Hedwig v. Knorre

DAS Erste Große BetrugsOpferBUCH


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Vertrauen – doch Menschen brauchen Vertrauen

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      Familienlügen

       Ein Grundschulkind sollte eine Zahnspange bekommen. Eine Zahnspange reichte für diese Kieferanomalie nicht aus, darum sollte operiert werden. Die OP ging schief, eine weitere OP musste folgen und wieder eine weitere. Komplikationen entwickelten sich. Das Kind hatte jahrelang starke Schmerzen trotz Schmerzmittel, Probleme mit Nahrungsaufnahme und in der Folge Schlafstörungen, Depressionen usw. Die Eltern litten; beide Eltern meinten es von Herzen gut mit ihrem Kind und konnten das Elend schier nicht ertragen. Das Kind fing an, den Eltern vorzuspielen, dass es ihm gut geht. Diese Not-Lüge zugunsten der Eltern wurde zur Zusatzbelastung, denn zu den Schmerzen und Depressionen kam die Vereinsamung des Kindes. Als Erwachsene suchte sie Psychotherapie. Die Lügenbeziehung zu den Eltern wurde thematisiert und als ungut gewertet. Doch ich sehe in diesem Fall die tragische Krankheitsentwicklung als Hauptbelastung für alle Seiten; die kindliche Lüge „es geht mir gut!“ war gewissermaßen überlebensnotwendig für dies Familiensystem. Ohne diese Lüge wären die Eltern zusammen gebrochen. Wem wäre damit gedient gewesen?

      Die meisten Familienlügen haben ähnliche Hintergründe. Es liegen untragbare Lasten auf der Familie wie z.B. Kriegstrauma-ta. Um sie erträglich zu machen, werden verschiedene Lügen-varianten installiert: Ignoranz, Leugnen, Bagatellisieren, usw...

      Innere Grenzen

      Normale Menschen nutzen die Möglichkeiten, die sich im Leben bieten, wahren dabei aber gewöhnlich die Grenzen: Illegales meiden sie, und anderen Menschen schaden wollen sie auch nicht. Zwar können normale Menschen diese Grenzen auf unterschiedliche Weise ein wenig verschieben, beispielsweise werden Menschen mit anderer Hautfarbe oder Menschen, die weit entfernt leben, „entmenschlicht“. Auch Gruppenvorbilder spielen eine Rolle („Schulden machen doch alle!“).

      Überschreitet ein normaler Mensch diese inneren Grenzen, merkt man ihm Nervosität an. Er wird rot, bekommt schweißige Hände usw – das berühmte „schlechte Gewissen“ wird sichtbar. Dies ist eigentlich eine Angst-Symptomatik: hier ist es die Angst, eine Grenze zu überschreiten.

      Die gleichen Symptome, das Rot-Werden und die schweißigen Hände, treten auch bei Gewaltopfern auf, die in Situationen geraten, die ihre Traumata triggern, also Ängste auslösen. Das ist beispielsweise bei Begegnungen mit Polizei der Fall. Dann kann diese Symptomatik fälschlich als Äußerung eines schlechten Gewissens fehl gedeutet werden.

      Ein Betrüger dagegen hat dieses inneren Grenzen nicht. Wenn er lügt, kann man das nicht an o.g. Symptomatik erkennen. Er überschreitet Grenzen ohne Angst, ohne schlechtes Gewissen. Er lügt permanent, sein Leben besteht aus Lüge. Genau aus diesem Grund kommt er so glaubwürdig rüber. Er tischt seiner Umgebung immense Lügen auf. Normale Menschen wären gar nicht imstande, sich so etwas auch nur auszudenken. Bei der Vorstellung, solche Lügen zu nutzen, wird ihnen Angst und übel, es ist ihnen unvorstellbar. Das wiederum nutzt der Betrüger: mit freier offener Mimik lügt er seine normale Umgebung an – und kommt glaubwürdig rüber!

      Wahrheit

      Das Gegenteil der Lüge ist die Wahrheit. Doch was ist Wahrheit? Das fragte schon Pilatus, händewaschend, als er von den Mächtigen eines aufmüpfigen, dem römischen Reich durch Gewalt einverleibten und schwer zu beherrschenden Volkes in einem Scheinprozess instrumentalisiert wurde, einen harmlosen freundlichen Wanderprediger zum Tod durch Folter zu verurteilen.

      Was ist Wahrheit? Darüber philosophieren und diskutieren Menschen lange, breit und tief.

