehen, dass sie ebenfalls Platz nehmen sollten. Während Walgin der Aufforderung sofort Folge leistete, schloss Nondol noch rasch die Türe und näherte sich dann ebenfalls dem Tisch. Er überlegte kurz, auf welchen der sechs Stühle er sich setzten sollte. Wäre es unhöflich, seinen Platz nicht neben Mingar einzunehmen? Nein, es sollte, wie sein Großonkel bereits angedeutet hatte, ein längeres Gespräch werden. Da war es sicher von Vorteil, wenn sie sich gegenüber saßen. Und so nahm er neben Walgin Platz, sodass sie beide dem alten Mann ins Gesicht blicken konnten.

      Nondol fiel auf, dass auf dem Tisch drei Krüge bereit standen, die alle bis zum Rand mit Honigwein gefüllt waren. Das überraschte ihn. Und er bemerkte, dass auch Walgin die Krüge mit skeptischem Blick betrachtete. Kein Belmaner trank Met, bevor er nicht das Erwachsenenalter erreicht hatte. Was also hatte es mit den Krügen auf sich? Sollte noch jemand zu dieser Besprechung geladen sein?

      „Wie ich sehe, seid ihr überrascht, dass ich euch Met zu trinken anbiete“ eröffnete Mingar mit einem verschmitzten Lächeln das Gespräch. „Nun, ihr habt recht. Das entspricht nicht gerade unseren üblichen Gepflogenheiten. Aber ich versichere euch, ihr müsst euch keine Gedanken machen. Es hat einen guten Grund, dass ich euch zu diesem Getränk einlade und sollte es nötig sein, sich vor euren Eltern rechtfertigen zu müssen, dann lasst dies ruhig meine Sorge sein.“

      Damit nahm er einen der Krüge auf und hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in Richtung der beiden Jungen. Gleichzeitig, wenn auch etwas zögerlich, griffen nun auch Nondol und Walgin nach ihren Getränken und stießen mit Mingar an. Dann nahmen sie je einen kräftigen Schluck des Gebräus und stellten fest, dass es nicht schlecht schmeckte.

      Nachdem sie die Krüge abgesetzt hatten, sagte Mingar: „So, jetzt macht es euch bequem. Ich habe euch nämlich eine ziemlich lange Geschichte zu erzählen“.

      In der Annahme, dass Mingar nun eine seiner üblichen Anekdoten zum besten geben würde, platzte Walgin ungeduldig heraus: „Aber ich dachte, du wolltest uns erklären, weshalb Nondol so rasch gesund geworden ist.“

      „Aber natürlich, Walgin. Das ist ja die lange Geschichte, die ich gemeint habe“ erwiderte Mingar mit einem milden Lächeln. „Sei also jetzt bitte ruhig und höre mir zu.“

      Verlegen lehnte sich Walgin zurück und nahm sich vor, von nun an zu schweigen.

      „Also“, leitete Mingar sein Gespräch ein „das, was ich euch zu erzählen habe, würde mehr als einen ganzen Tag dauern, wenn ich es so ausführlich schildern würde, wie ich gerne möchte. Da dies aber nicht geht, werde ich euch lediglich eine Kurzfassung zu Ohren bringen. Ich werde mich aber bemühen, dass sie alles beinhaltet, was ihr wissen müsst. Es ist sehr schwierig für mich, weil ich eigentlich gar nicht recht weiß, wie und wo ich beginnen soll. Und noch etwas müsst ihr wissen. Ich muss für diese Geschichte Worte finden, die es euch ermöglichen, überhaupt