Norbert Rogalski

Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte


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Konflikte, die ihre Ursache verschiedentlich im politischen Tagesgeschehen hatten. Auf der Grundlage meiner Überzeugungen kam ich immer wieder zu positiven Schlussfolgerungen, die mein Denken und Handeln für die gesellschaftliche und berufliche Tätigkeit motivierten. Der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1990 führte zu einer entscheidenden Zäsur meiner bisherigen beruflichen Entwicklung und Tätigkeit. Die vollständige Anwendung der Gesetze und Verordnungen der BRD auf alle Bereiche der gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR erfasste auch die Hochschullandschaft, Körperkultur und Sport sowie ihre Einrichtungen. Die DHfK wurde abgewickelt, wie dieser Vorgang in der politischen Diplomatie der Wendezeit genannt wurde. In Wirklichkeit bedeutete aber Abwicklung die Liquidierung der Einrichtung, die mit der Entlassung der Hochschullehrer, der Mitarbeiter und Fachkräfte und ihrer Ausschaltung aus dem gesellschaftlichen Leben unmittelbar verbunden war. Nur wenige fanden eine weiterführende Betätigung an der Nachfolgeeinrichtung der DHfK, der Fakultät für Sportwissenschaft der Universität Leipzig. Sehr anschaulich, mit Gesetzestexten und statistischen Zahlen belegt, hat Arno Hecht in seinem Buch „Die Wissenschaftselite Ostdeutschlands. Feindliche Übernahme oder Integration?“ (Verlag Faber u. Faber, Leipzig 2002) alle Einzelheiten der beruflichen Ausgrenzung der ehemaligen Wissenschaftler der DDR beschrieben. So kam auch meine Entlassung an der noch bestehenden DHfK im Jahre 1991 praktisch einem Berufsverbot gleich, da ich - trotz Bewerbung – keine Chance mehr erhielt, weiter im Bereich der Sportwissenschaft auf einem bestimmten Gebiet tätig zu sein. Wie über den Sport im Allgemeinen und über den Leistungssport der DDR im Besonderen wurden auch über die DHfK und die Sportwissenschaft nach der Wende bis in die Gegenwart immer wieder Unwahrheiten öffentlich verbreitet. Ohne stichhaltige Begründung sind ehemalige Leiter und Mitarbeiter der Hochschule politisch diffamiert worden. Nicht bewiesene Behauptungen waren zu lesen, an der DHfK wäre Doping Gegenstand der Lehre und Forschung gewesen, um nur an wenigen Beispielen solcher Publikationen die Tendenz deutlich zu machen. Im Gegensatz dazu haben sich renommierte Persönlichkeiten des Sports vieler Länder und internationaler Sportorganisationen sehr anerkennend über die hohe Leistungsfähigkeit der DHfK geäußert und ihre Wirkung auf Körperkultur und Sport hervorgehoben, ihre Abwicklung bedauert. In den vergangenen Jahren sind aber auch zahlreiche Beiträge von überwiegend aus der ehemaligen DDR stammenden Autoren publiziert worden, die ein objektives Bild der Geschichte und der Leistungen der Hochschule vermitteln. Die Geschichte der DHfK ist nicht nur auf chronologische Fakten, auf eine sachliche Darstellung der Ergebnisse in Lehre, Forschung und Wissenschaftsentwicklung zu reduzieren. Sie war auch gleichermaßen die persönliche Geschichte ihrer Mitarbeiter aller Generationen, mit ihrem Berufsleben eng verknüpft. Sie war für jeden Einzelnen mehr oder weniger mit politischem Bekenntnis zur DDR und mit den Zielen und Ergebnissen des Sports im Lande verbunden, aber auch mit Widersprüchen über die Probleme des Alltags. Anstrengungen, hohe Einsatzbereitschaft und zugleich Feiern und Geselligkeit in den Arbeitskollektiven gehörten dazu. Die DHfK war ein lebendiger Organismus, war erlebnisreicher und vielfältiger, als sie von manchem Historiker oder Journalisten der alten Bundesländer beschrieben wird, die sie während der 40 Jahre ihres Bestehens oftmals nur oberflächlich oder nie gekannt haben, bewusst sehr einseitig über sie berichteten. Treffen sich ehemalige Mitarbeiter der DHfK, so haben sie sich viel zu erzählen, Erinnerungen werden wachgerufen, ernsthafte und spaßige Episoden vorgetragen, Wertungen vorgenommen oder auch über Personen gesprochen, mit denen man gemeinsam tätig gewesen ist. Oftmals wird gesagt: „Das müsste man festhalten, um die Geschichte der DHfK zu vervollständigen“. Doch es geschieht meistens nicht. Formen und Möglichkeiten sind dazu auch beschränkt. Ich hatte mich schon längere Zeit mit dem Gedanken getragen, meine Erinnerungen unter einem solchen Gesichtspunkt zu rekapitulieren, zu ordnen und unter meiner persönlichen Sicht aufzuschreiben, die auch zur Illustration und Ergänzung einer systematischen Entwicklungsgeschichte der Hochschule beitragen können. Deshalb wird nicht der Anspruch erhoben, vollständig zu sein, chronologisch, alle Zeiträume der Existenz der DHfK aufzugreifen. Meine Schilderungen beziehen sich auf eine Auswahl von Geschehnissen und Sachverhalten, die mir für das Gesamtbild der Hochschule besonders wichtig erschienen, aber für eine geschichtswissenschaftlich exakte Betrachtung kaum in Frage kommen. Die nachfolgenden Abschnitte sind also keine wissenschaftliche Abhandlung mit Belegen und Quellenangaben. Sie beruhen auf ehemaligen Notizen in Arbeitsbüchern, stützen sich auf Manuskripte und Kalender, vor allem aber auf gedankliche Rekonstruktionen und Erinnerungsvermögen. Dadurch können manche Einzelheiten auch Irrtümern unterliegen. Namen werden nur in den Fällen genannt, wo sie dem Sachverhalt zum besseren Verständnis dienen. Bei dem zeitlichen Verlauf und der Art der Darstellung bin ich von meinen biographischen Schwerpunkten ausgegangen und habe sie als sogenannten „roten Faden“ benutzt, ohne den Anspruch auf eine Biographie zu erheben. Besonders bemüht war ich, so realistisch wie möglich an die Beschreibung der Fakten und Ereignisse heranzugehen und vor allem politische, sportpolitische und hochschulpolitische Tatsachen und Vorgänge, die unter heutiger Sicht und mit Abstand von mehr als einem Jahrzehnt unbequem sein können, nicht gedanklich zu verdrängen und sie in den Zusammenhang der politischen Verhältnisse zu stellen. Mein Bestreben war es somit, einen weiteren Beitrag zur Erfassung und Bewertung einzelner Abschnitte der Geschichte der DHfK und – soweit es einen inhaltlichen Bezug dazu gab – auch zur Sportwissenschaft und zu Körperkultur und Sport der DDR zu leisten und mich schriftlich festzulegen. Als Zeitzeuge, der den Hauptteil der Qualifizierung und des Berufslebens an der DHfK verbracht hat sowie mehrere Jahre auch in Leitungsverantwortung diese Hochschule unmittelbar miterlebte, können meine Betrachtungen vielleicht mehr als eine Fußnote Wert sein. Mein Dank gilt mehreren ehemaligen Kollegen der Hochschule und aus den Leitungsbereichen des Sports, die das Manuskript gelesen haben, mir zahlreiche Hinweise gaben und mich bestärkten, das Vorhaben zu Ende zu führen. Soweit ich mich ihren Auffassungen anschließen konnte oder sie dazu beitrugen, historische Begebenheiten genauer einzuordnen, habe ich sie selbstverständlich berücksichtigt. Während des Schreibens der Abschnitte kam es auch zu einem ursprünglich nicht beabsichtigten , nützlichen Nebeneffekt für mich. Mit dem Umgang eines Computers bisher unkundig, konnte ich zumindest diese moderne Technik soweit beherrschen lernen, um diesen Text und andere Texte schreiben zu können. Dabei kam es oft auch zu Stockungen und Pannen, weil z. B. der Computer beim Seiteeinstellen oder Formatieren nicht so wollte, wie ich gedachte, ihm Befehle erteilt zu haben. Meine Frau, die Kinder und in einem Fall schon ein Enkelkind waren deshalb sehr hilfreiche Begleiter. In manchmal aussichtslosen Situationen brachten sie die Texte wieder auf den Monitor. Mir wurde in dem Zusammenhang bewusst, welch großen Sprung die jüngere Generation im Wissen und Können, vor allem auf diesem Gebiet, der älteren Generation voraus hat. Deshalb beziehe ich sie in meinem Dank in gleicher Weise ein.

