Rudolf Jedele

Königreich der Pferde


Скачать книгу

die in diesem Teil der Welt lebten.

      Die Zeit der endlosen Nacht war zwar vorüber, doch immer noch waren die Tage nicht lang genug, um ohne eine Specksteinlampe oder eine Fackel die notwendigsten Handgriffe zum Überleben erledigen zu können. Am Himmel hingen mächtige schwarze Wolken und unter diesen Wolken fegte ein eisiger Sturm über das Land, das in einem Zwielicht aus weißen und grauen Farbschattierungen sämtliche Konturen verloren zu haben schien. Einzig die überall wild wuchernden Büsche reckten ihre blattlosen, dürren Ruten wie schwarze Spinnenfinger in die Luft und boten auf diese Weise den Blicken der hier lebenden Wesen ab und an einen Platz, an dem sie sich fangen und ein wenig ausruhen konnten.

      Der Sturm war so stark, dass es selbst einem kräftigen Menschen nicht möglich gewesen wäre, gegen seine Richtung anzugehen und er war kalt. Eisig kalt. Goss man aus einem Behälter Wasser aus, so wurde aus diesem hartes Eis, noch ehe es den Boden erreicht hatte. Der Sturm und die Kälte waren die Feinde allen Lebens. Am meisten aber litten die wenigen Menschen dieses Landes unter den brutalen Bedingungen des Nordens. Der Sturm und die Kälte raubten den Menschen die Seele, so sagten die Eingeborenen und deshalb verließen sie ihre Behausungen niemals während der dunklen, kalten und stürmischen Jahreszeit.

      Die Männer hatten ein eisernes Kohlebecken mit der Glut schwelender Knochen zwischen sich geschoben. Das Kohlebecken war die einzige Wärmequelle im Zelt und deshalb war es im Innern der Filzkuppel auch ziemlich kalt. Kalt genug jedenfalls, dass der Atem der beiden wie Dampfwolken aus Nasen und Mündern quoll, kalt genug, dass die knappen Wasservorräte und das wenige an Fleisch, das sie noch besaßen steinhart gefroren war und kalt genug, dass sich keiner der beiden mehr daran erinnern konnte, wann sie sich zum letzten Mal warm und wohl gefühlt hatten. Doch immerhin besaßen sie ein Kohlebecken und sie hatten Knochen genug gefunden, um Glut zu bekommen. Glut und etwas Wärme, zugleich aber auch einen beißenden und stinkenden Qualm, der einem die Augen tränen ließ und das Gefühl vermittelte, man müsste jeden Augenblick ersticken.

      Auf der einen Seite des Kohlebeckens saß ein alter Mann, der in seiner Jugend ein beeindruckender Riese gewesen sein musste, das war immer noch zu sehen. Doch jetzt war sein Haar strähnig geworden, dünn und grau und er hatte gerade in diesem Winter mindestens ein Drittel seines Gewichtes verloren. Seine ehedem starken Zähne taugten nicht mehr viel und hatten begonnen auszufallen und damit konnte er seinen Körper auch nicht mehr mit ausreichend Nahrung versorgen und was er zu sich nahm, war schlecht gekaut. Wer ihn früher gesehen hatte, wenn er – mehr als sieben Fuß groß und mit unglaublich breiten Schultern – seine beiden Schwerter schwang oder mit seinem Freund und Begleiter Kampfübungen von atemberaubender Akrobatik absolvierte, konnte sich kaum mehr vorstellen, dass dies derselbe Mann war, der hier am Kohlebecken in einem alten Filzzelt kauerte. Er hatte einen uralten, von Motten zerfressenen Pelz um sich gewickelt und starrte trübe vor sich hin.

      Es war nicht nur der Pelz der unansehnlich und alt geworden war, die gesamte Kleidung des Mannes war zerschlissen und verbraucht und hätte eigentlich komplett ersetzt werden müssen. Das Leder seiner Leggins war speckig und dünn, sein Jagdhemd hatte längst sämtlich Fransen und Stickereien verloren, nur seine Waffen waren noch in gutem Zustand. Das lange Messer im Gürtel, die beiden Schwerter, die neben ihm am Boden lagen, sie steckten in gut geölten Scheiden und waren sicherlich bereit, jederzeit eingesetzt werden zu können.

      Der Mann war innerhalb dieses einen, letzten Winters alt geworden und hatte einfach begonnen zu zerfallen.

      Sein Begleiter war offenbar deutlich jünger und in einer viel besseren Verfassung, obwohl auch ihm Gewicht fehlte und obwohl auch mit seiner Kleidung und Ausrüstung nicht mehr viel Staat zu machen war. Sein Haar war pechschwarz und ohne auch nur eine graue Strähne darin. Seit Haut war immer noch glatt und gebräunt und seine Zähne weiß, stark und fest. Man konnte ihn auf allerhöchstens vierzig, keinesfalls aber auf mehr als fünfzig Jahre schätzen, während der andere, der Große, vielleicht schon auf die Hundert zuging.

