Rudolf Jedele

Königreich der Pferde


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getriebenen Schamanin zum Opfer gefallen war.

      Sorcha, die Frau aus Karakorum, die Enkelin der Schamanin Sungaeta war ebenso am Gift der Hexe gestorben, wie die vier Söhne und drei Töchter, die aus seinem Samen entstanden waren.

      Kithuri, Sorchas jüngere Schwester hatte ebenfalls sterben müssen und mit ihr die beiden Töchter und der Sohn, Kinder aus den Lenden seines Bruders. Auch sie waren dem Hass der Schamanin zum Opfer geworden.

      Natürlich waren das nicht alle Menschen und Tiere, die er hinter sich gelassen hatte, doch der Tod gerade dieser Menschen machte ihm besonders zu schaffen.

      Der Mann spürte ein trockenes Würgen in seiner Kehle und aus den Tiefen seines Ichs stieg der brennende Hass in unverminderter Schärfe auf, ganz so wie er ihn in all den Jahren seit Shakiras Tod immer empfunden hatte.

      „Sungaeta, die Zeit meiner Rache ist also gekommen. Jetzt, da auch mein Bruder mich verlassen hat, macht es keinen Sinn mehr, mich weiter zu verstecken. Ich werde mir zurück holen, was mein ist und ich werde die Rache vollstrecken, die ich dir am Totenfeuer Shakiras geschworen habe. Dreihundert Jahre habe ich gewartet, nun macht es keinen Sinn mehr, weiter zu warten.“

      Der Mann hatte nie ergründen können, wodurch er sich den Hass und die Wut Sungaetas zugezogen haben mochte, doch ihre immerwährenden Angriffe auf ihn selbst und auf die Menschen, die ihm nahe standen, waren Fakt und nicht wegzudiskutieren.

      Ja, jetzt war er endgültig allein, frei und ungebunden. Jetzt konnte er seine Rache vollziehen und er schwor es vor sich selbst.

      „Beim ewigen Himmel, der mein Begleiter durch alle Abschnitte meines Lebens war, schwöre ich es. Ich, der ich einst Shandra el Guerrero war, werde dich, Sungaeta dorthin stoßen, wohin du einzig und allein gehörst. Die tiefste Schwärze des Vergessens soll über dich kommen und wenn ich meine Rache erfüllt habe, wird es sein, als hättest du niemals einen Fuß auf die Erde gesetzt. Ich werde dich auslöschen und mit dir jedwede Erinnerung in den Gedächtnissen von Menschen und Tieren, die dir begegnet sind. Dies wird meine Rache sein und ich schwöre, sie wird vollständiger sein, als alles was ich je im Leben getan habe.“

      Langsam trat der Mann, der sich selbst Shandra el Guerrero genannt hatte, noch ein paar Schritte näher an die wabernde Flammenwand heran, die seinen toten Ziehbruder Rollo in dessen Geistheimat gebracht hatte und wärmte sich die bloßen Hände. Lange würden die Flammen nicht mehr anhalten, das wenige an Nahrung, das die Jurte zu bieten gehabt hatte, war nahezu aufgebraucht und wenn die letzte Flamme aufgezüngelt war, würde er das kleine Horn einer Antilope mit der noch warmen Asche füllen, das Horn gut verschließen und sich dann auf den Weg machen, um seine letzte Aufgabe zu beginnen.

      Der ewige Himmel sollte ihn begleiten und die Rentiere seine Lasten ziehen. Er hatte die Waffen von der Wand der Jurte genommen, auch den Bogen und die Pfeile seines Bruders, denn er brachte es nicht fertig, ein Gerät zu zerstören, das ihn und den Bruder so viele Jahrhunderte lang begleitet hatte. Er fragte sich zwar insgeheim, ob es jemals einen Menschen geben würde, dessen Kraft ausreichte, um diesen Bogen zu spannen und einen Pfeil von ihm abzuschießen, aber das waren Gedanken, über die sich andere den Kopf zerbrechen mochten, wenn es an der Zeit dazu war. Es waren die Waffen eines Helden und sie zu zerstören wäre ihm wie ein Sakrileg vorgekommen. So lag alles was er noch besaß gut verpackt auf dem Schlitten. Vier starke Rentiere würden ihn trotz seines beträchtlichen Gewichtes mühelos ziehen können. Der Krieger stellte seine Füße auf die Kufenenden des Schlittens und schnalzte mit der Zunge, ehe er einen gellenden Schrei ausstieß. Der Zeitpunkt war gekommen, der Schrei war das Signal für die Rentiere und mit einem mächtigen Ruck warfen sie sich in die Riemen, krachend lösten sich die festgefrorenen Kufen des Schlittens vom Schnee und dann waren sie unterwegs

      Nun ging es endgültig nach Süden. Die beiden starken Wölfe begleiteten ihn, sie mochten ihm den Rücken frei halten. Über mehr Hilfe verfügte er nicht, mehr würde er auch nicht brauchen.

