Norbert Rogalski

Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte


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wenn Training und Wettkämpfe im Sinne des Leistungssports auf der Grundlage von zentralen Beschlüssen der Sportorganisation und des jeweiligen Sportverbandes erfolgten. Die Verantwortlichen der Sektion Fußball der BSG boten mir eine Tätigkeit im Kaliwerk als Grubenzimmermann an, eine Arbeit 700m unter der Erde, außerhalb der direkten Kaliförderung. Den Wechsel der Arbeitstelle hatte ich mir aber so nicht vorgestellt. Ich dachte eher an eine Arbeit, die über Tage und in enger Beziehung zu meinem bisherigen Beruf als Tischler stehen sollte. Ich stimmte letztlich zu. Der Bezahlung als Grubenzimmermann lag der Bergmannstarif zugrunde. Damit konnte ich auch für die damaligen Verhältnisse erheblich mehr verdienen als in der Tischlerei. Meine Wünsche, im Fußball gut voranzukommen, verbanden sich nun mit der Tatsache, berechtigten Wünschen als Jugendlicher schneller entsprechen zu können, die nun mit größeren finanziellen Möglichkeiten zu realisieren waren. Die Tätigkeit im Kaliwerk in einer Brigade, deren Mitglieder wesentlich älter waren als ich und ihre Lebenserfahrung wiederum überwiegend durch Kriegserlebnisse und Kriegsgefangenschaft beeinflusst waren, fiel mir anfangs nicht leicht. Die Arbeitskollegen hatten aber Verständnis für meine Entscheidung, die berufliche Tätigkeit zu wechseln, und erleichterten mir die Einarbeitung insofern, dass sie ihre bergmännischen Kenntnisse und Fertigkeiten nicht ausspielten und mich nicht wie einen Lehrling behandelten. Sie akzeptierten auch, dass ich dreimal in der Woche vorzeitig die Arbeitsstelle verließ, aus der Grube ausfuhr, um pünktlich zum Training zu erscheinen. Ich war am Ziel meiner Bestrebungen, aufgenommen in den Kreis der Männermannschaften und eine bedeutend bessere finanzielle Entlohnung zu bekommen, um den Preis, den erlernten Beruf als Tischler nicht mehr ausüben zu können. Nach einigen Monaten kamen mir aber Zweifel, ob meine Entscheidung, die Arbeitstelle im Kaliwerk angenommen zu haben, nicht doch kurzsichtig war und ich meine Fähigkeiten als Fußballspieler überschätzte hatte. Zu diesem Zeitpunkt, es war im Sommer 1953, fand ich eine Annonce von der Deutschen Hochschule für Körperkultur aus Leipzig in der Zeitung. Darin wurde mitgeteilt, sich für ein Sportstudium bewerben zu können mit dem Ziel, das Studium mit dem Berufsabschluss „Diplomsportlehrer“ zu beenden, um hauptamtlich im Bereich des Sports später tätig zu sein. Voraussetzung dafür war aber das Abitur, die Hochschulreife zu besitzen. Das war bei mir nicht der Fall. Ich sprach mit meinem Freund darüber, der mir meine Enttäuschung ansah, aber mich auf eine Möglichkeit aufmerksam machte, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts wusste. Er hatte sich, um ebenfalls das Abitur nachzuholen, an der ABF in Jena beworben und studierte anschließend Forstwirtschaft. Es gab also doch ein Perspektive für mich. Ich schrieb an die DHfK mit der Bitte, mir in Leipzig Möglichkeiten aufzuzeigen, die Hochschulreife noch erwerben zu können, um mich anschließend für das Studium zu bewerben. Schon nach wenigen Tagen bekam ich eine Antwort. Zu meiner Freude wurde mir mitgeteilt, dass an der DHfK eine eigene ABF angegliedert war, die auch speziell auf dass Sportstudium vorbereitet. Zu den übermittelten Bewerbungsformularen gehörten auch die Bedingungen, um an der ABF aufgenommen zu werden. Ich sah zunächst wenig Chancen, die Aufnahmeprüfung erfolgreich zu bestehen. Sie bestand aus theoretischen und sportpraktischen Teilen. Meine Voraussetzungen nach nur sieben Jahren Grundschulzeit mit wenig Erweiterungen durch die Berufsschule schätzte ich nicht sehr günstig ein. Eine weitere Bedingung zur Aufnahme an der ABF waren eine Beurteilung und ein Delegierungsschreiben vom Betrieb, in dem ich arbeitete. Ich wandte mich an die Betriebs - und Betriebsgewerkschaftsleitung mit der Bitte, eine solche Delegierung für mich auszusprechen. Das war für das Kaliwerk damit verbunden, eine Arbeitskraft zu verlieren. Der Mangel an Arbeitskräften war bereits in den ersten Jahren der DDR der Normalfall. Eine Ablehnung meines Wunsches konnte ich also nicht ausschließen. Die Reaktion fiel zu meinen Gunsten aus: Keine Ablehnung für meinen beabsichtigten Schritt, im Gegenteil, er wurde begrüßt und unterstützt. In diesen Jahren hatte die Regierung der DDR eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um Kinder von Arbeitern und Bauern schrittweise für akademische Berufe zu qualifizieren. Das Kaliwerk hatte – wie andere Betriebe ebenfalls – eine zahlenmäßige Auflage, junge Menschen für ein Studium an der ABF zu gewinnen. Mein Wunsch und die Aufgaben des Betriebes waren somit deckungsgleich. Mit einem Glückwunsch für den beabsichtigten Schritt erhielt ich die Delegierungsurkunde, die noch damit verbunden gewesen ist, mir jedes Studienjahr 250 Mark