Peter Peppler

Samui und zurück


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nur ein Zufallstreffer, wäre ich nicht mal dort gewesen, wüsste ich es auch nicht.”

      Die Kopfhörer hörten endlich auf zu krächzen, als Marie den Player ausschaltete und mich anschaute. “Was machst du denn in Burkina Faso?”. Ich setzte mich auf die Armlehne ihres Sessels. “Ich war nur zwei Stunden auf dem Airport von Quagadougou bei einem Fuel-Stop auf dem Flug von Lomé nach Brüssel”. “Und was hast du in Lomé gemacht?”. “Fotografiert, in Togo, und vorher in Abidjan an der Côte d’Ivoire”. “Du hast doch gesagt, du bist kein Fotograf?”. erinnerte sie sich völlig richtig. “Bin ich ja auch nicht. Das war nur eine einmalige Sache, ich habe damals einem Bekannten geholfen, der den Auftrag von Focus dafür in der Tasche hatte, und die Flugtickets. Seine Frau hatte ein paar Tage vor seiner geplanten Abreise einen schweren Autounfall und lag auf der Intensivstation, da wollte er natürlich bei ihr bleiben. Er hat mich angerufen, hat mir seine Situation geschildert, und gefragt, ob ich ihm helfen würde. Und das habe ich gemacht. Das war alles”. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie gegenüber Leo in ihrem in der Sonne glitzernden Badeanzug ihren Bungalow verließ, einen Augenblick zu uns herüberschaute und abrupt in Richtung Pool marschierte.

      Marie trank einen Schluck Singha und schaute mich nachdenklich an. ”Das war alles! Warum spielst du eigentlich alles so herunter bis zur Bedeutungslosigkeit? Das ist mir jetzt schon ein paar Mal aufgefallen. Die Reise war doch garantiert abenteuerlich, aufregend, spannend. Erzähl doch mal ein bisschen, interessiert mich wirklich”. “Nachher vielleicht, was hältst du davon, wenn wir langsam mal losziehen?”. “Ja, klar, wo gehen wir hin?”. “Nicht weit, nur da vorne schräg über die Straße, zum Chang Noi. Ein sehr schönes Thai Restaurant, aber auch mit europäischer Küche. Ich weiss ja nicht, was du gerne isst, aber da findest du bestimmt etwas für deinen Geschmack“.

      Ich ging in den Bungalow zurück, sie kam hinterher und stellte die leere Bierflasche ordentlich neben den Kühlschrank. “Und jetzt muss ich noch mal zur Toilette.” Nach einer Weile öffnete Marie die Badezimmertür und rief: “Du, ich nehme mir mal ein bisschen von deiner Après Soleil Lotion, ich habe einen ganz schönen Sonnenbrand auf den Armen, OK?”. “Ja, sicher, warum fragst du überhaupt?”. Sie kam aus der Tür, cremte sich die Arme ein und antwortete kokett: “Weil ich ein wohlerzogenes Mädchen bin. Also, ich bin fertig, wollen wir gehen? Ich habe schon wieder Hunger“. “Ja, ich auch“, sagte ich, hängte mir die Tasche über die Schulter und hielt ihr die Tür auf.

      Die Harley Hour am Pool wurde heute wieder mit voller Besetzung zelebriert, aber gänzlich unbemerkt konnten wir uns nicht über den Weg zur Straße vorbei schleichen und ich winkte kurz hinüber. “Das sind die Typen, die ich heute morgen im Restaurant nach dir gefragt habe“, bemerkte Marie halblaut. “Ja, ich weiss, aber die sind ganz in Ordnung und sehen nur so wild aus”. Langsam schlenderten wir plaudernd aus der Anlage die Straße hinunter.

      Wir redeten schon seit über einer Minute unmittelbar neben dem großen Elefanten aus Teakholz am Eingang des Chang Noi und der Junge, der am qualmenden Holzkohlengrill gerade die ersten Kartoffeln auflegte, hatte mir schon freundlich zugenickt. “Bitte”, lud ich sie mit einer Armbewegung ein, “wir wollten doch etwas essen”. Wir traten ein, es war viertel vor sechs auf der Uhr über der Bar und noch hell, das Restaurant noch leer. Marie schaute sich neugierig in alle Richtungen um und nickte anerkennend. “Ja, schön hier, gehen wir nach draussen auf den Balkon, da ist es etwas luftiger“.

      Genau von dort kam uns Clark Kent entgegen. Ein Thai vom Personal, den ich seit der Eröffnung des Chang Noi anno dunnemals kannte. Er war der Spassvogel der Happy Elephant Truppe. Bei meinem letzten gemeinsamen Besuch hier mit Meou trug er die ganze Zeit ein glasloses, schwarzes Brillengestell exakt wie Superman in seiner zweiten, ‘zivilen’ Identität als Reporter Clark Kent und versuchte jeden, aber auch jeden Gast davon zu überzeugen, er sei Superman. War jemand mit der Brille allein nicht zu überzeugen, knöpfte er zum Beweis sein weisses Hemd auf und zeigte stolz sein T-Shirt mit den V-förmigen, blau-gelb-roten Superman Logo auf der Brust. Ein echter Knaller, wir waren oft hier zum Essen, und ich habe mich jedes Mal aus Neue darüber kaputtgelacht. Gestern hatte ich ihn nicht gesehen oder er hatte seinen freien Tag.

