Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


Скачать книгу

ihr einen Blick zurück – verärgert, beinahe wütend.

      „Das ist nicht ganz falsch, Herr Schuster,“ nehme ich sein Stichwort auf. „Voodoo gehört auch in den Bereich des Schamanischen.“

      Ihn ein wenig mit Freundlichkeit zu nerven, gefällt mir. Menschen sind Glaubenswesen, belehre ich ihn. Äußere Symbole helfen dabei. Ärzte tragen einen weißen Kittel und reden Lateinisch, damit die Leute von ihnen Heilung erwarten. Weil sie eine Uniform anhat, glauben die Menschen, dass die Polizei für Recht und Ordnung steht.

      Frau Sandner setzt sich vorn auf die Stuhlkante und tippt dem Kollegen augenzwinkernd mit der rechten Hand gegen die linke Schulter.

      „Schöner Mist, Manni; und wir sitzen hier ohne Uniform. Wie stehen wir jetzt da?!“

      Was mich zu einer kleinen Spitze gegen Schuster veranlasst.

      „Tja, Frau Hauptkommissarin, jetzt ahnen Sie vielleicht, weshalb mein Misstrauen mit jeder Sekunde größer wird.“

      Schuster steht unvermittelt auf, erklärt „Danke, das reicht mir jetzt“, ergreift seinen Stuhl und den Aktenordner und verlässt grußlos den Raum. Um sofort wieder zurückzukommen.

      „Hab bloß meine Tasse vergessen. Und Sie Herr Berkamp, Sie müssen noch rüber wegen der Fingerabdrücke. Das wird hoffentlich unser Misstrauen verringern. Frau Wegmann soll das erledigen.“

       10

      Statt mit Stempelkissen und Tinte auf einem Blatt Papier zeichnet ein ungefähr Taschenbuch großer Scanner mit einer von innen hellgrün erleuchteten Glasfläche und fingerförmigen Aussparungen meine Hand- und Fingerlinien auf.

      „Mit ähnlichen Dingern haben die Amerikaner das bei der Einreise am Flughafen mit uns gemacht, als wir letztens zu Weihnachten in New York waren,“ berichtet Frau Wegmann stolz. „Jetzt können Sie daheim noch nicht mal angeben mit schwarzer Farbe an den Fingern. Dafür macht es uns die Arbeit leichter. Das war ’s, schon fertig. Kommen Sie, Herr Berkamp, ich bringe Sie zu Ihrem Wagen. Hier ... Ihr Autoschlüssel.“

      Der grün gekennzeichnete Fahrstuhl trägt uns hinab ins Erdgeschoss.

      „Wir müssen in den Innenhof Nummer Sechs, da steht Ihr Wagen; hellgrauer BMW, richtig?“

      „Ja, richtig. Vorher müssen wir meinen Ausweis vorn an der Eingangspforte abholen. Der wird noch gebraucht.“

      In einer netten Geste begleitet Frau Wegmann mich, nachdem sie mich durch den großen Innenhof hin und zurück sowie durch zwei weitere Sicherheitstüren geschleust hat, auf dem Hof Nummer Sechs bis zu meinem Auto, das neben einem großen grünen, wohnwagenähnlichem Kommandofahrzeug parkt.

      Sie reicht mir die Hand, lächelt geschäftig. „Die an der Ausfahrt wissen Bescheid. Na denn, jetzt ist die Angelegenheit für Sie hoffentlich überstanden. Guten Heimweg.“

      „Besten Dank, Frau Wegmann, für Ihre freundlichen Dienste als Fremdenführerin. Machen Sie es gut.“

      *

      Autos sind eben doch mehr als Fortbewegungsmittel. Daran erinnert mich das „Wieder-daheim“-Gefühl, das ich sofort empfinde, als ich meine Jacke auf den Beifahrersitz werfe und einsteige. Frau Wegmann dreht sich nach einigen Schritten mit einem Ist-noch-was?-Blick zu mir, weil ich einfach nur dasitze statt den Motor zu starten, und geht dann weiter.

      Während ich sekundenlang blicklos die graue Innenhofwand gegenüber anstarre, beginnt sich mein Denken aufzuhellen. Was war das eben im vierten Stock eigentlich? Je länger das Gespräch im K 21 gedauert hat, desto unbehaglicher habe ich mich gefühlt. Jetzt treten Wahrnehmungen und Empfindungen klarer hervor; wie sich einzelne Grashalme, Blätter und Blüten auf einer Wiese zeigen, die vorher nur als eine ungleichmäßig grüne Fläche erschienen ist.

