Miriam Frankovic

Kira und der Kunsträuber


Скачать книгу

      „Morgen“, murmelte ich verschlafen und setzte mich zu den beiden an den großen, runden Tisch, an dem Timbu schon für alle gedeckt hatte. „Gibt es noch Tee?“

      „Pfefferminz, Fenchel, Kräuter, Hagebutte“, kreischte es aus Richtung der Gardinenstangen. Verwundert sah ich, dass Mintz, unser hellsichtiger Papagei, auch schon auf war. Er hockte auf einer der Stangen und warf fröhlich mit Sonnenblumenkernen um sich.

      „Seit wann stehst du morgens so früh auf? Bist du aus dem Bett gefallen?“

      „Totaler Quatsch zum Beispiel“, murmelte Cangoo, der gar nicht zugehört hatte, und verschlang drei große, gebratene Makrelen auf einmal. Denn Fisch war sein Lieblingsessen.

      „Wir machen doch heute einen Ausflug“, brummte Timbu in meine Richtung. Stimmt, der Ausflug. Den hatte ich fast vergessen. Timbu griff mit seiner riesigen, behaarten Pfote nach der Teekanne und schenkte mir eine Tasse Hagebuttentee ein, während ich mir ein Brötchen nahm, es mit Himbeermarmelade bestrich und eine Scheibe Käse oben drauf legte. Obwohl Timbus Vorderpranken so groß wie Schaufeln waren, ging er sehr geschickt mit ihnen um. Timbu war mindestens doppelt so groß und viermal so breit wie ich. Sein gewaltiger Schädel mit den gutmütigen Augen hatte den Umfang eines Eimers. Sein zotteliges, braunes Fell war wunderbar dicht, und ich fragte mich, ob er nicht furchtbar schwitzen würde, wenn es draußen erst mal richtig warm wurde. Für die meisten Leute sah er schrecklich gefährlich aus mit seinen Riesenpranken, an denen sich lange Krallen befanden. Aber wer ihn gut kannte ,wie wir, wusste, dass er in Wirklichkeit keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.

      Wie viele Bärenkinder war Timbu in den kanadischen Wäldern aufgewachsen, wo er sich hauptsächlich von Kräutern, Wurzeln, Beeren und Knollen ernährt hatte. Seit seine Eltern bei einem Unglück ums Leben gekommen waren, war er auf sich allein gestellt. Dann hatte sich zum Glück eine andere Bärenmutter seiner angenommen. Als er acht wurde trottete er, da er sehr neugierig war, eines Tages auf allen Vieren los, um die Wälder der näheren Umgebung genauer zu erforschen. Am elften Tag seiner einsamen Wanderung begegnete er zwei Wilderern, die schon das Gewehr auf ihn angelegt hatten, um ihn wegen seines kostbaren Fells zu erschießen. Er konnte gerade noch so entkommen. Schließlich landete er in einer größeren Stadt, wo die Menschen ängstlich auseinander stoben, als sie ihn zu Gesicht bekamen, aus lauter Angst, er könne über sie herfallen. Aber Timbu, der gar nichts Böses im Sinn hatte, verstand nicht, warum alle vor ihm wegliefen. So trottete er traurig und einsam durch die menschenleere Stadt. Schließlich verirrte er sich in einem Internet-Café, wo er sich neugierig vor einen der vielen Computer hockte und mit seinen Pranken auf der Tastatur herumspielte. Und so beförderte er sich ins Internet, wo Cangoo und die anderen ihn dann eines Tages aufstöberten.

      „Wo soll unser Ausflug eigentlich hingehen?“, fragte ich die anderen und biss hungrig in mein Brötchen.

      „Darüber müssen wir noch mit den anderen disku... diskusieren“, brummelte Timbu, stolz darauf, dass er sich eines der Fremdwörter gemerkt hatte, die Albert ihm erst vor kurzem beigebracht hatte.

      „Es heißt diskumieren, nicht diskusieren“, wandte Cangoo kauend ein. „Und überhaupt, kannst du mal aufhören, dauernd mit Fremdwörtern um dich zu werfen?! Das nervt zum Beispiel.“ Timbu verstummte etwas eingeschüchtert und widmete sich konzentriert seinem zweiten Topf Honig.

      „Wenn ihr’s genau wissen wollt, es heißt diskutieren, mit ‚t‘, sagte ich und nahm mir noch ein Brötchen.

      „Diskutieren, quatschen, reden, labern“, kreischte Mintz von der Stange, „ist doch alles dasselbe.“

      Die Tür ging auf, und mein Vater kam rein. Sofort flog Mintz ihm auf die Schulter und zerzauste ihm liebevoll die Haare. Denn seit Mintz bei uns eingezogen war, waren mein Vater und er die dicksten Freunde. Mein Vater kraulte ihn am Schnabel und sah uns erstaunt an.

