Norbert Rogalski

Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte


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Schaufel und Spaten, ohne technische Geräte, rodeten wir auf Anweisung kleinere Bäume und Sträucher. Die Demarkationslinie war in einen ca. 30 m breiten Streifen mit glattem Erdreich herzurichten. In bestimmten Abständen wurden dann noch Pfähle als genaue Kennzeichnung eingeschlagen. So erlebte ich die erste Markierung der späteren Grenze zwischen der DDR und der BRD. Die Beteiligten an diesem Einsatz lehnten diese Art von Grenzziehung nicht ab, es wurde als normal angesehen, dass die beiden selbständigen deutschen Staaten , die nun auch eine unterschiedliche Währung besaßen, den Verlauf ihrer Trennlinie genauer kennzeichnen. Die Arbeit wurde bereitwillig verrichtet. Die verantwortlichen Personen trugen zivile Kleidung, sie verhielten sich sehr kollegial, Waffen waren bei ihnen nicht sichtbar. Verschiedentlich kamen westdeutsche Polizisten vorbei, mit denen wir uns ganz ungezwungen unterhielten, die keinen Anstoß an unseren Arbeiten nahmen. Am zweiten Tag wurde der Vorschlag gemacht, die Mittagspause im etwa 500 m entfernt gelegenen Dorf auf westdeutscher Seite in einer Gaststätte zu verbringen. Von den Verantwortlichen gab es gegen dieses Vorhaben keine Einwände. Schon im Anmarsch wurde uns bewusst, dass wir mit unserem Geld in dem westdeutschen Dorf nicht bezahlen konnten. Wir betraten trotzdem die Gaststätte und verzehrten unser mitgebrachtes Frühstück. Der Wirt spendierte uns je eine Limonade, wünschte uns alles Gute und wir kehrten an unsere Arbeitstelle zurück. Zu diesem Zeitpunkt im Jahre 1950 ahnte niemand aus unseren Reihen, dass diese an sich belanglose Markierung zu einer fast unüberwindlichen Staatsgrenze mit militärischer und polizeilicher Bewachung ausgebaut wurde. Während des „Kalten Krieges“ kam es zu einer Grenze, die nicht nur zwei deutsche Staaten, die vielmehr zwei entgegengesetzte militärische Machblöcke trennte und zahlreiche Opfer, auch Tote auf beiden Seiten zu beklagen hatte. Als diese Grenze im Zusammenhang mit dem Anschluss der DDR an die BRD beseitigt wurde, sind Schuldige für dieses Grenzregime und für die Toten gesucht worden. Es wurden „Schuldige“ gefunden und in Gerichtsprozessen mit Strafen, auch zum Teil mit Haftstrafen, verurteilt. Die Schuldfrage wurde von Gerichten der BRD nur an führende Politiker der ehemaligen DDR und ihre Vertreter in den bewaffneten Organen gestellt. Die tatsächlichen Ursachen, wie es zu dieser Grenze gekommen ist, sind kaum berücksichtigt worden und spielten in den Prozessen und bei den Urteilen keine Rolle. Damit konnten sich Politiker des westlichen Bündnisses und der damaligen anderen sozialistischen Staaten ihrer Verantwortung entziehen. Eine objektive geschichtliche Aufarbeitung wird zu einem bestimmten Zeitpunkt die wahren Gründe der Schaffung dieser Grenze noch beschreiben. In der Nachkriegsgeschichte wurde oft auch auf ein Datum hingewiesen, das im Sport, besonders im Fußball, eine wichtige Rolle spielte. Es war der 4. Juli 1954, der Tag, an dem die Fußball-Nationalmannschaft der BRD das erste Mal Weltmeister wurde. Ich erlebte diesen Tag während meiner Tätigkeit im Kaliwerk, aber nicht unter Tage und in Arbeitskleidung, sondern in dem besten Anzug, den ich damals besaß. Es war ein Sonntag, der „Tag des Bergmanns“ wurde gefeiert. Nach Festlegung der Regierung der DDR war der jeweils erste Sonntag im Juli der Ehrentag der Bergleute. Die zentrale Festveranstaltung der DDR-Regierung zum Tag des Bergmanns fand in diesem Jahr in Bleicherode statt. Für die gesamte Region war das eine große Aufwertung. Der damalige Ministerpräsident Otto Grotewohl sprach während des Festaktes im Kulturhaus und war auch am Nachmittag auf dem Festplatz unter den Bergleuten und der Bevölkerung zu finden. Es war insgesamt eine gute Stimmung auf Straßen und Plätzen. Orchester, Spielmannszüge und Fanfarengruppen sorgten für die musikalische Umrahmung. Die Angehörigen des Kaliwerkes, weitere Bürger des Ortes und der Umgebung freuten sich über den hohen Gast der Regierung aus Berlin und feierten unter dem Motto, wie es im Volksmund heißt: „Ich bin Bergmann, wer ist mehr!“. Man hatte den Eindruck, die Teilnehmer und Besucher der Feierlichkeiten, die sich auf dem Festplatz versammelt hatten, identifizierten sich mit der Politik der DDR. Es ging, wie man landläufig sagte, wirtschaftlich und auf zahlreichen anderen Gebieten aufwärts in den 50er Jahren in der DDR. Auffallend war am Nachmittag, dass besonders die Männer in zahlreichen Gruppen zusammenstanden und sich an mitgebrachten Radioapparaten versuchten, Gehör zu verschaffen. Ich drängte mich ebenfalls in eine solche Gruppe. Das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1954 zwischen der BRD und Ungarn wurde übertragen. Die Möglichkeit, dieses Spiel am Fernsehgerät zu verfolgen, war außerordentlich gering, da nur eine sehr beschränkte Anzahl von Fernsehgeräten zur damaligen Zeit in privatem Besitz gewesen ist. Auf dem Festplatz stand nur die akustische Übertragung zur Verfügung. Als die Mannschaft der BRD nach einem 0:2 Rückstand noch überraschend 3:2 gewann und Weltmeister wurde, riefen die Besucher des Bergmannfestes lautstark: „Wir sind Weltmeister!“. Die Gebrüder Walter, Turek, Eckel, Morlock, Posipal, Rahn und Trainer Herberger waren von nun an in aller Munde. Man empfand einen gewissen Stolz auf diese deutsche Mannschaft und auf die Spieler, obwohl sie die Vertreter des anderen deutschen Staates waren. Gefeiert wurden also an einem Tag von dem gleichen Personenkreis von Bleicherode und Umgebung zwei Begebenheiten: Einmal der politisch angelegte und ausgestaltete „Tag des Bergmanns“ der DDR und zum anderen der Sieg der Nationalmannschaft im Fußball der BRD bei der Weltmeisterschaft. Politiker und Medien der Bundesrepublik haben den Weltmeistertitel im Fußball 1954 für nationalistische Ziele in der Aufbauphase ihres Staates nach dem 2. Weltkrieg bewusst benutzt und missbraucht. Der Bevölkerung wurde suggeriert: „Wir sind wieder wer!“. Die Spieler wurden zu Helden hochstilisiert, obwohl sie es selbst nicht wollten. Ich glaube, dass die Beschreibung der damaligen Denkweisen der Menschen in der DDR über unterschiedliche gesellschaftliche Ereignisse, die an einem Tag stattgefunden hatten, die Situation im Wesentlichen objektiv widerspiegeln. Eine Differenzierung und genauere Bewertung der Politik der beiden deutschen Staaten fanden unter der Bevölkerung nur in Ansätzen statt. Diskussionen haben damals meistens mit der Auffassung geendet: „Wir sind doch alle Deutsche.“ Doch stand man, so glaube ich, der Politik der DDR aufgeschlossener gegenüber, obwohl eine gespaltene deutsche Nation in zwei selbständige souveräne Staaten über nicht absehbare Zeiträume hinweg kritisch betrachtet wurde. Politiker beider Staaten hatten diese Sichtweise auch gefördert. Die Regierung der DDR unterbreitete z. B. mehrfach Vorschläge für eine Wiedervereinigung auf demokratischer, gleichberechtigter Grundlage. Es kam bekanntlich nicht dazu. Auch im Sport war die Zusammenarbeit noch nicht völlig zum Erliegen gekommen. In einigen Sportarten gab es gesamtdeutsche Meisterschaften noch bis Mitte der 50er Jahre. Insofern entsprach nach meiner Auffassung die Reaktion der Bergleute und der anderen Besucher des Bergmannfestes am 4. 7. 1954 der weit verbreiteten politischen Meinung der DDR-Bürger dieser Jahre: „Das Bestehen von zwei deutschen Staaten ist nur eine Übergangsperiode.“ Die politische Realität in den anschließenden Jahren korrigierte bald diese Annahmen unter der Bevölkerung.

