Miriam Frankovic

Kira und der Kunsträuber


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doch auch ganz toll.“. Diese Bemerkung verstimmte Cangoo noch mehr, und er pfefferte wütend ein Stück Butterkuchen, das er sich eigentlich gerade in den Mund stecken wollte, in Richtung Tür, die in diesem Moment aufging. Mein Vater konnte dem Butterkuchen gerade noch so ausweichen, und so flog der Kuchen in hohem Bogen weiter in den Flur und klatschte dort an die Wand. „Was ist denn hier los?“ rief mein Vater und setzte ein strenges Gesicht auf.

      „Cangoo ist neidisch auf Pferdfreund und schmeißt deshalb mit Kuchen um sich“, klärte Watahulu meinen Vater auf.

      „Stimmt ja gar nicht“, protestierte Cangoo.

      „Seid doch mal still“, schaltete Timbu sich ein. „Albert soll weitererzählen.“

      Mein Vater zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu uns, während Albert den Faden wieder aufgriff. „Also, Leonardo... ähm... wo war ich stehengeblieben?“

      „Dass er immer total schick aussah, eben so wie Pferdfreund“, flötete Watahulu.

      „Richtig“, sagte Albert. „Wie ich am Anfang schon sagte, war Leonardo auch ein Erfinder. So entwarf und baute er Flugapparate, Fallschirme, eine Walzmaschine, einen Universalschraubenschlüssel, einen Mörser... ja, sogar ein Schnellfeuergewehr.“

      Alle bis auf meinen Vater guckten etwas zweifelnd aus der Wäsche, denn keiner von uns konnte so recht glauben, dass ein Mensch so viele Dinge gleichzeitig erfunden hatte. Nur mein Vater nickte und sagte: „Das stimmt. Leonardo hat sogar Schwimmflossen erfunden, einen Rettungsring, Schwimmschuhe, einen Taucheranzug, ein Atemgerät und dann auch noch ein Unterseeboot.“

      Niklas staunte „Ein U-Boot?“

      „Ja“, sagte mein Vater. „Seine Erfindungen waren bahnbrechend, denn er war seiner Zeit um viele Jahrhunderte voraus. So hat er zum Beispiel auch versucht, Flugmaschinen zu konstruieren.“

      „Wie denn?“ schnarrte Mintz, den das Thema brennend interessierte und flog auf die Schulter meines Vaters.

      „Er hat die Vögel beobachtet und danach zwölf Meter lange bewegliche Flügel entwickelt, die er mit einem Gurt verbunden hat und die dann durch schnelles Treten der Füße in Bewegung gesetzt werden sollten. Er hat übrigens all seine Erfindungen in Form von Zeichnungen auf Papier gebracht. Seine wohl bekannteste Erfindung ist die des Automobils oder besser eines Vorläufers des heutigen Autos.“

      Albert nickte und fuhr fort: „Als Mailand von der Pest heimgesucht wurde und ein Drittel der Einwohner daran starb, entwickelte Leonardo ein Kanalsystem, durch das die Stadt mit Frischwasser aus dem Fluss versorgt werden sollte. Aber er hat nicht nur Kanäle, sondern auch Brücken konstruiert. Manche Ideen und Erfindungen von Leonardo ließen sich übrigens erst 400 Jahre später verwirklichen. Ihr seht also, er war ein richtiges Genie. Andererseits war er so vielseitig und hat so vieles erfunden, dass er seine Projekte nur selten zu Ende brachte. Dadurch fiel er manchmal in Ungnade bei seinen Auftraggebern.“ Albert sah einen Moment lang nachdenklich vor sich hin. Dann sagte er: „Leonardos Notizbücher, Zeichnungen und Skizzen bestehen aus ungefähr 6000 Blättern, die er in Spiegelschrift geschrieben hat. Vielleicht, weil er linkshändig war. Vielleicht aber auch, damit andere seine genialen Ideen nicht nachahmen konnten.“

      Während Albert und mein Vater erzählt hatten, hatten wir gar nicht mitgekriegt, dass es draußen schon dunkel wurde. Da machte sich mein Magen durch lautes Knurren bemerkbar. Mein Vater lachte. „Ich glaube, Kira hat Hunger.“

      „Ich auch zum Beispiel“, grölte Cangoo. „Gibt es jetzt endlich etwas zu essen?“

      Mein Vater nickte. „Es wird wirklich Zeit für das Abendbrot. Und wenn ihr noch mehr über Leonardo erfahren wollt... morgen ist auch noch ein Tag... sogar ein ganz besonderer“, fügte er mit verschmitztem Lächeln hinzu.

      „Kiras Geburtstag“, riefen alle wie aus einem Mund.