      Flucht, Schulzeit und erste Lehr- und Arbeitsjahre

       (1945 – 1954)

      Unzählige, übervolle Züge verließen im Januar/Februar 1945 die Stadt Breslau in westlicher Richtung nach Mitteldeutschland. Als sich ein solcher Zug am 22.01.1945 in Bewegung setzte, kannte keiner der Insassen, zu denen meine Mutter und ich gehörten, das Ziel. Wenige Tage vorher hatte ich Geburtstag und wurde erst 10 Jahre alt. Am 24.01.1945 nachts hielt er, und wir wurden aufgefordert auszusteigen. Niemand wusste, wo wir uns befanden. Durch die Dunkelheit auf dem Bahnsteig konnte man das Ortsschild nicht auf den ersten Blick erkennen. Die Anordnungen der staatlichen oder polizeilichen Behörden, alle öffentlichen Gebäude sowie sämtliche Häuser zu verdunkeln, Straßenbeleuchtung auszuschalten, um, so die Erklärungen, den feindlichen Luftangriffen keine Orientierung zu bieten, waren noch wirksam. Doch bald sprach sich herum, es war die Stadt Bautzen in der Lausitz. Der Zug benötigte also von Breslau nach Bautzen 3 Tage, unter normalen Umständen in 3 Stunden zu erreichen. Während der oft stundenlangen Haltepausen des Zuges reichten Helfer des Roten Kreuzes warme Getränke und etwas zu essen. Zum Jahreswechsel 1944/45 und vor allem in den ersten Januartagen 1945 war Schlesien zu einem Brennpunkt an der Ostfront des 2. Weltkrieges geworden. Die sowjetische Armee hatte Polen bereits überwiegend besetzt und näherte sich der deutschen Grenze. Breslau wurde zur Festung erklärt. Die Hauptstraßen füllten sich mit