      Wir trafen uns in der Mitte des Restaurants, er erkannte unsere Absicht und geleitete uns auf den Balkon direkt zu dem Tisch, an dem ich gestern Abend mit Leo gesessen hatte. Es war ihm deutlich anzusehen, dass ich ihm wohl bekannt vorkam und er gerade grübelte, woher denn bloß, aber ich sagte nichts. Mit dem weissen Handtuch, das an der Seite seiner ebenso weissen Schürze hing, wedelte er flüchtig über das blitzsaubere Tischtuch, reichte uns zwei Karten und fragte, was wir zu Trinken wünschten. “Ich bleibe bei Singha“, entschied Marie, “magst du jetzt auch eins?”. “Nein, wirklich, ich trinke heute überhaupt kein Bier“, und, an Clark Kent gerichtet, “ein Singha, einen Kaffee und eine kleine Flasche Wasser, bitte.”

      Marie stand auf, beugte sich über das Geländer, blickte nach links und rechts auf die Bophut Beach und eine Weile versonnen hinüber nach Pha Ngan. Die Sonne musste wohl gerade hinter den Berggipfeln von Ko Ang Thon versinken, im Osten über Big Buddha Island war der Himmel schon fast schwarz, verlief nach oben in ein dunkles Blau, wurde in westlicher Richtung wieder heller und ging über in ein intensives Gelb und schließlich, knapp über dem Horizont, in ein leuchtendes Orangerot. “Irgendwie so unwirklich, das Licht, meinst du nicht auch?”, sinnierte Marie, ihr Kínn in die Hände gestützt und war so wunderschön anzusehen. Sie setzte sich wieder und schlug ihre Karte auf, während die Getränke serviert wurden.

      “Kaffee und Wasser“, bemerkte sie kopfschüttelnd, “Also wenn ich abends Kaffee trinke, kann ich nicht schlafen.” “Bei mir ist es genau umgekehrt. Wenn ich abends schlafe, kann ich keinen Kaffee trinken“. Verdutzt schaute sie mich an. “Deine Denkweise oder auch Logik, wenn man das überhaupt so nennen kann, ist wohl wirklich etwas gewöhnungsbedürftig“, schmunzelte sie, “komm, wir wollten doch feiern! Peter, du bist heute mein Gast, soll ich uns eine Flasche Sekt bestellen?”. “Nein, bloß nicht!”. “Wie du willst“, resignierte sie und studierte weiter die Karte. “Hast du schon etwas gefunden, du warst doch schon mal hier, oder?”. “Ja, gestern, da hatte ich das Steak au Poivre, war ausgezeichnet, heute nehme ich das Steak Hawaii“. “Mit dem Gedanken habe ich auch schon gespielt, OK, nehme ich auch, well-done, und du?”. “Genauso”. “Und so eine Kartoffel von dem Grill da draussen, du auch?”, klappte ihre Karte zu und bestellte bei Clark Kent, der gerade vier Gäste an den übernächsten Tisch geleitet hatte. Im Innenraum waren mittlerweile auch zwei Tische besetzt.

      Marie hob ihr Glas. “Auf meinen Retter! Noch mal vielen Dank, Peter”. “Aber jetzt wirklich zum allerletzten Mal, ja?”, erwiderte ich, nippte vorsichtig an der dampfend heissen Kaffeetasse und steckte mir eine Zigarette an. Der letzte Rest des orangefarbenen Horizonts versank hinter den Palmenhügeln vor Ban Maenam, sie schaute wieder auf das Meer hinaus und deutete mit dem Zeigefinger in den schwarzen Himmel. “Schau mal, da kommt ein Flieger“. Rechts von Phan Ngan näherte sich eine Bangkok Airways ATR im Sinkflug und sah mit ihren zwei grellen Scheinwerfern aus wie ein heran kommendes Auto. “Wie niedrig die über Big Buddha fliegt! Als ich am Mittwoch Nachmittag hier gelandet bin, sind gerade die letzten Regenwolken abgezogen, die Straßen waren noch nass, aber seitdem ist das Wetter phantastisch. Schade, ich hätte gerne ein paar Fotos vom Anflug aus dem Flieger gemacht, mein Sitznachbar hat mit mir sogar seinen Fensterplatz getauscht, ich saß da, mit der Kamera in der Hand und dem Finger auf dem Auslöser, aber draussen nur alles grau in grau mit ein paar unwesentlichen Abstufungen. Als man dann endlich etwas erkennen konnte, ist die Maschine schon über die Landebahn geholpert, so tief hingen die Wolken”.

      Unweigerlich musste ich an den Absturz der Bangkok Airways Maschine im November 1992 denken, eine Woche, bevor Meou und ich hierher geflogen sind. Das Wetter muss so gewesen sein, wie Marie es gerade beschrieben hatte, zudem war es noch stürmisch, bereits fast dunkel und der Samui Airport war damals lediglich für Sichtflug-Landungen ausgelegt und zugelassen. Normalerweise hätte bei dieser Wetterlage der Flug in Bangkok überhaupt nicht starten dürfen oder hätte umkehren oder nach Phuket umgeleitet werden müssen. Statt dessen krachte die vollbesetzte ATR 140 in die Berge von Chaweng, etwa drei Kilometer Luftlinie neben der Landebahn. Überlebt hat niemand, in den deutschen Medien wurde