Peter Peppler

Samui und zurück


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des Tages. Ich hol dir eins an der Bar, meine Tasse ist auch leer”. “Danke, bringst du mir bitte eine Kleinigkeit zum Essen mit? Ein Sandwich oder so was? Habe auf einmal doch ein bisschen Hunger“. Ich war schon aufgestanden. “Mit Schinken? Käse? Thunfisch?”. “Ja, Thunfisch hört sich gut an, OK”.

      Das Restaurant war jetzt gegen halb zwei fast leer. An der Bar holte ich ein Singha, noch einen Kaffee für mich und bestellte ein Tuna Sandwich. Auf der Terrasse hatte Marie wieder den Sonnenschirm in die optimale Position gebracht und trank zuerst mal einen ordentlichen Schluck Bier. “Zum Essen gibt’s nichts?”. “Kommt gleich“, beruhigte ich sie und setzte mich wieder in den Schatten.

      “Wie spät ist es eigentlich? Ich habe zwar meine Uhr an, aber seitdem ich in Bangkok mal eine halbe Stunde mit ihr im Pool war, macht sie keinen Mucks mehr“. Zum Beweis hielt sie mir ihr Handgelenk mit der toten Armbanduhr entgegen. “Ich habe immer noch die Hoffnung, dass sie in der Sonne austrocknet und wieder losläuft. Die haben mir meine Eltern mal zu Weihnachten geschenkt“. Mittlerweile hatte ich meine aus der Tasche geholt und hielt ihr das Ziffernblatt vor die Nase. “Was, schon gleich zwei! Schöne Uhr, darf ich mal sehen?”. Sie nahm sie aus meiner Hand und betrachtete sie eingehend. “Wow, eine Breitling Pluton, mein Vater wäre begeistert, er ist fanatischer Uhrensammler, nur Nobelmarken. Ich glaube, so an die vier, fünf Breitling hat er auch. Er zeigt mir immer ganz stolz seine neusten Errungenschaften, deshalb kenne ich mich ein bisschen aus“. Ich steckte sie wieder in die Tasche zurück und fragte “Was macht dein Vater?”. “Er ist auch Arzt, Chirurg”.

      Marie blickte versonnen nach oben in den Sonnenschirm und reflektierte plötzlich noch einmal auf die Trennung von ihrem Freund. “Also nach meiner Trennung von Martin habe ich mich einige Wochen lang ziemlich mies und einsam gefühlt, obwohl ich die Beziehung ja selbst beendet hatte. Ich hing einfach so in der Luft und habe sogar mit dem Gedanken gespielt, abzuhauen und vielleicht mal ein Jahr für die ‘medecins sans frontieres’, die Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten, in Afrika oder Indien. So ganz einfach war das nicht. Meine Freundin Sani hat mir sehr geholfen und natürlich meine Arbeit. Mittlerweile bin ich ganz zufrieden und richtig stolz auf meine Entscheidung“.

      Katai brachte einen Teller mit einem tadellosen Thunfischsandwich, jede Menge Salat, Gurken- und Tomatenscheiben drum herum und den obligatorischen Ständer mit den Saucenschüsselchen. “Guten Appetit“, sagte ich und nahm mir ein Stückchen Gurke vom Teller. Sie wollte damit anfangen, das üppig belegte Baguette mit Messer und Gabel zu zerlegen. aber alles fiel auseinander. Sie fluchte leise, schubste mit den Fingern ein paar Thunfischbrocken und Zwiebelringe wieder auf das Baguetteunterteil zurück, nahm es in die Hand und biss herzhaft hinein.

      “Hmm, gut“, sagte sie nach dem ersten Bissen und einem Schluck Bier, “du kannst gerne mitessen, das Ding ist ja riesig. Gefällt mit hier, wie bist du übrigens auf dieses Smile House hier gekommen?”. “War ein Tipp von meiner Ex-Frau”, sagte ich so beiläufig wie möglich und nahm noch eine Gurkenscheibe. Sie biss erneut in das Brot und hielt es mir über den Tisch entgegen. “Hier, probier mal”. Ich nahm einen Mund voll und nippte an meinem Kaffee.

      “Du hast wenigstens einen sinnvollen Job”, sinnierte ich, “und, nehme ich mal an, täglich deine Erfolgserlebnisse. Was ich da mache, ist doch nur Lug und Trug. Aber Kinderärztin, das hat was. Ich denke, Kinderärzte sind doch die wichtigsten Ärzte überhaupt, oder?”. Marie kaute weiter und sah mich erwartungsvoll an. Ich lehnte mich im Stuhl zurück und setzte meine Überlegungen fort. “Wenn du ein krankes Kind nicht über die Runden bringst, dann braucht es später weder einen Orthopäden, noch einen Herzchirurgen oder Neurologen. All die hoch bezahlten Spezialisten wären ohne dich doch arbeitslos. Wissen die das überhaupt?”.

