Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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er wollte, dass sie leer sind,“ unterbricht Schuster und fährt fort, „jedenfalls können wir Mithilfe von innen nicht völlig ausschließen, obwohl der Wachmann unbescholten ist. Den haben die Räuber übel zusammengeschlagen. Eingespielt, schnell und brutal; scheint in ein paar Läden immer noch zu klappen.“

      „Danke für die Auskunft. Dass solche Überfälle heute noch vorkommen?! Wissen Sie, wie viel erbeutet wurde?“

      Schuster lacht in Richtung Zimmerdecke. „Das ist ’ne gute Frage.“

      „Wir sind da vorsichtig geworden,“ schließt die Hauptkommissarin an. Bei derartigen Überfällen neigen die gemeldeten Schadenssummen dazu, ordentlich anzusteigen. Das entspricht nicht immer dem tatsächlichen Wert der entwendeten Gegenstände. Auch wenn diese Läden reichlich Ware auf Lager haben.

      „Da kommen manchmal Araber hereinspaziert oder seit Jahren vermehrt Russen, die kaufen locker drei Uhren für 50 Tausend Euro, pro Stück wohlgemerkt, und zahlen bar. Wahrscheinlich eine Form der Geldwäsche,“ meint Schuster achselzuckend.

      „Für mich ist das Wahnsinn, für eine Uhr so irre viel Geld ausgeben. Hier, meine Junghans, Funkuhr aus Edelstahl, läuft noch in tausend Jahren auf die Sekunde genau und hat schlappe 200 Euro gekostet. Mal ehrlich, wozu gibt man Tausende für ’ne Uhr aus? Um die Nebenfrau damit zu schmücken?“

      Er macht eine seitwärts gerichtete Handbewegung. „Wie mein Boss gesagt hat, nach solchen Überfällen werden oft überhöhte Schadensbeträge angegeben. Uns kränkt das weniger als die Versicherung.“

      Wie er „mein Boss“ vor mir Außenstehendem sagt, empfinde ich eher geringschätzig als anerkennend für die ranghöhere Kollegin.

      Ich hätte gern nach Hinweisen auf die Täter gefragt, lasse es aber. Frau Sandner scheint das Gespräch beenden zu wollen, schielt zu ihrem Bildschirm und zieht die Computer-Tastatur näher. Sie wirkt überrascht, als Oberkommissar Schuster laut Luft holt und im Tonfall einer Warnung erklärt:

      „So weit, so gut, beziehungsweise schlecht, Herr Berkamp. Wir hätten da trotzdem noch ein paar Fragen.“

      Er nippt an seiner Kaffeetasse, hebt den dünnen Ordner auf, den er neben sich auf den Fußboden gelegt hat, und beginnt darin zu blättern. Frau Sandners Steilfalten zwischen den Augenbrauen ziehen sich kurz zusammen; kein Neugierblick, Verwunderung.

      „Nur eine Kleinigkeit, Herr Berkamp,“ fragt Schuster in einem Ton, der mich daran zweifeln lässt.

      „Wo waren Sie am Mittwoch, den 25. Mai?“

      Wissen Sie sofort, was Sie an einem beliebigen Tag vor etlichen Monaten getan haben oder wo Sie waren? Ziemlich unwahrscheinlich.

      Ich weiß es.

      „Das kann ich Ihnen sagen, Herr Schuster. Da war ich bei meiner Tochter. Wenn Sie die fragen wollen, gebe ich Ihnen gern die Telefonnummer.“

      „Sehr praktisch,“ entgegnet er schnippisch, „die wird selbstverständlich bestätigen, was Sie mit ihr verabredet haben.“

      Was soll das denn jetzt?

      „Klar, weil Kinder bekanntlich immer tun, was die Eltern sagen.“

      „Ich weiß nicht, Herr Berkamp, ob Sarkasmus hier angebracht ist.“

      „Also schön. Dann rufen Sie Professor Cajete am „Institute of American Indian Arts“ in Santa Fe in New Mexico, USA, an. Dort habe ich an einem zweiwöchigen Schamanen-Workshop teilgenommen. Das können er und weitere vierzig Teilnehmer bestätigen.“

      „Herr Berkamp, das gefällt mir gar nicht. Erst sagen Sie, Sie waren bei Ihrer Tochter. Dann erzählen Sie etwas von Indianern in Santa Fe. Wo waren Sie denn nun?“

      Sein Ton hat sich unschön verschärft. Täusche ich mich? Der Mann redet, als ob er mich verdächtigt, an dem Überfall beteiligt zu sein?

