abgestorbenen Fichtennadeln und feuchter Erde bereicherten die Luft, ohne allerdings von dem jungen Belmaner wahrgenommen zu werden, den es in diesem Moment danach drängte, seinem Freund einen Krankenbesuch abzustatten.
Walgin erreichte Emnors Blockhütte, eilte die drei Treppen zur Eingangstüre hoch und trat schwungvoll in die Stube ein. Ein Anklopfen oder eine andere Form der Ankündigung war in den Belmanerdörfern ohnehin nicht üblich. Die großen Stuben, die gleichzeitig als Wohn- und Kochraum benutzt wurden, waren ein offener Ort. Jeder Dorfbewohner betrat jede Nachbarhütte, wie seine eigene. Allerdings galt dies nur für den Hauptraum. Die Nebenräume, wie Schlaf- oder Speisekammern waren tabu.
Gleich nachdem Walgin allerdings die Hütte betreten hatte, blieb er wie vom Blitz getroffen stehen und musste den Anblick, der sich ihm bot, erst einmal verdauen. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, was er in diesem Moment zu sehen bekam.
Am großen Tisch neben der Feuerstelle saßen Nawina, Emnor, Mingar - und Nondol! Jeder von ihnen hatte eine große Holzschüssel vor sich und löffelte in aller Ruhe eine angenehm duftende Suppe, als ob es nie ein Unglück gegeben hätte. Also ob nie ein Adler herabgestürzt wäre und Nondols Rücken zerfetzt hätte. Als ob er – Walgin – niemals eine Heldentat vollbracht und seinen Freund vor dem Verbluten gerettet hätte. Als ob Nondol nie dem Tode nahe gewesen wäre.
Walgin konnte es einfach nicht fassen. Er fühlte sich, wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte sorgenvolle Eltern erwartet, Nondol geschwächt im Bett liegend, Mingar mit einem Heiltrank davor stehend, allesamt darum bemüht, dass Nondol wieder gesund wurde. Oder zumindest eine ähnliche Situation.
War er denn verrückt geworden? Hatte er das alles nur geträumt? Das war doch nicht möglich!
Plötzlich wurde ihm die Peinlichkeit der Situation bewusst. Er war in die Hütte gestürmt, hatte die Aufmerksamkeit der Bewohner auf sich gelenkt und nun stand er in der halb offenen Tür, konnte den Mund nicht mehr schließen und starrte die Leute, die hier beim Frühstück saßen, mit entsetzten Augen an, als ob es sich um Ungeheuer aus der Lembol-Schlucht handeln würde.
Bevor er jedoch erklärende Worte finden konnte, wurde er von schallendem Gelächter aus seiner Erstarrung gerissen. Sowohl Mingar, als auch Nondol und seine Eltern waren wohl durch die Art seines Auftrittes derart belustigt, dass sie sich vor herzhaftem Lachen krümmten.
Angesichts dieser Reaktionen wusste Walgin sich vor Verlegenheit kaum noch zu helfen. Er trippelte von einem Bein auf das andere und war bereits geneigt, sich umzudrehen und die Hütte fluchtartig zu verlassen. Da erhob sich Mingar von seinem Stuhl und kam mit ausgestreckten Armen, aber immer noch lachend, auf ihn zu. Er legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, während er mit der anderen beiläufig die Türe schloss und sagte: „Ach Walgin, guter Junge, sei uns bitte nicht böse. Ich weiß, das war jetzt peinlich für dich. Es war aber auch zu komisch, wie du hier hereingeplatzt und dann wie vom Donner gerührt stehen geblieben bist“.
Während er ihn nun sanft zum Tisch dirigierte und durch eine Geste dazu aufforderte, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, sagte er lächelnd: „Weißt du, es ist wirklich schade, dass du dich nicht selber sehen konntest. Ich verspreche dir, du hättest ebenfalls lachen müssen“.
Während das Lachen der Anderen nach und nach leiser und verhaltener wurde, setzte Mingar fort: „Aber ich verstehe natürlich, dass du überrascht bist. Wir alle verstehen das. Du hast sicher nicht erwartet, dass wir hier so entspannt beim Morgenmahl sitzen“.
Jetzt nahm Mingars Miene allmählich wieder die Ernsthaftigkeit an, die Walgin von ihm gewohnt war. „Ja Walgin, du hast schon recht. Es ist natürlich nicht ganz selbstverständlich, dass es so ist, wie es ist. Und natürlich verdienst du es, über die Sache aufgeklärt zu werden“.