      Ich definiere Wahrheit als Realitätsbezug. Für mich ist Wahrheit etwas sehr pragmatisches. Angenommen, ich würde rund um die Uhr von einer Kamera begleitet, die alles aufnimmt, was ich tue. Angenommen, diese Kamera würde jeden meiner Schritte fest halten, jeden meiner Handgriffe, jedes Wort, jede Mimik, jeden Tonfall: das wäre die Wahrheit meines Lebens. Käme dann noch jeder Gedanke dazu, jedes Gefühl, jeder Impuls, mein ganzes Innenleben, dann wäre die Wahrheit meines Lebens perfekt.

      Diese Idee erinnert jetzt an die vielen Überwachungskameras überall um uns herum und an den Überwachungswahn übermisstrauischer Systeme gegen ihre Bürger; dazu später mehr. Nein, diese Assoziation bitte schnell wieder verbannen! Mir geht’s um die Idee, die Vorstellung, um meinetwillen und um des Laufes der Weltgeschichte willen.

      Ich stelle mir vor, dass diese Kamera mein ganz persönlicher Besitz ist. ICH kann mir MEINEN Film ansehen, wann ICH will. Und dieser Film gefällt mir nicht immer. Die Hauptdarstellerin ist keine Heldin. Sie hat Schwächen und macht Fehler, ist nicht immer hübsch und nicht immer nett. Manchmal kann ich „meinen Film“ nicht gut ertragen. Aber dieser „Film“ ist die Wahrheit meines Lebens, meine Realität.

      Es gibt eine Realität

      Ach ja, gibt es das, eine Realität? Schenkt man weiten Diskussionsrunden Glauben, deren TeilnehmerInnen aus den Bereichen Psychologie, Psychotherapie, Psychiatrie, Sozialarbeit, Philosophie und dergleichen kommen, gibt es sie nicht, die Realität. Für sie gibt es „nur Wahrnehmung“, und die ist „individuell unterschiedlich“.

      Natürlich gibt es unsere Wahrnehmung, und natürlich ist sie individuell unterschiedlich. Aber außerhalb unserer Wahrneh-mung gibt es ebenso natürlich eine Realität, sowohl eine Realität um uns herum als auch eine Realität in unserem Inneren. Es sollte unser Anliegen sein, unsere Wahrnehmung so gesund wie möglich zu erhalten, damit sie uns ein möglichst realitätsnahes Bild des Lebens vermittelt, das uns umgibt und in uns geschieht (Selbstwahrnehmung). Dazu ist unsere Wahrnehmungsfähigkeit eigentlich da.

      In der Psychiatrie ist ein wesentliches Element zur Diagnosestellung einer psychiatrischen Erkrankung die Realitätsferne bzw. die Realitätsnähe. Wer überzeugt ist, das „goldene Kind“ zu sein und glaubt, in einer Muschel am großen Strand eines goldenen Ozeanes eines fernen Planeten zu liegen, nimmt sich zwar in dieser Weise wahr, doch die gesamte Umgebung sieht trotzdem einen Mann mittleren Alters mit schütterem Haar auf dem Fußboden eines Stationsflures liegen.

      Die Realitätsferne ist in diesem Fall leicht definiert und damit eine manifeste psychiatrische Erkrankung. Zur Verdeutlichung eine dichotome Darstellung.

      nr 1 Grafik Realitätsnähe

      Realitätsferne Realitätsnähe

      psychiatrische Erkrankung psychische Gesundheit

      Wahrscheinlich ist kein Mensch zu 100% realitätsnah und damit zu 100% psychisch gesund. Das ist in einer kranken, krank machenden Welt nicht möglich. Doch je näher wir der Realität sind, sowohl der Realität des eigenen Lebens als auch der Realität unserer Umgebung, desto gesünder ist unsere Psyche.

      Nun verknüpfe ich die Begriffe „Realitätsnähe“ und „Wahrheit“. Sie entsprechen einander weitgehend. Folglich ist Wahrheit gesund. Wahrheit kann auch heilsam sein.

      „...es gibt viele Wahrheiten...“?

      Das Problem mit der Wahrheit, der Realität unserer Umgebung und unseres Inneren, ist ihre Komplexität. Die Wahrheit ist vielschichtig und von einer Person allein unmöglich komplett wahrzunehmen, zu erfassen, zu verstehen. Dennoch gibt es nicht „mehrere Wahrheiten“, sondern nur eine Realität. Wo es aussieht, als gäbe es „mehrere Wahrheiten“, ist noch nicht ausreichend Zugang zu den vielschichtigen Elementen des komplexen Geschehens hergestellt, sind die Zusammenhänge dieser Elemente noch nicht sichtbar.

      Wahrheit in verlogenen Systemen

      Es gibt Systeme, in denen Gewalt und Lüge untrennbar mit einander verbunden und als tragende Elemente tief verankert sind. Solche Systeme tun den Menschen nicht gut, die darin leben (müssen), im Gegenteil, sie machen Menschen krank, psychisch und in der Folge auch physisch.