Büchergeld zu überweisen. Meine Mutter legte mir ebenfalls nichts in den Weg, gab aber zu bedenken, wie das mit meinem Lebensunterhalt weitergehen sollte. Daran hatte ich bisher, diesen Schritt vor Augen, kaum gedacht. Von ihr konnte ich keine finanzielle Unterstützung erwarten. Nicht, weil sie es nicht wollte, sondern weil sie dafür keine Voraussetzung mit ihrem Verdienst als Näherin bei den Dorfbewohnern hatte. An das monatliche, recht gute Entgeld im Kalibergbau war ich bereits gewöhnt. Ich musste mir bewusst werden, sollte eine Zusage zum Studium kommen, dass ich dann mit 180 Mark Stipendium auszukommen hatte und das mehrere Jahre lang. Ich sprach auch mit dem Trainer, der zwar nicht begeistert auf meine Vorstellung reagierte, aber sofort bereit war, mir eine Beurteilung über meine sportliche Leistungsfähigkeit und mein Verhalten im Sportlerkollektiv zu schreiben. Die Bewerbung zum Studium an der ABF konnte abgeschickt werden. Auf die Antwort wartete ich mit Spannung. Meinen Lebensweg von 1945 bis zur Bewerbung und der Zulassung zum Studium an der ABF begleiteten auch Ereignisse von politischer Tragweite. Schrittweise wurde mein Denken davon beeinflusst, besonders unter der Fragestellung, wie die sich gebildeten zwei deutschen Staaten nach dem 2. Weltkrieg, den ich als Kind in seinem Ausgang noch kennen gelernt hatte, weiterentwickeln würden. Überlegungen über die Konsequenzen einer gegensätzlichen politischen Entwicklung beider Staaten , die sich schon in den 50er Jahren andeutete, waren damals für mich als Jugendlicher noch kein ernsthaftes Thema von Erörterungen. Viele Diskussionen der Erwachsenen, der Arbeitskollegen oder älterer Sportfreunde endeten sinngemäß mit der Meinung: Nach wenigen Jahren der Übergangszeit und des Bestehens von zwei deutschen Staaten wird die Einheit Deutschlands wieder hergestellt sein. Politiker beider Staaten unterstützten zumindest in ihren Reden solche Auffassungen. Unvergessen ist mir ein Erlebnis vom Juni 1948 geblieben. Unsere Schulklasse war zum Sammeln von Kartoffelkäfern eingesetzt, die wie ein Teppich zu Hunderttausenden die Kartoffelfelder überdeckten und die Pflanzen zerfraßen. Die allgemeine Erklärung für dieses Ereignis war, die Amerikaner hätten dieses Ungeziefer über der sowjetischen Besatzungszone abgeworfen, um ihr zu schaden. Der Beweis dafür wurde wohl nie richtig erbracht. Als wir am gleichen Tag gegen Mittag von dieser ungewöhnlichen Sammelaktion in die Schule zurückkehrten, wurden wir Kinder, damals 13 Jahre alt, durch die Lehrer über die Tatsache informiert, dass in den westlichen Besatzungszonen eine andere Währung, die D-Mark, eingeführt wurde. Für die erwachsene Bevölkerung der Region – nur etwa 10 km von den Westzonen entfernt – war diese überraschende Maßnahme von einschneidender Bedeutung. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man ziemlich ungehindert die Demarkationslinie, die spätere Staatsgrenze, in Richtung Westen überschreiten. Das wurde besonders dazu genutzt, bestimmte Waren in den Westzonen einzukaufen, die es in der sowjetischen Zone z. T. noch nicht gab. Die bisherige gleiche Währung machte es möglich. Auch konnten unmittelbare Kontakte mit Verwandten und Bekannten über die Zonengrenze hinweg, zwar mit einigen Erschwernissen, aber doch beibehalten werden. Das Überschreiten der Grenze in beide Richtungen war noch problemlos und durch die relativ kurze Entfernung von unserem Ort ohne Verkehrsmittel zu Fuß zu bewältigen. Üblich war bis zum Zeitpunkt der Einführung einer anderen Währung in den Westzonen, dass mit Pferdegespannen aus unterschiedlichen Gründen in die westliche Zone gefahren wurde, um vor allem die gekauften Produkte in größeren Mengen zu transportieren. Die Gespannführer, die Bauern, kannten die Wege durch Wald und Flur. Straßen wurden gemieden, man wollte Kontrollen entgehen. Einige Großbauern verließen in diesen Jahren ihren Hof und kehrten von solchen Fahrten nicht mehr zurück. Nach Gründen wurde in der Regel nicht gefragt, uns Kinder interessierte es auch nicht. Die westlichen Besatzungsmächte leiteten mit der Einführung der D-Mark in ihren Verwaltungsbereichen mit aktiver Hilfe von westdeutschen Politikern die Spaltung Deutschlands in zwei Staaten bereits 1948 vorsätzlich ein. Ich hatte diesen Vorgang somit als Schulkind unmittelbar miterlebt, aber in seinen prinzipiellen Auswirkungen für die weiteren politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen beider deutschen Staaten erst Jahre später einordnen und bewerten können. Während der Jahre als Tischlerlehrling war ich unmittelbar beteiligt an einer Maßnahme, die von den Regierungsstellen oder auch der Besatzungsmacht angeordnet wurde: Die Demarkationslinie zwischen Ost- und Westzone sollte genauer gekennzeichnet werden. Unser Tischlermeister sowie andere Betriebe und Firmen hatten eine bestimmte Anzahl von Personen für diese Arbeiten bereitzustellen. Ich wurde dazu ausgewählt, auf Lehrlinge