      „Wieso seid ihr schon alle auf?“

      „Weil wir einen Ausflug machen zum Beispiel“, erklärte Cangoo ihm kauend. „Aber erst mal müssen wir darüber dismu... disku... dingsa, wohin überhaupt.“

      „Das entscheiden wir erst, wenn alle da sind“, sagte mein Vater, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich zu uns. Er sah müde aus. Wie meistens hatte er bis spät in die Nacht Leinwände bespannt, die Watahulu, der Elefant, dann bemalt hatte.

      „Wo bleibt Watahulu überhaupt?“ fragte ich.

      Als hätte er das gehört, spazierte der Elefant in diesem Moment herein und trompetete dabei eine fröhliche Melodie auf seinem Rüssel. Denn Watahulu war nicht nur ein toller Maler, er konnte auf seinem Rüssel auch ausgezeichnet Trompete spielen. Kurz darauf saßen auch Pferdfreund, unser schöner Schimmel, Noko, das Krokodil und Albert am Tisch. Nun waren alle versammelt. Mein Vater schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. „Habt ihr euch schon überlegt, was ihr machen wollt?“

      Schüchtern hob Watahulu den Rüssel. „Ich bin dafür, dass wir uns eine Bilderausstellung ansehen.“

      „Totaler Quatsch“, protestierte Cangoo, der für Kunstkram, wie er es nannte, überhaupt nichts übrig hatte. „Ich will ins Aquarium, Fische angucken.“

      „Können wir nicht lieber ins Kino gehen“, wandte Noko, das Krokodilmädchen, zaghaft ein.

      „Keinen Bock zum Beispiel“, maulte Cangoo. „Du willst dir ja bloß wieder irgend einen bekloppten Liebesfilm reinziehen.“ Ertappt senkte Noko den Kopf, denn sie hatte wirklich eine große Schwäche für romantische Filme. Auch, wenn sie dabei meistens vor lauter Rührung weinen musste.

      „Ruhe“, ermahnte mein Vater Cangoo. „Jeder von uns hat das Recht, seine Wünsche zu äußern. Mintz, was möchtest du?“

      „Mir egal“, kreischte Mintz. „Hauptsache wir gehen irgendwohin, wo ich nicht friere.“ Mintz kam nämlich ursprünglich vom Amazonas, und wenn er etwas nicht leiden konnte, so waren es Kälte und Schnee. Es schneite zwar nicht mehr, aber für April war es trotzdem noch nicht besonders warm, und meistens wehte vom Meer ein kühler Wind herüber.

      „Albert?“ Fragend sah mein Vater Albert an.

      „Ich bin für eine philosophische Vorlesung“, erwiderte Albert mit seiner hohen Stimme. Denn Albert las für sein Leben gern, und das schon seit 875 Jahren, seit er auf der Welt war.

      „Philo... philo... was?!“ regte Cangoo sich auf, der mit Büchern überhaupt nichts am Hut hatte.

      „Eine philosophische Vorlesung“, wiederholte Albert ruhig. „Wo man etwas darüber erfahren kann, warum die Menschen und Tiere auf der Welt sind, woher sie kommen und wohin sie gehen.“

      „War ja klar, dass so ein Schwachsinn nur von so einem blöden Gespenst wie dir kommen kann“, rief Cangoo wütend. „Ich habe jedenfalls keinen Bock, vor Langeweile tot umzufallen.“

      „Erstens ist Albert schon lange kein Gespenst mehr, sondern letztes Jahr sichtbar geworden. Und zweitens würde es dir garantiert gut tun, wenn du endlich mal was für deinen Kopf tun würdest, außer dir die Haare zu kämmen“, verteidigte Pferdfreund Albert.

      „Schluss jetzt!“ sagte mein Vater ruhig, der befürchtete, dass Cangoo und Pferdfreund sich gleich wieder in den Haaren haben würden. „Kira, wofür bist du?“

      „Ich finde Watahulus Idee gut. Bilder angucken macht Spaß.“ Genervt vergrub Cangoo seinen Schädel zwischen den Pfoten. Watahulu strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

      „Gut, dann ist es beschlossene Sache. Wir sehen uns eine Ausstellung an“, beendete mein Vater die Diskussion.

      Abends um sechs saßen wir alle gemeinsam vor dem Kamin, in dem ein warmes Feuer knisterte, und sprachen über die Ausstellung, zu der wir extra in die nächst größere Stadt gefahren waren.

      „Am besten hat mir die Landschaft mit den Kornblumen gefallen“, schwärmte Watahulu, der noch immer ganz begeistert von dem war, was er gesehen hatte.

      „Hast du jetzt wieder Ideen für neue Bilder bekommen?“ fragte Albert ihn und