Miriam Frankovic

Kira und der Kunsträuber


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ihr wisst“, erzählte Albert weiter „wurde ich im Mittelalter geboren. Die Zeit, in der Leonardo zur Welt kam, nannte man die Renaissance. Das ist französisch und bedeutet Wiedergeburt. Warum diese Zeit so genannt wurde, erkläre ich euch vielleicht später. Leonardo wuchs bei seinem Vater auf. Genau wie du, Kira“, sagte Albert und sah kurz in meine Richtung. „Er hatte einen Onkel namens Francesco, der ihn zur Liebe zur Natur und zu den Tieren erzog.“

      „Ein Tierliebhaber zum Beispiel“, warf Cangoo begeistert in die Runde.

      „Genau“, sagte Albert. In einer überlieferten Geschichte heißt es, Leonardo habe öfter auf dem Markt in Käfigen eingesperrte Vögel gekauft, weil sie ihm so leid taten, um sie kurz darauf in die Freiheit zu entlassen.“

      „Super, irre gut, toll“, schnarrte Mintz begeistert.

      „Das finde ich auch“, sagte Albert. „Denn damals war das gar nicht so selbstverständlich. Tiere bereiteten ihm viel Freude, und er kümmerte sich mit großer Liebe und Geduld um sie. Es ist zwar nicht bekannt, ob Leonardo schon in jungen Jahren kein Fleisch gegessen hat, aber auf jeden Fall hat er es nicht mehr getan, als er älter wurde. Dass er Tiere geliebt hat, kann man auch in seinen Zeichnungen und Bildern sehen. Oft hat er Katzen gemalt und auch viele andere Tiere.“

      Alle hören gebannt zu, als Albert weiter erzählte: „Leonardo hieß mit Nachnamen da Vinci, weil er aus einem kleinen hügeligen Dorf names Vinci stammte, das in der Nähe von Florenz in Italien liegt. Leonardo da Vinci bedeutet also übersetzt Leonardo aus Vinci. Den größten Teil seiner Jugend verbrachte Leonardo in Florenz. Er interessierte sich schon in jungen Jahren für Musik, Zeichnen und Modellieren.“

      „Was heißt modellieren?“ wollte Noko wissen.

      „Wenn man etwas aus Ton, Wachs oder einem anderen Material erschafft und ihm dann eine bestimmte Form gibt, zum Beispiel die Form eines Kopfes oder eines Tiers oder irgend eine andere Form“, erklärte ich ihr.

      „Richtig“, sagte Albert. „Leonardos Vater entdeckte schon früh Leonardos Zeichentalent und schickte ihn in die Lehre zu einem Meister namens Verrocchio, der den Jungen in seine Werkstatt aufnahm. Verrocchio war einer der bedeutendsten Bildhauer im damaligen Florenz. Dort lernte und arbeitete Leonardo ungefähr sieben Jahre lang.“

      Albert räusperte sich, schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank es in kleinen Schlucken aus. Niemand –nicht einmal Cangoo- unterbrach die Stille, denn alle wollten wissen, wie die Geschichte von Leonardo weiterging. Albert kratzte sich kurz nachdenklich am Kopf und fuhr fort: „Zeitzeugen – also Leute, die damals lebten - erzählten mir, dass Leonardo ein sehr schöner und freundlicher Mensch gewesen sein soll, der sich aber auch oft in die Einsamkeit zurückzog. Denn er war gern allein.“

      „Nicht so wie du“, sagte Pferdfreund etwas herablassend zu Cangoo.

      „Alleinsein ist zum Beispiel doof“, meinte dieser nur, ohne sich groß über Pferdfreunds Bemerkung aufzuregen. „Seid still!“ grummelte Timbu und sah Albert so gespannt an, dass er darüber sogar seinen Honigtopf vergaß. „Erzähl weiter.“

      „Am meisten lernte Leonardo von der Natur“, fuhr Albert fort. „Deshalb malte und zeichnete er am liebsten merkwürdige Formen von Hügeln und Felsen und seltene Pflanzen und Tiere. Aber wie ich euch zu Anfang schon erzählt habe, interessierte er sich auch für Mechanik, Architektur und Bauwesen und machte dauernd Experimente, denn er war sehr neugierig.“

      „Hat er damit zum Beispiel viel Geld verdient?“ fragte Cangoo und wackelte mit den Ohren.

      „Nein“, antwortete Albert. „Trotz seines Talents und seiner überragenden Fähigkeiten blieb Leonardo arm.“

      „Der Ärmste“, schnarrte Mintz voller Mitgefühl. Albert nickte. „Im wahrsten Sinne des Wortes. Aber dann, als Leonardo 30 Jahre alt wurde, ging er nach Mailand, an den Hof des Fürsten Ludovico, auch genannt Il Moro. Denn der Fürst bot ihm eine feste Anstellung. Am Hof von Il Moro fiel Leonardo vor allem durch seine technische Begabung und seine große Kreativität auf.“

      Cangoo stöhnte entnervt auf. „Kreo...Krea... was?”

