Peter Peppler

Samui und zurück


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was ich verwerten kann, ich gebe dir mein altes Notebook mit, das kleine Weisse, das wiegt fast gar nichts, bitte, Marie.’

      Hat mich schon ein wenig Überwindung gekostet, aber die Anzeige, dass meine Praxis für drei Wochen geschlossen ist, stand schon in der Zeitung, meine Patienten waren informiert und meine Sachen so gut wie gepackt. Gut, Jasmin, meine Assistentin, macht Notdienst in der Praxis, da gibt es immer irgendwelche Nachbehandlungen, Verbandswechsel, Spritzen, die kontinuierlich weiter gegeben werden müssen und so was. Alles war vorbereitet und ich war sozusagen mental schon in Thailand. Und jetzt bin ich tatsächlich hier“. Ihre Erleichterung, jetzt hier um fast halb drei im Smile House beim Bier in der Sonne zu sitzen, nach allem, was sie in den letzten Tagen durchgemacht hatte, war nahezu greifbar zu spüren.

      “Du, darf ich ein Foto von dir machen?”, fragte sie unvermittelt und kramte schon in ihrer Strandtasche, “du sitzt da so schön relaxed“. Sie schaltete ihre kleine Digitalkamera an, lokalisierte mich auf dem Display, drückte auf den Auslöser und lächelte zufrieden. “Warte, noch eins mit dem ganzen Tisch”, stand auf, wiederholte die Aktion aus drei Schritten Entfernung, machte noch ein paar Fotos über die Terrasse hinaus in Richtung Strand und Pha Ngan, setzte sich wieder und reichte mir die Kamera. “Machst du mal eins von mir? Ich brauche Belege. Sonst glaubt mir Sani kein Wort von dem, was ich hier erlebe”. Sie lächelte in die Kamera und murmelte, leicht kopfschüttelnd, ‘prämortale Mumifizierung’ vor sich hin. “Gleiches Recht für alle“, sagte ich, bückte mich nach meiner Tasche und holte die Minolta heraus. “Jetzt darf ich auch ein Foto von dir machen“.

      Innerhalb von einer knappen Minute hatte ich Marie bestimmt zehn Mal abgelichtet. “Schau mal zum Strand“, forderte ich sie auf und fotografierte weiter. “Und jetzt nach links“. Sie war wohl ein wenig überrascht von dem Überfall, hatte aber offensichtlich nichts gegen ihre kurze Model-Funktion einzuwenden und machte artig mit. “Schöne Kamera, bist du auch Fotograf?”. “Nein, ich knipse nur so ein bisschen herum”, meinte ich und verstaute die Dynax wieder in der Tasche.

      Sie machte es ebenfalls, und, in ihre geöffnete Tasche schauend, sagte sie: “Peter, ich habe dir ein kleines Geschenk mitgebracht“, legte ein Päckchen auf den Tisch, das vom äusseren Erscheinungsbild her eindeutig eine Zigarettenschachtel war und schob es zu mir. Ich schüttelte verwundert den Kopf. “Wozu noch ein Geschenk, du hast mich zum Dinner eingeladen?”. Keine Antwort. Das kleine Präsent war federleicht. Vorsichtig, als hätte ich Angst vor einer Bombe, zog ich an der Schleife des roten Bändchens und wickelte das bunte Geschenkpapier auf. Es war in der Tat eine Zigarettenschachtel. Ich ahnte Übles und klappte den Deckel auf. Es waren die elfhundert Euro Bargeld aus ihrer Tasche darin, sauber zusammengefaltet. Ein paar Sekunden lang fiel mir echt nichts ein. Dann klappte ich die Schachtel bedächtig wieder zu und schob sie ihr über den Tisch zurück.

      “Bist du verrückt? Vor nicht ganz zwei Stunden habe ich dir erklärt, warum ich nichts von dir will. Wir waren uns doch einig, ich bin heute dein Gast und allein die Tatsache, dass du mir einen ganzen Tag deines restlichen Urlaubs opferst, macht mir fast ein schlechtes Gewissen“. Wie sie mich anschaute! War sie traurig oder enttäuscht? “Marie, ich weiss, du meinst es sehr lieb. Du bist unglaublich großzügig und fair, aber das nehme ich nicht an. Du schuldest mir nichts. Siehst du, das ist genau das, was ich vorhin gemeint habe, als ich sagte, ich wollte vermeiden, dich unter Zugzwang zu bringen, und jetzt tust du es selbst. Ich war glücklich, dir die Tasche zu bringen und bin noch glücklicher, jetzt mit dir hier zu sitzen”.

      Schweigend schaute sie mich an, fing leise an mit “Aber...“, schüttelte ihren Kopf und grübelte. “Wenn ich dich verletzt habe, tut es mir leid, ich wollte dir nur zeigen, wie dankbar ich dir bin“. Versöhnlich beugte ich mich vor zur ihr. “Nein, hast du nicht. Es ist so schön und so lieb von dir, dass du hergekommen bist. Wenn es dir darum geht, deine Dankbarkeit unter Beweis zu stellen, das hast du zur Genüge getan. Das ist dein Urlaubsgeld. Selbst wenn du es schon total abgeschrieben hattest und es jetzt als zusätzlichen, ich sage mal ‘Gewinn’ betrachtest, dann mach etwas damit, was du normalerweise nicht machen würdest. Schenke denen etwas, die dir in den vergangenen zwei Tagen wirklich geholfen und sich um dich gesorgt haben, deiner Mutter, deinem Vater, deinen Schweizer Freunden. Geniess deinen Urlaub damit, kauf dir etwas Schönes in Bangkok, Klamotten, eine neue Uhr, erfüll dir einen Wunsch, den du dir ohne dieses Geld nicht erfüllen würdest“.