      Shandra lenkte den Schlitten nach Südwesten und der ewige Himmel bestätigte ihm, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

      Plötzlich und absolut ungewöhnlich für die Jahreszeit riss die graue Wolkendecke auf und die gewaltige Kuppel des stahlblauen Himmels wurde sichtbar. Es war nur ein kurzes Aufblitzen, nur ein jäher Augenblick, doch er genügte Shandra als Zeichen.

      Ein leises Lachen kam aus seiner Brust, er fühlte die Befriedigung in seiner Brust aufsteigen, er wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

      Die Tundra frisst zuerst die Seele der Menschen, ehe sie deren Körper verschlingt.

      Die Angehörigen des Rentiervolkes, mit denen Shandra sich in den letzten beiden Jahrhunderten mehr oder weniger regelmäßig getroffen hatten, verbreiteten diese These in all ihren Geschichten und Legenden.

      Im kurzen, heißen Sommer war die Tundra ein menschenfeindliches Ungeheuer aus bodenlosem Morast, aus alles verschlingenden Sümpfen und aus Flüssen und Strömen von geradezu ungeheuerlichen Ausmaßen. Myriaden von blutsaugenden Insekten, winzige Kriebelmücken aber auch Moskitos von der Größe eines kleinen Vogels bildeten den Hauptanteil des tierischen Lebens während dieser Zeit. Nur ein Narr hielt sich während des Sommers in der Tundra auf.

      Der Winter erst machte die Tundra passierbar. Ein über Monate hinweg stetig und stark blasender Nordostwind buk Schnee und Eis zu einer festen Masse zusammen, die auch das Gewicht eines schweren Schlittens und die Tritte von Mensch und Tier tragen konnte. Der Winter sorgte so dafür, dass man die Sümpfe durchqueren konnte, ohne von den Moorhexen verschlungen zu werden. Allerdings war es alles andere als ein Vergnügen, die endlosen Weiten der Tundra vor Augen zu haben und nicht an der Erkenntnis zu verzagen, dass man selbst allenfalls ein Nichts angesichts dieser schieren Unendlichkeit darstellte.

      Die Kälte saugte den Menschen die Kraft aus den Knochen und raubte ihnen den Mut. Es war so kalt, dass selbst ausgespuckter Speichel als klirrender Eisbrocken zu Boden fiel. Die Kälte und der Wind sorgten zusammen dafür, dass die Schneedecke der Tundra nur dünn blieb und nur aus diesem Grund zog es Winter für Winter riesige Herden von Rentieren und Karibus aus den Steppen und Wäldern hinaus in die Tundra. Unter der harten, aber dünnen Schneeschicht fanden die Tiere auch im strengsten und tiefsten Winter Moose und Flechten genug, um satt zu werden und die lange Polarnacht zu überstehen.

      Der Mensch, welcher sich in dieser Jahreszeit daran machte, die Tundra zu durchstreifen, musste mehr mitbringen als nur den Glauben an sich selbst und an die eigene Unbesiegbarkeit. Kraft und schier unendliche Ausdauer waren ebenso charakteristisch für die Angehörigen der Rentiervölker, wie stoische Geduld, die man andernorts vielleicht eher als dumpfen Starrsinn bezeichnet haben würde.

      Ein Mensch in der Wintertundra musste in der Lage sein, bei ununterbrochener Finsternis unter einem wolkenverhangenen, bleigrauen und tiefhängenden Wolkenhimmel seine Richtung bestimmen zu können. Wer dazu nicht in der Lage war, den verschlang die Tundra ohne Gnade.

      Ein Mensch in der Wintertundra, musste damit zurechtkommen, dass die unnatürliche Weite auch unnatürlich still war. Das ununterbrochene Heulen des Nordostwindes stellte das alles beherrschende Geräusch dar. Ein Geräusch, das nur ganz selten unterbrochen wurde von dem Klappern der Geweihe umherziehender Karibu- und Rentierherden, von einem vereinzelt aufsteigenden Wolfsgesang oder vom Knacken brechender Eisschichten.

      Die Bilder der Wintertundra verwirrten den Geist, denn der Wind ließ immer wieder und wie aus dem Nichts Schneehosen aufsteigen, jagte sie entlang des Horizontes und ehe ein Auge diese Windgeister wirklich erfassen konnte, waren sie schon wieder verschwunden.

      All das zusammen ließ die Tundra zum Feind der Menschen werden.

      Zum Feind der Menschen jedenfalls, die nicht den Rentiervölkern angehörten.

      Shandra und Rollo hatten die Zeit genutzt, die sie gezwungener Maßen in dieser unwirtlichen Wildnis verbracht hatten. Sie hatten gelernt, die Tundra genauso zu akzeptieren, wie es ihnen die Nomaden der Rentiervölker vorlebten. Doch Rollo war gegangen, sein Weg in dieser Welt war zu Ende gewesen und Shandra war allein zurückgeblieben. Nur