Nun richtete Mingar seinen Blick zu Nondol: „Auch dir habe ich noch nicht die ganze Wahrheit gesagt, mein Junge. Es war nicht nur die gute Medizin, die dich so schnell und unerwartet wieder gesund werden ließ.“
Er umrundete nun langsam und nachdenklich den Tisch, so als ob er nach den richtigen Worten suchen müsste. Dann blieb er stehen und sprach die beiden Jungen an: „Ich möchte hier nicht weiter über dieses Thema sprechen. Deshalb schlage ich vor, dass ihr beide erst einmal in aller Ruhe eure Suppe und etwas Brot esst. Danach kommt ihr bitte beide zu mir und wir setzen uns zusammen, um ein ausführliches Gespräch zu führen. Ich habe euch einiges zu sagen. Aber keine Angst, es wird nichts mit Vorwürfen oder dergleichen zu tun haben. Was ich euch zu berichten habe, ist wesentlich weitreichender und … „
An dieser Stelle unterbrach er sich, hielt kurz inne und sagte dann nur noch: „Aber das alles erkläre ich euch dann in meiner Hütte. Mehr möchte ich momentan nicht dazu sagen“.
Dann wandte er sich an Emnor und Nawina. „Auch mit euch muss ich mich noch unterhalten. Aber das hat Zeit. Jetzt sind erst einmal die beiden Jungen dran. Fürs erste sollten wir froh und glücklich sein, dass Nondol seine Verletzung überstanden hat. Alles weitere ist momentan nicht so vordringlich“.
Als Nawina zu einer Frage ansetzte, unterbrach Mingar sie mit einer Geste: „Nein Nawina, bitte frag jetzt nichts. Wie gesagt, es gibt einiges zu erklären. Ich möchte das aber auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ich kann dir vorläufig nur so viel sagen; es wird eine längere Geschichte, die ich dir und Emnor zu erzählen habe. Aber wie ich bereits sagte. Erst einmal sind die beiden hier an der Reihe“. Damit zeigte er auf Nondol und Walgin.
Um die Angelegenheit abzuschließen, wandte er sich um und ging rasch zur Türe. Als er den Raum verlassen hatte, kehrte Stille ein. Das ausgelassene Lachen, das kurz zuvor noch das kleine Häuschen erfüllt hatte, war innerhalb kürzester Zeit vergessen und hatte einer bedrückenden Nachdenklichkeit Platz gemacht. Die abrupte Änderung der Stimmung hatte sie alle überrascht. Nicht nur Walgin war mit der Situation etwas überfordert.
Er wollte eigentlich nur nach seinem Freund sehen, wollte ihn besuchen, sich nach seinem Befinden erkundigen und hoffen, dass er bald wieder gesund sein möge. Dabei hatte es sich ohnehin nur um eine sehr vage Hoffnung gehandelt. Insgeheim hatte er eher befürchtet, sein Freund liege fiebernd und nicht ansprechbar darnieder. Stattdessen hatte er ihn vollkommen erholt am Tisch sitzend angetroffen, war mit einem kollektiven Lachanfall empfangen worden und nun saßen sie alle hier beisammen und es herrschte betretenes Schweigen.
Was war denn nur geschehen? Walgin konnte sich aus all dem keinen Reim machen. Mingars rätselhafte Worte schwirrten immer noch durch seinen Kopf. Warum hatte er ihnen nicht einfach gesagt, was los war?
Er richtete seinen Blick zu Emnor. Dieser hatte den Kopf in beide Hände gestützt und blickte nur betreten und mit nachdenklicher Miene in seine Suppenschüssel. Und auch Nawina und Nondol sahen sich gegenseitig ratlos an. Dann wandte sich Nondols Mutter zu ihm und sagte: „Walgin, mein Junge, schön, dass du so früh aufgestanden und gekommen bist. Du bist wirklich ein guter Freund. Hast du denn schon gefrühstückt?“
Walgin schüttelte den Kopf: „Nein, ich habe aber Mutter versprochen, dass ich gleich zurückkomme und meine Suppe esse.“
„Ach nichts da“, warf Nawina energisch ein. „Du bekommst hier bei uns deine Suppe. Ich muss nachher ohnehin zu deiner Mutter und rede mit ihr. Jetzt setzt du dich erst einmal zu Nondol. Ich bringe dir gleich dein Essen. Und wenn ihr euch satt gegessen habt, geht ihr gemeinsam zu Mingar. Ihr habt ja gehört, was er gesagt hat.“ Damit erhob sie sich und machte sich an der Anrichte zu schaffen. Sie kramte eine große Holzschüssel hervor und befüllte sie an der Feuerstelle mit dem Schöpfer. Danach stellte sie das Gefäß mit der köstlich duftenden Kräutermilch-Suppe vor Walgin auf den Tisch und legte auch noch zwei große Scheiben Brot daneben.
In diesem Moment erhob sich Emnor, seufzte einmal tief und sagte dann zu seiner Frau: „Komm, lassen wir die beiden in Ruhe essen. Wir haben ohnehin im Stall zu tun“. Nawina nickte nur leicht, griff sich noch rasch einen Eimer, der am Boden neben der steinernen