      „Das habe ich gerade gesagt, in Santa Fe, New Mexico. Meine Tochter lebt dort mit ihrer Familie.“

      „Ach sooo, sagen Sie das doch gleich. Und da waren Sie zwei ...“

      „Nein“, unterbreche ich ihn, „insgesamt fast vier Wochen von Mai bis Anfang Juni. Der Workshop selbst hat zwei Wochen gedauert und war am gleichen Ort. Und falls Sie Herrn Lufthansa nach meinen Flügen fragen wollen, das geht bis Albuquerque und mit dem Bus oder per Auto weiter nach Santa Fe.“

      „Worauf Sie sich verlassen können,“ schnauft der Beamte angesäuert.

      „Komm, Schuster, das lässt sich ja nun wirklich leicht überprüfen,“ befindet Frau Sandner. „War ’s das jetzt?“

      Schuster zieht verächtlich einen Mundwinkel herab.

      „Nicht ganz, Boss.“

      Er blättert wieder in dem dünnen Ordner und schlägt eine eingeheftete DIN-A-4-Folie auf. Darin befindet sich ein etwas kleineres Papier mit einem BMW-Zeichen oben links. Er beugt sich ein wenig zu mir und sieht mich an, als müsse er ein bevorstehendes Unheil verkünden. „Haben Sie eine Erklärung dafür, wie dieser Werkstattzettel in Ihren Wagen kommt? Er stammt von der Firma „Autohaus Schwarzberger“ in Bad Vilbel und trägt das Datum vom 25. Mai?“

      Ihr Seitenblick zeigt, Frau Sandner ist ebenso überrascht wie ich.

      „Tut mir leid; kann ich nicht erklären. In Bad Vilbel bin ich nur einmal im Leben gewesen, als ich Möbel ausgefahren habe; als Student. Seitdem nie wieder. Autohaus Schwarzwälder ...“ – „Schwarzberger,“ unterbricht er mich –; „auch gut, kenne ich jedenfalls nicht.“

      Wenn etwas mit dem Auto ist, fahre ich zu meiner Vertragswerkstatt in Kronberg. Die kennen den Wagen und das hilft beim Wiederverkauf. „Wie gesagt, zu der Zeit war ich in Santa Fe. In meiner Abwesenheit ist das Auto nicht bewegt worden. Da bin ich ziemlich sicher. Weil keiner außer mir Schlüssel dafür hat.“

      Schusters rechtes Knie beginnt unablässig zu wippen. Erst schaut er mich abschätzig schweigend an. Dann grinst er hintersinnig:

      „Wenn wir mal annehmen, dass wir hier nicht in Fantasia-Land sind, wo jemand billige Überraschungen für das zahlende Publikum hervorzaubert, finde ich Ihre Antwort offen gesagt wenig befriedigend, Herr Berkamp.“

      „Das tut mir leid, aber ich dachte, ich bin hier, um die Wahrheit zu sagen und nicht um Sie ...“ – beinahe hätte ich „zu befriedigen“ gesagt – „zufrieden zu stellen. Außerdem kann jemand den Zettel am Wochenende absichtlich da reingelegt haben, die Täter, als Irreführung; oder versehentlich einer von Ihren Leuten. Was weiß ich?“

      „Komm, Manni, lass mal die Kirche im Dorf,“ ermahnt die Hauptkommissarin und steht auf, „wir gehen dem Werkstattzettel nach.“

      Sie hält inne, zögert, entschließt sich.

      „Noch kurz, Herr Berkamp, wenn Sie wollen: Der Workshop in Santa Fe? Ein Kurs für Schamanen. Ich denke da an Geistheiler. Haben Sie damit etwas zu tun?“

      Wie sie klingt und mich dabei ansieht, steckt echtes Interesse dahinter.

      „Oh je, Frau Sandner, ... ich bekenne mich schuldig.“

      Schamanismus, erkläre ich knapp, ist mehr ein Handwerk als eine Religion. Schamanen nutzen die Energie des Körpers und Kräfte des Geistes. Um Menschen etwas Gutes zu tun, ihnen zum Beispiel beim Heilen zu helfen. Ziemlich sicher ist es eine der ältesten Therapiearten der Welt. Wirkt verblüffend gut, besonders wenn man daran glaubt.

      „Kann man sogar bei Pflanzen oder Tieren anwenden, denen man ...“

      Oberkommissar Schuster schneidet mir den Satz ab, erkennbar verächtlich. Oder noch verärgert von der Zurechtweisung durch seine Chefin. „Also Voodoo, Leute verhexen oder verarschen, mit Federn rumfuchteln und unverständlich daherreden. Leute, verschont mich mit diesem esoterischen Mist.“

      Frau Sandner schaut fast erschrocken