      “Wenn jemand kreativ ist, bedeutet das, dass er viel Phantasie und eine Menge tolle Ideen hat“, belehrte Watahulu Cangoo. „Korrekt“, sagte Albert. „So entwarf Leonardo unter anderem einen ungewöhnlich schönen Badepavillon für die junge Herzogin. Außerdem beschäftigte er sich mit vielen anderen Dingen, wie Geometrie und Anatomie. Das ist die Lehre von der Form und vom Körperbau aller Lebewesen.“

      Während alle anderen gespannt Alberts Erzählung lauschten, begannen die vielen Fremdwörter Cangoo allmählich richtig auf die Nerven zu gehen. „Ich habe zum Beispiel Hunger“, rief er. Aber niemand hörte ihm zu. Sauer, weil keiner sich für ihn interessierte, überlegte Cangoo, ob er schnell in die Küche hoppeln und sich ein paar große Fische in die Pfanne hauen sollte. Andererseits war er genauso neugierig wie wir, wie Alberts Erzählung weiterging. Albert wandte sich Pferdfreund zu. „Leonardo hat sich übrigens auch damit beschäftigt, wie Pferde gebaut sind und wie sie sich bewegen. Er hat sogar selbst ein Instrument, eine Lyra, in Form eines Pferdekopfes gestaltet. Noch dazu betrieb er mathematische und physikalische Forschungen.“

      „Der Typ war scheinbar ganz schön clever“, sagte Niklas beeindruckt.

      „Clever, klug, nicht auf den Kopf gefallen, schlau“, bestätigte Mintz und klaubte mit seinem Schnabel eine Heidelbeere von einem Stück Torte, das jemand vergessen hatte, weg zu räumen.

      „Leonardo baute Denkmäler, studierte die Phänomene von Sturm und Gewitter und malte die Madonna in der Felsengrotte und sein berühmtes Bild Das letzte Abendmahl “, erzählte Albert weiter, „ein riesiges Wandgemälde, das fast neun Meter lang und über vier ein halb Meter breit ist. Es befindet sich in Mailand.“

      „Wie lange hat er gebraucht, um so ein großes Bild zu malen?“ fragte Watahulu, der ja selbst leidenschaftlich gern malte.

      „Vier Jahre“, erwiderte Albert. „So wurde mir jedenfalls berichtet. Er studierte auch die Bewegungen der Himmelskörper, den Lauf des Mondes und der Sonne. Und er malte so gut, dass selbst sein Meister Verrocchio vor Neid erblasste. Wenn er beispielsweise Blumen malte, sahen diese so lebendig aus, dass man sie für echt hätte halten können.“ Albert wandte sich Watahulu zu. „Ich leihe dir gern einmal ein Buch mit Zeichnungen von Leonardo. Daraus kannst du sicher viel lernen.“ Watahulu, der sich wünschte, er würde selbst so viel Talent zum Malen haben wie Leonardo, nickte verzückt und brachte vor lauter Aufregung kein Wort heraus.

      „Leonardo konnte aus dem Stegreif – also ohne sich vorzubereiten- Gedichte aufsagen und wunderbare Reden halten.“

      „Das kann ich zum Beispiel auch“, grölte Cangoo dazwischen. Aber wieder beachtete ihn niemand.

      „Weil Leonardo so viele Talente hatte, war er ein sehr gern gesehener Gast auf den damaligen Fürstenhöfen. Denn er sorgte neben seiner Kunst immer für Unterhaltung am Hof, zum Beispiel, indem er den Menschen Bilderrätsel aufgab. Manchmal aber vergaß Leonardo, weil er unaufhörlich malte, sogar zu essen und zu trinken, etwas was dir nie passieren würde“, sagte er und zwinkerte Cangoo verschmitzt zu. „Mit jedem Bild, das Leonardo malte, wurde er berühmter. Besonders, nachdem er die Mona Lisa gemalt hatte, die für ihr geheimnisvolles Lächeln bekannt ist. Das Bild hängt heute in einem Museum in Paris, im Louvre. Und es stehen immer sehr viele Leute davor, denn dieses Bild ist so berühmt, dass es fast niemanden auf der Welt gibt, der nicht schon mal davon gehört hätte. Wahrscheinlich ist es sogar das berühmteste Bild der Welt.“ Albert schwieg einen Augenblick lang andächtig. Dann erzählte er weiter: „Man sagt, dass Leonardo sehr stark war und ein Hufeisen mit der bloßen Hand biegen konnte. Er konnte reiten und fechten und legte großen Wert darauf, dass er immer elegant angezogen war. So wie du, Pferdfreund“. Für einen Moment richteten sich nun alle Blicke auf Pferdfreund, der heute einen schimmernden lindgrünen Umhang, in den goldene Kreise gestickt waren, trug. Cangoo, dem es nicht passte, dass alle Pferdfreunds schönes Cape bewunderten, rief neidisch „Der trägt doch