Norbert Rogalski

Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte


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nach wenigen Wochen bekam ich wiederum Post aus Leipzig mit der Mitteilung, dass ich die Prüfung bestanden habe und im September nach der Herbstmesse 1954 das Studium an der ABF der DHfK beginnen kann. Ich war am Ziel meines Wunsches, einmal Sportlehrer zu werden. Nun wurde es ernst. Ich musste meine gewohnte Umgebung, Wohnort, Freunde, die Betätigung in der Sportgemeinschaft für Jahre mit einer Großstadt und völlig neuen Anforderungen tauschen.

       Mitte September zu Beginn des Studienjahres 1954/55 reiste ich nun mit einem Koffer in Leipzig an. Das Gebäude der DHfK und der ABF am Waldplatz kannte ich bereits von der Eignungsprüfung. Es wurde während der gesamten Zeit des Bestehens der Hochschule immer „Altbau“ genannt und gehörte früher der Sozialversicherung, bevor es der DHfK zur Verfügung gestellt worden ist. Während der Einweisung durch Lehrkräfte der ABF erfuhren wir, dass sich in dem Gebäude nicht nur die Unterrichtsräume der ABF befanden, sondern auch die Seminar- und Laborräume sowie ein Hörsaal (Erich-Zeigner-Saal) für den gesamten Lehrbetrieb des Hochschulstudiums. Die Mensa im 3. und 4. Stockwerk und eine Sporthalle im Kellergeschoss wurden sowohl von den ABF-Studenten als auch von den Studenten des Hochschulstudiums genutzt. Der Schwimmunterricht fand ebenfalls für beide Gruppen von Studenten im damaligen Westbad statt, die Ausbildung in der Leichtathletik und in den Sportspielen erfolgte auf der sogenannten Nordanlage des Sportforums oder auf der Festwiese. Während der Ausbildung, im Speisesaal der Mensa und auch in der Freizeit kam es zu ständigen Begegnungen beider Studentengruppen. Wir ABF-Studenten hatten von Beginn des Studiums an nie den Eindruck, nicht als vollwertige Angehörige der DHfK angesehen zu werden. Das Unterrichtsgeschehen beider Gruppen von Studenten in einem Gebäude und auf den gleichen Sportanlagen hatte für beide Seiten Vorteile. Es entstand ein nutzbringender Erfahrungsaustausch, der sich nicht nur auf das Studium beschränkte. Verstärkt wurde das Gefühl der Zusammengehörigkeit, indem alle Studenten mit einheitlichen Trainingsanzügen ausgestattet worden sind. In den 50er und 60er Jahren war das Markenzeichen der DHfK-Studenten und aller Lehrkräfte in der Öffentlichkeit ein dunkelblauer Trainingsanzug mit den vier weißen Buchstaben „DHfK“, im Halbbogen auf der Vorderseite der Jacke aufgenäht. Die Lehrkräfte waren insofern herausgehoben, da ihr Trainingsanzug mit einem hellgrauen Krageneinsatz versehen war. Als wir neuen ABF-Studenten diesen Trainingsanzug empfangen hatten, wurde er zunächst weniger im Sportunterricht als vielmehr in der Freizeit ,z.B. auch zu Kinobesuchen in der Stadt angezogen. Wir bildeten dabei keine Ausnahme, oftmals sah man auch Studenten älterer Semester und des Hochschulstudiums mit dieser Kleidung in der Stadt. Die DHfK hatte in den 50er Jahren noch keinen Weltruf wie in den 70er und 80er Jahren, aber in der DDR und vor allem in Leipzig spielte sie bereits eine wichtige Rolle in der Bevölkerung, wenngleich sie nicht von allen Leipzigern vorbehaltlos akzeptiert wurde. An der DHfK studieren zu können und das mit dem Trainingsanzug sichtbar zu machen, erfüllte die Studenten mit Stolz auf ihre Ausbildungsstätte und stärkte das Selbstbewusstsein. Hinweise der Leitung der ABF führten aber bald dazu, den Trainingsanzug nur zum Sportunterricht oder zu besondern Anlässen zu tragen.

