Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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gelben, roten und blauen Buchstaben werden die Aufgabenbereiche, Abteilungen und Dienststellen sowie die entsprechenden Stockwerke aufgeführt – auf dem gleichen hellbeigefarbigen Hintergrund wie die ganze Wandfläche und ohne äußere begrenzende Linien und Rahmen –; die selbe Leichtigkeit, die den ganzen Raum prägt. Mit Abstand betrachtet kommt mir die Darstellung eher wie ein unaufdringliches Kunstwerk vor als ein Hauswegweiser. Jedenfalls pfiffig gemacht.

      „Da, K 21, grün, im vierten Stock, das sind wir. Jede Farbe hat ihren eigenen Fahrstuhl, der Sie in die entsprechenden Arbeitbereiche bringt. Sie können sich also kaum verlaufen in diesem Riesenlabyrinth. Dafür sorgen schon die Sicherheitstüren zwischen den Bereichen. Die öffnen sich nur mit unseren elektronischen Einlasskarten. Und mit Ihrer Besucherkarte. Außerdem Sie haben ja mich.“

      Nett, wie sie das sagt und dazu lächelt. Ein wenig aufgeregt bin ich schon. Ohne Frau Wegmanns Hinweis wären mir die breiten farbigen Linien um die Zugänge der Fahrstühle nicht aufgefallen.

      „Hier, der hier, grün.“

      Sie geht voraus, drückt den Knopf zur vierten Etage, und aufwärts geht ’s. Die Gänge im vierten Stockwerk sind in der gleichen angenehmen hellbeigegrauen Farbe gehalten; nicht die Spur von Amtsstubenmuff, einfach nur hell, gefällig. Zwei breite Zwischentüren öffnen sich, kaum dass Frau Wegmann wieder mit ihrer elektronischen Karte seitlich gewedelt hat. Wenn die Atmosphäre des Gebäudes einen Vorgeschmack auf mein Treffen liefert, steht mir ein angenehmes Gespräch bevor.

      Von wegen.

       9

      „Wir machen das hier bei mir. Guten Tag, Herr Berkamp.“

      Hauptkommissarin Sandner steht in der Tür zu einem mittelgroßen Arbeitszimmer mit zwei gegeneinander gestellten Schreibtischen nahe der Fensterseite. Links und rechts teilen Zwischenwände zwei kleinere Arbeitszimmer ab. Vorn führt eine Zwischentür in jedes der Zimmer, in denen ein Schreibtisch erkennbar ist.

      Von der Zimmerdecke hängen, parallel zu den Fenstern, an dünnen Metallstangen balkenförmige mattsilbergraue Beleuchtungskörper mit Leuchtröhren darin und den typischen weißen Plastikgitterleisten darunter. An einer schmalen Schiene dicht vor den Fenstern reihen sich von Wand zu Wand bewegliche, gut zwanzig Zentimeter breite hellbeigefarbige Streifengardinen, unten durch zwei Reihen kleiner Kettchen miteinander verbunden. Außen vor den Fenstern sind Bahnen waagerechter hellgrauer Aluminiumjalousien unterschiedlich weit herunter gefahren worden. Bei dem hellen Sonnenschein heute wirkt das gedämpfte Licht angenehm wie auf einer schattigen Veranda. Trotzdem ein bisschen verrückt; draußen scheint die Sonne und hier drinnen arbeiten die Leute unter künstlichem Licht.

      Die hellen Schreibtische, Regalkommoden und ein höherer Aktenschrank rechts neben der Eingangstür sind farblich auf die Wände abgestimmt. Ein beinahe kugelrunder Benjamini auf einem langen dürren Stamm ragt in der linken Ecke hinter Frau Wegmanns Arbeitsplatz vom Boden empor. Die Wände sind frei von Plakaten, Aufklebern oder Bildchen mit mehr oder weniger ernstgemeintem Bezug zu Polizeilichem. Die Leute wissen auch so, wozu sie hier arbeiten.

      Frau Sandner hat zunächst nebenan mit Herrn Schuster gesprochen. Zurück in ihrem Arbeitszimmer winkt sie mich weiter durch die Zwischentür, setzt sich sogleich auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch. Heute gibt sie die Western-Lady; blaue Jeans, eine rotgrün karierte Bluse und eine leichte braune Lederweste. Nett sieht sie aus, die Frau Hauptkommissarin; sie scheint guter Stimmung zu sein, lächelt ihren offenen Neugierblick. Ermutigend oder einfach nur freundlich.

      „So, Herr Berkamp, wir brauchen nicht lange. Ist ein bisschen eng hier, aber für uns zum Arbeiten reicht es. Setzen Sie sich, da bitte,“ und deutet auf einen gepolsterten Bürostuhl schräg gegenüber.

      Es ratscht vom Nebenzimmer her.