      Sie lächelte wieder, wenn auch etwas unsicher. “Komm, wir machen einen kleinen Spaziergang, ich zeige dir mal die Anlage. Dann stelle ich mich kurz unter die Dusche und so um fünf, halb sechs gehen wir rüber ins Chang Noi und essen was Gutes, OK?”. Sie nickte, setzte noch einmal die Flasche an, aber der Rest Bier war wohl wieder verdunstet. “Na gut, aber ich muss erst noch bezahlen“. Ich steckte meine Zigaretten ein, wir gingen durchs Restaurant zur Bar und Marie bezahlte bei Katai.

      Auf dem Weg über den Parkplatz deutete sie auf ein postgelbes Mini Cabrio. “Das da ist meins,” sagte sie nicht ohne Stolz, “putzig, das Ding, sollte ich mir in Deutschland auch zulegen, macht richtig Spass. Aber wenn ich dann wieder an unser Scheisswetter denke...”. Am Pool war es, kurz vor der Harley Hour, ruhig, nur ein paar Liegestühle waren belegt und im Wasser planschten zwei Kinder. Wir spazierten gemächlich rechts am Pool vorbei und vor S4 zeigte ich auf den Bungalow. “Hier wohne ich, aber komm, da hinten geht’s noch weiter”.

      Wir passierten das kleine Hinweisschild ‘Luxury area’ und Marie staunte nicht schlecht, als wir am zweiten Pool mit den Luxusbungalows im Thai Style rundherum in der Sonne standen und machte ein paar Fotos. Zurück am S4 öffnete ich die Tür und ließ Marie eintreten. Sie schaute sich um, warf einen kurzen Blick ins Badezimmer, meinte: “Mein Häuschen im Blue Lagoon sieht fast genauso aus, ist aber ein bisschen kleiner, dafür habe ich einen größeren Fernseher und sogar einen DVD-Player“, und, auf den Schreibtisch und das Laptop und die Festplatten zeigend: “Du hast ja dein halbes Büro dabei“. “Tja, wenn im Bungalow kein DVD-Player vorhanden ist, muss man sich eben einen mitbringen“. Sekundenlang schauten wir uns in die Augen, keiner sagte einen Ton, bis ich mich langsam zum Schrank umdrehte. “Ach, darf ich mal deine Toilette benutzen?”. “Kommt überhaupt nicht in Frage!”. Mein entschlossener Tonfall verdutzte sie sichtlich. “Natürlich darfst du”, lachte ich, “frag doch erst gar nicht, dann bekommst du auch keine so dämliche Antwort“. Lachend und kopfschüttelnd ging sie ins Badezimmer und verschloss die Tür.

      Im Wandschrank suchte ich mir ein frisches Hemd heraus und warf es aufs Bett. “Marie, ich geh mal schnell unter die Dusche, mach es dir irgendwo bequem, leg dich hin oder setz dich auf die Veranda, wie du willst, bin gleich wieder da.” Sie hatte den MP3-Player neben dem Laptop entdeckt und freute sich. “Hey, du hast den gleichen MP3-Player wie ich, was hast du denn Schönes drauf?”. “Zuletzt habe ich Reggae gehört, also müsste es mit Reggae wieder losgehen, wenn du ihn anschaltest, soll ich’s machen?”. Sie hatte ihn schon in der Hand und tippte auf die ON-Taste. “Lass nur, ich komme schon klar, hast du ein Bier im Haus?”. “Sorry, ich bin ein miserabler Gastgeber”, entschuldigte ich mich und öffnete den Kühlschrank. “Singha oder Carlsberg?” “Singha, bitte, wo hast du deine Kopfhörer?”. Ich öffnete ein Bier am Flaschenöffner an der Wand neben der Tür und reichte ihr die Flasche, zusammen mir den Kopfhörern, die auf dem Bett halb verdeckt unter einem T-Shirt gelegen hatten. “Danke, ich mache mir es draussen gemütlich”.

      Als ich zehn Minuten später frisch geduscht auf die Veranda trat, immer noch mit dem Handtuch meine Haare rubbelnd, lag sie im Rattansessel, die Beine auf dem Tisch, in der einen Hand das Singha, in der anderen den MP3-Player und strahlte mich an. „Das ist ja super Reggae, so herrlich melodisch, wer ist das, auf dem Display steht nur ‚Best of Reggae’?”, wollte sie wissen und hielt mir die Kopfhörer entgegen. “Lucky Dube“, erkannte ich sofort, ohne die Dinger aufzusetzen. “Nie gehört. Das wäre was für Sani! Sie ist ein echter Reggae-Typ, dunkelhäutig, tolle Figur, Beine bis zu den Schultern, ziemlich wirre, lange, schwarze Löckchen, sie liebt Reggae über alles, hört aber meistens diese alten Bob Marley Songs. Und Heavy Metal, was mich fürchterlich nervt. Sani gibt immer an, sie sei aus Burkina Faso, dabei war sie nie in ihrem Leben dort. Ihr voller Name ist Ysani O’Talu, ihre Mutter ist aus Burkina Faso, ich weiss noch nicht mal genau, wo das ist“.