      Student an der Arbeiter – und - Bauern –Fakultät

       (1954 – 1957)

      Im Frühjahr 1954 brachte mir der Briefträger erneut einen Umschlag mit dem Absender:

       Arbeiter- und- Bauern- Fakultät der Deutschen Hochschule für Körperkultur, Leipzig, Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee 59

       Ich wurde zur Eignungsprüfung für die Aufnahme an der ABF eingeladen. Die Ablehnung meiner Bewerbung hätte bedeutet, dass Tischler mein Beruf geblieben und ich für unabsehbare Zeit im Kaliwerk tätig gewesen wäre. Zum angegebenen Zeitpunkt fuhr ich nach Leipzig, um die Hürde „Eignungsprüfung“ oder auch „Aufnahmeprüfung“ in Angriff zu nehmen. Leipzig kannte ich bis zu diesem Zeitpunkt kaum. Nur durch mehrfache Verwandtenbesuche in Altenburg musste ich in Leipzig auf dem Hauptbahnhof umsteigen. Ich nutzte diese Reisen auch einige Male, um mir Punktspiele der Fußballoberliga der DDR in Leipzig anzusehen. In Erinnerung ist mir ein Spiel zwischen „Rotation Leipzig“ mit dem Spieler Horst Scherbaum, der zum ersten Absolventenjahrgang der DHfK 1950/52 gehörte, und „Stahl Thale“ mit dem Spieler Oberländer geblieben. Der Leipziger Hauptbahnhof und die Strecke nach Probstheida in das „Bruno-Plache-Stadion“ waren bisher mein Kenntnisstand von dieser Stadt. Obwohl ich mit der bevorstehenden Prüfung nach der Anreise in Leipzig beschäftigt war, ist mir nicht entgangen, in welch schlechtem Zustand Leipzig nach den Bombenangriffen im 2. Weltkrieg noch gewesen ist. Schon unmittelbar gegenüber dem Hauptbahnhof, auch in anderen Stadtteilen, standen zahlreiche Ruinen. Große Lücken in Häuserfronten sind durch die Bomben gerissen worden. Am Waldplatz angekommen, stand ich nun vor der Deutschen Hochschule für Körperkultur, die gleichzeitig in diesen Jahren auch ihre ABF beherbergte. Es war für mich ein imposanter Bau in relativ gutem Zustand. Der neue Hochschulkomplex – unweit davon entfernt – war schon in der Entstehung, aber noch