Peter Peppler

Samui und zurück


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gefahren und hast sicher gemerkt, dass es selbst dann nicht ganz ungefährlich ist. Wenn die Thais mit ihren Trucks angerauscht kommen und dich überholen oder wenn plötzlich ein paar Kinder auf der Straße spielen. Und da willst du nachts eine Strecke von 25 Kilometern fahren mit dem Risiko, das dir ein besoffener Geisterfahrer entgegenkommt? Da würde ich doch lieber zwölfhundert Baht in meine Sicherheit investieren und mir hier einen Bungalow nehmen, ausschlafen, gemütlich frühstücken und dann nach Chaweng fahren. Also mir macht das Autofahren hier Angst”.

      Marie hatte aufmerksam zugehört, drehte ihren Kopf zur Seite und schaute ein paar Sekunden nachdenklich auf die Lichter von Pha Ngan. Sie kratzte sich am Kopf, schüttelte einmal kräftig ihre Haare durch und seufzte: ”Und, was meinst du, soll ich machen?”. “Hm, ich kann im Smile House fragen, die haben garantiert noch was frei. Oder, wenn du mir vertraust, dass ich dich nicht um drei Uhr morgens in deinem tiefsten Schlaf fessele und vergewaltige, kannst du gerne in meiner Hütte übernachten. Du hast ja gesehen, ich habe ein riesiges Bett, brauche aber nur die Hälfte davon. Vermutlich habe ich sogar noch eine von diesen kleinen Airline-Zahnbürsten zum Zusammenstecken, originalverpackt!”. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schaute wieder gedankenversonnen nach Pha Ngan, dann mir in die Augen und sagte fast feierlich: “Du hast recht, Peter, ich fahre lieber nicht mehr. Und ich vertraue dir und nehme dein Angebot an. Danke. Ich glaube, wenn ich auf dieser Insel jemanden vertrauen kann, dann dir. Ausserdem kann ich dann noch ein Bier trinken“, lachte erleichtert über ihre Entscheidung und winkte Clark Kent mit der leeren Singhaflasche zu.

      “Mit dem Linksverkehr habe ich überhaupt keine Probleme. Vor drei Jahren bin ich mit dem Volvo, den ich damals hatte, von unten nach oben durch ganz England gefahren bis nach Nairn im Norden von Schottland, an der Moray Firth. Und wieder zurück, unfallfrei!”. “Cool“, lobte ich, “alleine?”. “Nein, ich war damals schon ein paar Monate mit Martin zusammen und wir wollten unbedingt gemeinsam Urlaub machen. Schottland hat mich schon immer fasziniert, die Landschaft, die Abgeschiedenheit, irgendwie romantisch. Gut, bis nach Oostende ist Martin noch gefahren, aber auf der Fähre hat er schon ein paar Bier getrunken, also musste ich weiterfahren. Und an jedem zweiten Pub anhalten, weil er noch ein Bier trinken wollte. Irgendwo mitten in England haben wir übernachtet und am nächsten Tag bin ich auch noch den Rest bis nach Nairn gefahren. Hat richtig Spass gemacht. War echt schön da oben, eine ganz wilde Landschaft. Zurück bin ich auch chauffiert, sogar noch zwei Tage durch London! Warst du mal dort? Ein wahnsinniger Verkehr, nicht so krass wie in Bangkok, aber immerhin, ich hab’s geschafft!”.

      “Wohin bist du sonst noch so verreist?”. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, ihre Hände auf dem Tisch drehten verspielt mein Päckchen Saiphon und sie begann zu erzählen, als Clark Kent das Bier brachte.

      “Ach, gar nicht so viel, und vor allen Dingen nicht so weit. In meiner Studienzeit war ich oft mit Kommilitonen in Frankreich, meistens in Paris, wir hatten viele Freunde dort. Als ich angefangen habe mit meiner Praxis, war nichts drin mit Urlaub, das hat erst mal alles ein Schweinegeld gekostet. Da habe ich praktisch drei, vier Jahre durchgearbeitet, kein fester Freund, keinen Urlaub, ich musste mich ja erst mal etablieren. Vor zwei Jahren war ich mit Martin auf Fuerteventura und letztes Jahr auf Barbados”. Marie nahm sich eine Saiphon aus der Packung und ich gab ihr Feuer.

      “Ach ja, meine erste große Reise waren drei Wochen Florida. Mit meinen Eltern, da war ich 14 und natürlich total begeistert. In New York waren wir auch drei Tage, das war für mich das Allergrößte. Aber wenn ich heute so daran zurückdenke, fallen mir eigentlich nur noch Burger und Hot Dogs ein, ist irgendwie ein fades Land, zwar alles gigantisch und pompös, aber grauenhaft oberflächlich. Meine zweite USA-Reise hat mir dann einen ganz anderen Eindruck vermittelt, aber das war ja auch kein Urlaub. Ich habe am Children’s Hospital in Boston ein sechsmonatiges Auslandspraktikum absolviert. War eine tolle Erfahrung. Es war zwar Stress pur, ich habe geschuftet wie ein Tier, aber auch unheimlich viel gelernt, in medizinischer und in sprachlicher Hinsicht. Zeit, mich umzusehen, hatte ich gar nicht, habe in diesem halben Jahr Boston nur einmal verlassen und bin an einem verlängerten Wochenende mit Kollegen nach New York gefahren“. Ihr Bier war schon wieder halb leer. “Ich bin im Grunde gar kein Urlaubsfanatiker“, fuhr sie fort, “ich gehe auch gerne einfach nur stundenlang spazieren, wir haben herrliche Parks und viel Wald in und um Bad Homburg. Ich habe das Gefühl, dabei erhole ich mich besser, als wenn ich irgendwo am Strand an einer Bar bei einem Cuba libre hocke“.