      Sollte das die Neuauflage eines abgesprochenes Rollenspiel gewesen sein – er bissig angreifend und sie freundlich beschwichtigend? Den Gedanken verwerfe ich, kaum dass er mir voll bewusst wird. Dafür sind mein Auto und ich zu ungeeignet. Oder halten die mich im Ernst für einen heimlicher Mittäter bei dem Überfall? Weil ich mich nicht näher nach den anderen Tätern erkundigt habe? Macht mich das verdächtig? Unfug. Selbst falls sie das dachten, hat dieser Schuster sich geradezu tollpatschig, wenig überzeugend angestellt. Und das Gespräch hätte irgendwie anders verlaufen müssen; zum Beispiel als wir die Einzelheiten im Verhalten der Täter erörterten. Die zwei Beamten untereinander? – das war zu kantig, um gespielt zu sein. Fester als bei unserer ersten Begegnung in dem VW-Bus bin ich davon überzeugt, zwischen den beiden gibt es tiefer sitzende Unstimmigkeiten. Vor allem die kleinen unbewussten Signale in ihrem Mienenspiel lieferten klare Hinweise darauf.

      Trotzdem; es muss um mehr gehen! Was sollte dieser Werkstattzettel? Wie Schuster den aus dem Hut gezaubert hat, könnte man auf den Gedanken kommen, er will mir etwas anhängen. Pech gehabt, Herr Oberkommissar, mit dem Datum. Seine Andeutungen und Unterstellungen war reichlich plump, geradezu lächerlich. Mindestens zweimal wirkte selbst Frau Sandner überrascht – ehrlich überrascht.

      Mit einer Spur des Bedauerns wird mir bewusst, wie sehr ich während des Gesprächs vor allem Oberkommissar Schuster beachtet habe. Wie in einem Energietunnel war meine Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet, obwohl beide Personen vor mir saßen. Ich schließe die Augen, stelle mir einzelne Szenen noch einmal vor. Wieder tritt vor allem Schusters unruhiges körperliches Verhalten hervor.

      Das kostet Energie – ihn und seine Umgebung.

      Stimmt, Robert, du hättest aufmerksamer für beide sein können. Mag sein; vor allem warst du schlecht vorbereitet. Mann, vergiss dein ganzes Coaching-Wissen, wenn du es nicht für dich selbst nutzt.

      *

      Plötzlich empfinde ich den Wunsch zurückzugehen, um Hauptkommissarin Sandner zu sagen, dass es mir leid tut, ihr ungewollt weniger Aufmerksamkeit geschenkt zu haben als ihr zusteht. Ungewollt? Ob sie das gespürt hat? Zumal ich auch heute ihr Verhalten als wohlmeinend empfunden habe.

      Du versponnenes Sensibelchen, Berkamp. Darauf angesprochen dürfte die Dame dich nur verständnislos anschauen. Sie hat unser Gespräch längst vergessen, beschäftigt sich mit irgendwelchen anderen Vorgängen. So abwegig mein Wunsch, ihr mein Bedauern zu vermitteln, auch sein mochte – allein ihn deutlich zu spüren ist mehr als bemerkenswert. Mein chronischer Hang zum Nachdenken über Gott und die Welt – hinterlassen von einer katholischen Kindheit und stets erneut angestoßen von meiner treu sorgenden Intuition. Die mir meist unerwartet klar ins Gewissen redet.

      ,Vertrauen. Denk mal über Vertrauen nach’, meldet sie sich in meinem Kopf, geradezu laut in der Stille des Autos. ,Sie mag dich bereits vergessen haben, längst wieder Akten oder E-Mails lesen. Glaub mir, Robert: Tief in ihr bewegt sie eine Frage, ein nagender Zweifel, der um Vertrauen kreist. Zu ihrem Kollegen.’

      Und wenn schon; das wäre deren Sache. Ich bin raus aus dem Fall. Trotzdem schade; ich habe mich noch nicht einmal richtig von ihr verabschiedet nach Schusters überraschendem Aufbruch und dem Abstecher zur Fingerabdruckerfassung.

      Spiele mit festen Regeln, klarem Zeitrahmen sowie Gewinnern und Verlierern mochte ich nie. In Witzenhausen haben wir Kinder in der Nachbarschaft gern und oft Fußball gebolzt; weil es Spaß machte. Mir dagegen neunzig Minuten lang ein Fußballspiel im Fernsehen anzuschauen, ist das Letzte, was mir in den Sinn kommt. Ich mag offene, endlose Spiele, bei denen neue Leute auftauchen und es hin und wieder neue Erfahrungen zu machen gibt.

      Allerdings muss man mitspielen, weiterspielen wollen, auch wenn es gelegentlich Anstrengung kostet oder Enttäuschungen bringt.

      Weiterspielen.

      Oh ja! Ich könnte Frau Sandner demnächst anrufen und fragen, ob Sie sich zu einem Kaffee einladen lässt. Vielleicht beißt sie an, wenn ich vorschlage, über Schamanisches zu reden. Brauchst du unbedingt einen Vorwand? Ihre dienstliche Telefonnummer kenne ich ja. Vorläufig unterstelle ich einfach, dass ich ihr „Nein“ bereits