       Während einer ersten Einweisung wurden die Seminargruppen zusammengestellt, wir machten uns untereinander bekannt. Meine Gruppe bestand aus etwa 20 männlichen und weiblichen Studierenden. Von den männlichen Seminargruppenmitgliedern war ich mit knapp 20 Jahren einer der jüngsten Studenten. Es war an der ABF keine Seltenheit, dass Studentinnen und Studenten auch zwischen 30 und 40 Jahren noch das Nachholen des Abiturs in Angriff nahmen.. Oftmals hatten sie bereits eine eigene Familie und waren Mütter oder Väter. In den Anfangsjahren der ABF gab es relativ große Altersunterschiede zwischen den Studenten. Gemeinsamkeiten bestanden insofern, dass - bis auf Ausnahmen - alle einen Berufsabschluss besaßen und damit unterschiedliche Lebenserfahrungen in die neue Form des Zusammenlebens einbrachten. Nach der ersten Zusammenkunft in der Gruppe suchten wir unser Internat auf. Die ABF der DHfK besaß damals ein größeres, fünf Stockwerke hohes Eckgebäude in der Straße des 18.Oktober in Leipzig, das für die Männer der Seminargruppe unsere Unterkunft für die nächsten Wochen, Monate und auch Jahre werden sollte. In den 70er und 80er Jahren wurde dieses Internat für die ausländischen Studenten der DHfK bereitgestellt. In die einzelnen Zimmer zogen drei bis vier Studenten ein. Jeder hatte ein Bett und einen Stuhl, zwei Mann einen Schrank für die Kleidung, ein größerer Tisch war für alle Zimmerbewohner ausreichend, die schriftlichen Aufgaben zu erledigen. Bücherregale vervollständigten die Einrichtung. Auf jeder Etage befanden sich eine Küche, ein Klubraum mit Rundfunkgeräten und sanitäre Einrichtungen. Bettwäsche gab es ebenfalls kostenlos, der Tausch wurde von der Internatsleitung organisiert. Die Unterbringung war kein Luxus und den Möglichkeiten der damaligen Verhältnisse entsprechend angepasst. Ich kann mich nicht erinnern, dass es von den ABF-Studenten etwa kritische Bemerkungen zu diesem Internat und deren Einrichtung gegeben hätte. Das Grundstipendium betrug monatlich für alle Studierenden – unabhängig von den sozialen Verhältnissen der Eltern - 180 Mark. Davon wurden lediglich 10 Mark für den Internatsplatz abgezogen. Ohne diese Möglichkeit der Unterbringung wäre es für die Mehrzahl unmöglich gewesen, ein Studium aufzunehmen. Die allgemeine Wohnungsnot zu dieser Zeit verhinderte in der Regel auch die individuelle Suche nach einem Zimmer. Die Erwartung, eine Unterkunft auf privater Basis zu bekommen, war außerordentlich gering. Darüber hinaus wäre die Bezahlung vom Stipendium kaum möglich gewesen. Nur ein geringer Teil der Studenten wohnte zur Untermiete bei Bürgern in der Stadt.

       Das Zusammenleben im Internat aller drei Studienjahre gestaltete sich problemlos nach der Art der Selbstverwaltung auf der Grundlage einer Internatsordnung. Hausherr war ein von der ABF eingesetzter staatlicher Internatsleiter, ein Hausmeister erfüllte grundsätzliche Aufgaben in diesem Haus. Jeweils eine Woche lang war eine Seminargruppe für die Einhaltung der Festlegungen der Internatsordnung verantwortlich, vor allem was den Ein- und Ausgang betraf. Rund um die Uhr war ein studentischer Pförtnerdienst tätig, der gleichzeitig die Post und die Tageszeitungen entgegennahm sowie Getränke verkaufte. In den folgenden Jahrzehnten haben sich die Bedingungen in den Internaten der DDR und auch an der DHfK schrittweise bedeutend verbessert, ohne dass die Kosten für die Studenten gestiegen sind. So wurden unter anderem auch Kleinstwohnungen für Studentenehepaare mit Kind oder nur für Studentinnen mit Kind eingerichtet. Die Bereitstellung und Subvention der Internatsplätze durch staatliche Organe der DDR konnten Bürger aller sozialen Schichten der Bevölkerung gleichermaßen nutzen. Die Chance, auf dem Wege über die ABF an Fach- und Hochschulen oder Universitäten sich zu qualifizierten, war bereits schon wenige Jahre nach dem Krieg nicht von finanziellen Möglichkeiten abhängig. Die Kosten für die Verpflegung konnten ebenfalls vom Stipendium mit einer angemessenen Summe beglichen werden. Für die Vollverpflegung in der Mensa (Frühstück, Mittag und Abendbrot), waren 60 Mark monatlich zu bezahlen, die vom Stipendium einbehalten wurden. Die Differenz zu den tatsächlichen Kosten wurde ebenfalls vom Staat getragen. Nur wer besondere Ansprüche an die Mahlzeiten stellte, nahm an der Mensa-Versorgung nicht teil, suchte Gaststätten auf oder verpflegte sich mit erheblich größeren Kosten selbst. Abzüglich der Internatsunterbringung und Vollverpflegung verblieben jedem Studenten noch 110 Markt vom Grundstipendium für weitere persönliche Erfordernisse im Monat. Das war für uns ABF-Studenten, die wir schon im Arbeitsprozess gestanden und somit eine größere Summe Geld im Monat zur Verfügung hatten, anfangs eine schwierige Situation. Man musste sich erst daran gewöhnen, mit weniger finanziellen Mitteln auszukommen. Oft kam es vor, dass wenige Tage vor dem Zahltag des Stipendiums die Geldbörse leer war und untereinander geborgt und ausgeholfen wurde.

       Im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsverpflegung an der ABF der DHfK erscheint eine Regelung in den Jahren 1954/55 im Rückblick fast unglaubhaft. Jeder Studierende bekam monatlich ein bis zwei Kilogramm Zucker in Tüten verpackt ausgehändigt. Man konnte diesen Zucker in der Kaltverpflegungsstelle abholen, die im Erdgeschoss im Altbau eingerichtet war. In diesen Jahren musste der Zucker noch rationiert werden, d. h. er wurde an die Bevölkerung auf Lebensmittelkarten ausgegeben. Da Studierende keine Lebensmittelkarten besaßen, aber ihnen die festgelegte Menge nach den Versorgungsrichtlinien zustand, ist uns der Zucker in natureller Form übergeben worden. Die meisten Studenten verbrauchten den Zucker aber nicht selbst, sie übergaben ihn den Eltern oder ihren Familien in den Heimatorten.

       In meinem Studienjahr haben 11 Seminargruppen mit etwa 20 bis 25 Studierenden je Gruppe das Studium aufgenommen. Der Unterricht begann in der Regel um 7.00 Uhr und endete gegen 13.00 Uhr, im Rhythmus von jeweils 45 Minuten für eine Unterrichtstunde, unterbrochen von 10 Minuten Pause. Diese Art des Lehrens und Lernens unterschied sich