      EINE BESONDERE GEBURTSTAGSÜBERRASCHUNG

      Das Erste, was mir auffiel, als ich am nächsten Morgen aufwachte, war, dass es merkwürdig still im Haus war. So still, dass man sogar eine Stecknadel hätte fallen hören können. Ich blinzelte auf den Wecker auf meinem Nachttisch. Acht Minuten nach neun. Dann fiel mir ein, dass ich ja heute Geburtstag hatte. Ich hatte Glück, denn in diesem Jahr fiel mein Geburtstag genau mit dem letzten Tag der Osterferien zusammen. Morgen musste ich wieder früh aufstehen und zur Schule. Aber daran mochte ich jetzt noch nicht denken.

      Ich sprang aus dem Bett, zog mir rasch etwas über und horchte an der Tür. Immer noch nichts zu hören. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die anderen schon alle unterwegs waren. Denn dann hätten sie mich bestimmt geweckt und mir Bescheid gegeben. Vielleicht schliefen sie aber auch noch. Leise ging ich die Treppe zu unserer großen Küche herunter und lauschte dabei angestrengt, ob ich irgendein Geräusch hörte. Nichts. Das Einzige, was zu hören war, war das Knarren der Holzpaneelen auf der Treppe. Unten angekommen streckte ich vorsichtig meinen Kopf durch die Küchentür. Und dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Denn plötzlich brach ein Riesengetöse los, und alle begannen durcheinander zu rufen und zu jubeln. Cangoo, mein Vater, Noko, Pferdfreund, Albert, Mintz, Timbu, Watahulu, sogar Niklas.... alle standen nebeneinander aufgestellt in einer Reihe und strahlten mich an.

      „Herzlichen Glückwunsch zu deinem 11. Geburtstag, Kira“, sagte mein Vater und drückte mich an sich. Bevor ich mich bedanken konnte, drehte mein Vater sich zu den anderen um, bewegte die Hände wie ein Dirigent vor einem Konzert und fing an, die ersten Takte eines Geburtstagslieds zu singen. Alle stimmten lauthals mit ein.

      „Danke“, sagte ich verdattert und merkte, wie ich rot anlief. Staunend sah ich, dass die ganze Küche geschmückt war. Überall hingen Lampions, Girlanden und bunte Luftballons. Pferdfreund hatte zwar irgendwann mal behauptet, dass Girlanden nicht mehr angesagt seien, aber mir gefielen sie. Und noch mehr gefiel mir, dass die anderen sich so viel Mühe meinetwegen gemacht hatten.

      „Komm mal mit zum Beispiel“, rief Cangoo und zog mich ins Wohnzimmer. Auch dort war alles geschmückt. Auf dem langen, heute besonders reichhaltig gedeckten Frühstückstisch standen jede Menge Kerzen. Neben jedem Teller lag eine bunte Serviette, und auf jeder Serviette befand sich ein hübsch verpacktes Geschenk. „Gefällt dir das zum Beispiel?“ wollte Cangoo wissen.

      „Total“, murmelte ich und ließ mich völlig überwältigt auf einen Stuhl sinken.

      „Alles Liebe zum Geburtstag“, sagte nun auch Niklas, der Cangoo und mir hinterher gekommen war, und drückte mir verlegen ein kleines, rot eingewickeltes Geschenk in die Hand. „Ich hoffe, es gefällt dir.“

      „Bestimmt“, murmelte ich und versuchte zu verbergen, wie aufgeregt ich war. „Kann ich es auch später aufmachen?“

      „Klar, wann du willst“, meinte Niklas und setzte sich auf den Stuhl neben mich. Es war das erste Geschenk, das Niklas mir je gemacht hatte, und ich wollte lieber allein sein, wenn ich es öffnete. Kurz darauf saßen auch die anderen alle am Frühstückstisch und griffen herzhaft zu. Es gab alle möglichen Sorten Brötchen und Brot, dazu Fruchtjoghurts, Obstsalat, Milchreis mit frischen Erdbeeren, Müsli, Cornflakes, Wurst, Käse, Honig, Marmelade, Rührei mit Schinken, Kakao, Fencheltee, Kaffee für meinen Vater und natürlich einen Eimer Honig für Timbu und Fische für Cangoo. In der Mitte des Tisches thronte eine riesige Vanille-Rhabarber-Torte, auf der elf rote Kerzen brannten. Als wir uns alle satt gegessen hatten, was bei Cangoo ziemlich lange dauerte, sagte mein Vater. „Jetzt musst du die Kerzen auspusten und dir etwas wünschen.“

      „Aber du darfst niemandem sagen, was du dir wünschst“, grummelte Timbu. „Sonst geht der Wunsch nämlich nicht in Erfüllung.“

      Ich nickte, stand auf, holte tief Luft und blies alle elf Kerzen mit einem Mal aus. Alle jubelten und applaudierten. Wenn ich ehrlich war, musste ich nicht lange überlegen, was ich mir wünschte. Denn seit Niklas und ich das erste Mal zusammen Eis essen waren, hatte ich nur einen Wunsch: dass wir Freunde bleiben würden, solange wir lebten. Freunde, und vielleicht sogar... Nein, ich wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Und es kam auch gar nicht mehr