      Wie zauberhaft sie lachte, nachdem sie sich beinahe verschluckt hätte. “Nun, ganz so krass ist es ja nicht, es gibt ja schliesslich auch Kinder, die ohne ärztliche Hilfe erwachsen und dann erst krank werden. Aber ein sehr interessanter Aspekt, so habe ich das noch nicht betrachtet“. “Ausserdem”, nahm ich den Faden wieder auf, “stelle ich mir jedenfalls vor, muss es doch sehr befriedigend sein, zum Beispiel bei einem weinenden Kind den Grund für die Bauchschmerzen zu diagnostizieren und ihm helfen zu können. Stell dir mal vor, du bist ein praktischer Arzt, Allgemeinmediziner, oder wie nennt man das, dann besteht doch täglich die Gefahr, dass ein 88-jähriger Greis zu dir kommt, der sowieso schon an prämortaler Mumifizierung leidet und über Erektionsstörungen und Durchfall jammert. Das wäre doch widerlich!”.

      Marie hatte gerade die Singha-Flasche angesetzt, verschluckte sich dieses Mal wirklich und hustete und lachte zugleich. Mit der Serviette wischte sie sich den Mund ab und lachte weiter. “Was war das eben? Prämortale Mumifizierung? Das hab ich ja noch nie gehört!”. Sie wiederholte es noch einmal vor sich hin und konnte sich gar nicht beruhigen. “Dann hast du aber deinen Pschyrembel* nicht besonders gut im Kopf“, ermahnte ich sie. Das hatte sie wohl nicht erwartet. “Was hast du als Grafiker mit dem Pschyrembel* ( * Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, Fachlexikon für Mediziner, 2.300 Seiten) zu tun?”, fragte sie erstaunt. “Gar nichts, aber Marie, ich bitte dich, das ist doch Allgemeinbildung, unterstes Level.” “So, meinst du? Also das muss ich mir unbedingt merken, prämortale Mumifizierung.”

      Ich wechselte das Thema. “Und wie bist du auf das Blue Lagoon gekommen?”. “Eigentlich wollte ich mit Sani hierher kommen. Sani ist meine beste Freundin und total flippig. Sie hat Germanistik und Englisch studiert, ist freie Journalistin und schreibt für alle möglichen und unmöglichen Mode-, Lifestyle-, Szene- und Trend-Zeitschriften. Sie hat grauenhafte Flugangst. Alleine würde sie nie fliegen. Das Witzige ist, sie schreibt am liebsten über ihre unzähligen Reisen zu allen möglichen Galas, Modeschauen, Preisverleihungen und was weiss ich für Events rund um die Welt. Wenn du ihren Artikeln glaubst, verbringt sie vier von sieben Wochentagen im Flieger. Alles nur virtuell, sie holt sich ihre Informationen ausschliesslich aus dem Internet und hat Deutschland ich glaube seit zwei Jahren nicht mehr verlassen. Um so überraschter war ich, als sie mit der Idee kam, nach Samui zu fliegen.

      Es war wohl so vor zwei Monaten. Ich war nach Feierabend bei ihr, um ein paar Sachen abzuholen, die sie tagsüber für mich eingekauft hatte. Wir hockten in ihrer Küche, tranken ein Bier und der Fernseher lief, sie hat in jedem Zimmer einen Fernseher, immer angeschaltet. Keine Spur von Umwelt- oder Energiebewusstsein. Plötzlich macht sie den Ton lauter und sagt

      “Hey, schau mal’ und, ich glaube es war auf arte, lief unter dem Titel ’Inselzauber’ ein Bericht über Ko Samui. Und schon während des Nachspanns sagte sie absolut bestimmt: ‘Marie, da fahren wir hin. Du brauchst dringend mal Urlaub und ich könnte endlich mal was Authentisches

      schreiben und nicht bloß diese Internetscheisse abkupfern’ “. Sie sagte nichts davon, dass, wie ich vermutete, der Urlaub auch mit ihrem 35sten Geburtstag verbunden werden sollte. “Ich wollte es gar nicht glauben, aber sie meinte es ernst und wir haben sofort auf einem ihrer Computer nach Angeboten gesucht.

      Aber wenn du absolut keine Ahnung hast von der Insel, geschweige denn Thailand, dann kannst du selbst mit zehntausend supertollen Angeboten nichts anfangen. Ich habe gesagt: ‘Sani, wenn wir das wirklich machen wollen, dann gehst du

      morgen bei deinem Einkaufsbummel mal in zwei oder drei Reisebüros und lässt dich beraten.’ Und verrückt, wie sie nun mal ist, hat sie gleich im zweiten Reisebüro drei Wochen Thailand für uns gebucht, vermutlich, weil der nette junge Mann dort so toll aussah. ‘Marie, das wird phänomenal. Wir zwei im Blue Lagoon Resort an der Chaweng Beach in Ko Samui. Und dann

      noch drei Tage Shopping in Bangkok. Mein Gott, wenn ich mir allein nur vorstelle, was ich dann alles schreiben kann!’. Sie war total aus dem Häuschen.

      Und jetzt liegt sie zu Hause mit einem gebrochenen Fussgelenk und zwei gebrochenen Rippen. Oder sitzt vor ihren Computern, wie ich sie kenne. Drei Tage vor unserem Abflug rennt sie in der Stadt noch schnell über eine sechsspurige Kreuzung, obwohl die Fußgängerampel schon längst auf rot war und ein Auto auf der Abbiegespur erwischt sie beim Anfahren. Sie hat mich schon aus dem Krankenhaus in der Praxis angerufen, von ihrem Unfall berichtet und gesagt ‘Marie, du fliegst! Verzichte jetzt bloß nicht auf die Reise, nur weil ich so bescheuert