      Oberkommissar Schuster in dunkelrotem Polohemd und schwarzer Sporthose schiebt seinen Stuhl mit dem Bauch vor sich her. In der linken Hand pendelt ein Kaffeepott und halb unter dem rechten Arm klemmt einen dünner Aktenordner.

      Er stellt die Tasse auf die Kommode hinter mir, setzt sich mit einem „Ups“ auf den Stuhl und rollt schräg neben seine Kollegin. Als er verdutzt neben mich schaut, nehme ich seinen Kaffeepott und reiche ihn behutsam hinüber, damit er nicht aufstehen braucht.

      „Danke, und Tach, Herr Berkamp.“

      „Lass uns hinmachen, Manischu, wir haben genug zu tun,“ bittet die Hauptkommissarin ihren Kollegen, worauf der seine linke Handfläche wie zu einem angedeuteten Haltsignal hebt. Frau Sandner scheint dies nicht zu bemerken, weil sie sich bereits mir zuwendet.

      „Ihr BMW ist freigegeben, Herr Berkamp. Wir brauchen noch Ihre Fingerabdrücke, aber die Auswertung kann später geschehen. Reine Formsache. Es gab ohnehin kaum brauchbare Spuren in dem Fahrzeug. Der Autoschlüssel ist unten, Frau Wegmann holt ihn gerade.“

      Wie am Samstag hat Oberkommissar Schuster Mühe, seine Beine still zu halten.

      „Wer außer Ihnen fährt noch den Wagen?,“ fragt er unvermittelt.

      „Niemand. Das sagte ich ja bereits am Samstag. Ich bin der einzige, der den Wagen fährt. Und vorigen Sommer zum TÜV die Leute in der Werkstatt, falls es davon noch Spuren gäbe. Aber darf ich vorher kurz etwas Anderes ansprechen. Sagen Sie mir bitte, was in der „Croma“-Boutique passiert ist?“

      „Huh?“ Schusters Kopf ruckt zurück, überrascht von meiner Frage.

      „Lesen Sie keine Zeitung?“

      „Richtig, Herr Schuster, ich lese keine Zeitung. Radio reicht mir. Und da erfährt man solche Dinge eher selten.“

      Er schaut kurz zu seiner Kollegin. Frau Sandner meint knapp:

      „Mach, Manni, wenn Du willst, was ohnehin bekannt ist an Fakten.“

      „Na schön,“ nickt er, „hier die Kurzfassung.“

      Die Täter haben ein Auto bestiegen, erwiesenermaßen meines, und sind in die Goethe-Straße gefahren. Dort gingen sie mit großem Geschick, schnell und brutal vor. Drei männliche Täter. Zwei waren als Frauen verkleidet, hatten sich recht hübsch gemacht. Die Überwachungskameras waren ihnen egal. Sie sind rein in den Laden und haben sehr überzeugend gewirkt. Haben mit russischem Akzent gesprochen – wahrscheinlich vorgetäuscht – und mit Gold-Kreditkarten gewedelt. Die beiden Verkaufsdamen haben gleich an satten Umsatz und weniger an Sicherheit gedacht und bereitwillig zwei der Vitrinen geöffnet, die normalerweise gesichert sind. In dem Moment wurden sie von den beiden Räuber mit Elektro-Schockern außer Gefecht gesetzt.

      Während Schuster in geschäftsmäßigem Tonfall vorträgt, wandern seine Augen unstet hin und her, ohne mich jemals ruhig anzuschauen. Der Mann strahlt eine innere Unruhe aus, die nicht recht zu seiner kräftigen Statur und zur Berichterstattung über einen Sachverhalt passen will, der für ihn Alltagsgeschäft ist. Seine Hände verweilen immer nur für Augenblicke an einer Stelle. Ein paar Mal finde ich es anstrengend, seinen Ausführungen zu folgen.

      „In der zweiten Vitrine lagen ohnehin nur Imitate, aber da war einer der beiden Räuber schon im Büroraum,“ ergänzt er.

      Der Herr Verkaufsleiter dort hat den Tresor nicht schnell genug geschlossen. Also wurde zügig eingepackt. Als eine der Angestellten wieder halbwegs zu sich kam, löste sie den Alarm aus. Daraufhin hat der zweite Räuber ihren Kopf auf die Vitrine geknallt. Etwas seltsam verhielt sich der Wachmann innen an der Tür, ein älterer Herr. Der schwört, er hätte sofort seinen Alarmsender in der Hosentasche betätigt, als die Kerle mit den Elektro-Schockern anfingen.

      „Das Dumme war nur, unsere Techniker sind sicher, dass die Batterien erschöpft waren.“

      „Ganz schön dreist,“ finde ich.

      „Muss man wohl so sagen“, bestätigt Hauptkommissarin Sandner, die mich die ganze Zeit ruhig angeschaut hat, „gerissenes Vorgehen seitens der Räuber und ein paar kleine Missgeschicke. Die Geschäfte gehen allgemein nicht besonders gut zur Zeit, das Personal