      Der Jüngere trug ein nahezu identisches Jagdmesser am Gürtel, wie der alte Mann, doch darüber hinaus waren keine Waffen an ihm zu entdecken.

      Doch, halt, neben dem Eingang des Zeltes hingen nebeneinander mehrere wuchtige Bogen aus schwarzem Horn an ihren Haken und daneben jeweils zwei große Köcher voller Pfeile. Einer davon gehörte sicher dem alten Mann, ein anderer also dem jüngeren der beiden. Aber es hingen noch zwei weitere Bogen mit den dazu gehörenden Köchern dort und es war nicht festzustellen, wem diese Geräte gehörten. Neben den Bogen lehnten zwei unterschiedlich große, am stumpfen Ende gefiederte Speere an der Zeltwand und neben den Speeren zwei gut einen Arm lange Stöcke mit einem Knauf und einem Dorn am oberen Ende und einer Griffschlaufe am unteren.

      Zwei aufgerollte Seile aus geflochtenem Leder, die sich an einem Ende in drei, gut fünf Fuß lange Schwänze teilten und an denen drei runde, glatt polierte Steinkugeln befestigt waren, ergänzten das kleine Arsenal.

      Die auffälligsten Waffen an dieser Wand aber waren vier wundervolle Schwerter von etwas unterschiedlicher Größe. Schwerter, die zu Kriegern aus einem unendlich fernen Land und einer längst vergessenen Zeit gehören mussten. Zwei lange und zwei kurze Klingen. Wenn man die Schwerter aus ihren Scheiden nahm, konnte man sehen, dass sie nur einseitig geschliffen waren, aber auch, dass sie von überragender Schärfe sein mussten. Es waren dies die Klingen von Schwertkämpfern, die ihre Waffen zu gebrauchen wussten und für die der Schwertkampf mehr bedeutete, als die bloße Auseinandersetzung zum Zweck des Tötens.

      Kriegswaffen oder Jagdgeräte, wie immer man diese Utensilien sehen wollte. Die Schwerter waren sicherlich Kriegsgerät. Wo aber waren die Krieger, die mit diesen Waffen zu kämpfen wussten? Die dicke Staubschicht auf den schwarzen Scheiden ließ erkennen, dass sie sehr lange nicht mehr benutzt worden waren.

      Auch der jüngere Mann hatte einen großen Pelz um seine Schultern geschlungen und dieser Pelz befand sich – wie die Kleidung des Mannes - ebenfalls in einem gerade noch vertretbaren Zustand. Dennoch war dem Pelz anzusehen, dass er einstmals zu einem außergewöhnlichen Tier gehört haben musste. Ehedem hatte dieser, in silbergrauem Glanz schimmernde Pelz zu einem Tier gehört, wie es weit und breit auf diesem Teil der Welt nicht zu finden war. Einem mächtigen Tier von einer gewaltigen Größe. Einer Größe, die selbst der Größe der weißen Bären des ewigen Eises kaum nachstehen mochte.

      Es war still im Zelt. Sehr still. Das Heulen des Wintersturms war bei weitem das lauteste Geräusch das zu hören war und auch dieses Geräusch war durch den dicken Filz des Zelts gedämpft.

      „Du willst dich also tatsächlich davon machen, Bruder?“

      Der Jüngere hatte diese Frage gestellt, der Ältere antwortete. Allerdings nicht sofort. Erst nach geraumer Zeit hob er den Kopf, sah dem Freund und Ziehbruder, der ihm so gelassen gegenüber saß, mit triefenden Augen ins Gesicht und antwortete mit einem tiefen, immer noch dröhnenden Bass:

      „Was bleibt mir denn noch zu tun?

      Es ist alles längst getan, was ich tun musste und der Schmerz in meinen Eingeweiden tobt immer schlimmer. Ich mag aber nicht mehr leiden und deshalb ist es an der Zeit, dass ich gehe. Die Zeit so vieler guter Männer ist schon gekommen, so viele Freunde sind von uns gegangen, meine Frau hat mich schon vor unendlichen Jahren allein gelassen und reitet durch die sonnigen Steppen ihrer Jenseitswelt. Deine Frau ist ebenfalls in die tannengrünen Gefilde ihrer Geistheimat verschwunden und wartet dort seit endloser Zeit auf dich.

      Was also hält mich noch auf dieser Welt?“

      „Ich?“

      „Du? Ja, dir zuliebe würde ich auch noch bleiben. Aber schau uns an. Ich bin innerhalb weniger Monde ein Greis geworden, den das Gift einer schlitzäugigen Hexe von innen heraus zerfrisst, während du immer noch in bestem Saft zu stehen scheinst. Ich wäre nur noch ein Ballast für dich, wenn ich bliebe und wer weiß, am Ende würde uns die Hexe doch noch finden und dann wärst auch du verloren. Muss das sein? Ich sage nein, das muss es nicht. Deshalb werde ich diese Welt verlassen und zusehen, dass ich meinen Clan und meine Freunde wieder finde und ich werde das Zelt errichten und dich erwarten. Meine Schwester hat mich schon gerufen und auch mein Vater