      Sie betrachtete die glühende Spitze ihrer Zigarette. “Merkst du was? Ich rauche zuviel. Vorgestern habe ich mir sogar in Chaweng ein Päckchen Marlboro light gekauft und am gleichen Tag schon halb leer geraucht, ich war so was von nervös und zappelig. Gestern waren es, glaube ich, nur vier oder fünf. Was soll’s! Urlaub ist doch Ausnahmezustand, oder?”. “Kann man so sehen, deiner ist es auf jeden Fall“. “Ja”, lachte sie, “da hast du recht. Weisst du, ich lese sehr gerne über Reisen und Urlaub, gerade in den letzten Monaten. Und manchmal denke ich, da musst du unbedingt mal hin. Aber allein? Nein, nie wieder! Du siehst ja, was ich hier schon am ersten Tag für ein Disaster angerichtet habe! Zwei Bücher über Thailand habe ich gelesen, damit ich nicht ganz so unbedarft hier ankomme. Ich habe mir sogar extra eine Stunden frei genommen, um mir die Bücher selbst in der Buchhandlung auszusuchen. Sani kann ich mit so etwas nicht beauftragen. Milch holen, drei Joghurt und einen Kopf Salat, kein Problem. Aber Fachliteratur auswählen, das mache ich lieber selbst. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob sie überhaupt weiss, wie man ein Buch umblättert, vermutlich sucht sie stundenlang nach der Taste zum Weiterklicken. Sie würde sogar ihr Essen mit dem PC kochen, wenn das möglich wäre, ein Computerfreak durch und durch“. Ich hustete los wie verrückt, denn ich hatte gerade an meiner Zigarette gezogen und musste simultan auch noch lachen. “Du hast ja eine hohe Meinung von der geistigen Kapazität deiner besten Freundin”, scherzte ich.

      Nachdem die Gäste zwei Tische weiter bezahlt und das Restaurant verlassen hatten, waren wir die letzten hier draussen, an der Bar saß noch ein Pärchen bei einem Drink und die Tische im Innenraum wurden bereits aufgeräumt und für morgen vorbereitet. Da traf es sich gut, dass Maries Bier zur Neige ging und ich meinte mit einer Kopfbewegung Richtung Bar: “Marie, schau, wir sind die Letzten, ich denke, die Jungs hätten auch gerne Feierabend, wollen wir gehen?”. Offenbar riss ich sie damit aus ihren Gedanken, denn sie schreckte fast ein wenig zusammen. “Ja, natürlich, entschuldige, ich glaube, ich habe geträumt. Wie spät ist es eigentlich?”. Ein Blick auf meine Uhr in der Tasche bestätigte mein Zeitgefühl, es war kurz vor halb eins. “Und müde werde ich auch so langsam“, fügte sie noch hinzu, ein Gähnen unterdrückend, während ich Clark Kent winkte. Er hatte offensichtlich schon darauf gewartet und kam von der Bar die Stufe zum Balkon herauf, platzierte den Teller mit der Rechnung auf dem Tisch direkt vor mir und begann lächelnd, die Gläser, Flaschen und den Aschenbecher einzusammeln und wegzutragen.

      Marie wirkte zwar etwas müde, sah aber nicht so aus, sie lachte und strahlte und grabschte blitzartig nach dem Zettel auf dem Teller, warf einen kurzen Blick darauf und wühlte eine Weile in ihrer Strandtasche auf dem Stuhl neben ihr. Fein säuberlich legte sie die Rechnung zusammen mit drei 500 Baht Scheinen auf den Teller zurück. “Wollen wir noch irgendwo hingehen auf einen Drink”, fragte sie mich, und es sollte wohl unternehmungslustig klingen, war aber absolut nicht überzeugend. “Ehrlich gesagt, lieber nicht, ich bin auch müde“. Clark Kent stand wieder am Tisch, blickte auf die Baht Scheine auf dem Teller, schien kurz etwas im Kopf zu rechnen und zückte seine große schwarze Geldbörse. Marie lächelte ihn an und wehrte kopfschüttelnd ab. “No, no, it’s OK, kop kun kah“. Er verneigte sich leicht zuerst in ihre Richtung, dann in meine, bedankte sich freundlich, wünschte uns eine gute Nacht und verschwand mit dem Teller.

      Marie streckte sich und gähnte. “Sag mal, wie viel Singha habe ich heute eigentlich getrunken?”. “Keine Ahnung“, lachte ich, “ist das wichtig? Entscheidend ist doch, dass es dir gut geht, oder?”. Sie schloss ihre aufgeklappte Tasche und rückte mit ihrem Stuhl ein Stück nach hinten. “Da hast du auch wieder recht”, und, nach einer Denkpause lächelnd, “mir geht es sehr gut!”. Sie stand auf und lehnte noch eine halbe Minute am Geländer, schaute nach Pha Ngan hinüber, dann nach oben in den Sternenhimmel und murmelte schmunzelnd vor sich hin “64 Dark...“. Ich steckte Zigaretten und Feuerzeug ein, nahm meine Tasche und folgte