Lilian Adams

Eva


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heute Morgen Besucher da. Mir ist es unangenehm, wenn ständig Fremde durch unser Schlafzimmer tingeln. Nicht alle angeblichen Kaufinteressenten wollen wirklich ein „TraumHeim“ kaufen, manche möchten nur bei fremden Leuten rumschnüffeln.

      Ich habe im Fernsehen mal den passenden Bericht gesehen. Es ging um Touristen, die vorgaben, reich zu sein und eine Villa kaufen zu wollen. Die sind dann in traumhaft schönen Häusern rumgelaufen und haben sich eingebildet, Millionäre zu sein.

      Gerade hole ich tief Luft, damit ich ausreichend davon habe, um lautstark zu protestieren, da schlägt sich Michael gegen die Stirn „Oh, Mist. In einer halben Stunde fängt schon mein Strong-Man-Kurs an. Ich muss mich beeilen. Wäre ja doof, gleich das erste Training zu verpassen.“

      Er dreht sich um und spurtet Richtung Schlafzimmer, wo seine Sporttasche steht. Während er geräuschvoll Schubladen auf- und wieder zu zieht, ruft er: „Warte nicht mit dem Abendessen auf mich, ich will mit den Jungs vom Studio noch was trinken gehen. Laura hat übrigens gejammert, dass sie einen Vokabeltest schreibt. Vielleicht kannst du sie später nochmal abhören?“

      Dazu habe ich wenig Lust, aber einer sollte es wirklich machen, denn unsere Tochter ist faul und beherrscht ihren Stoff garantiert noch nicht.

      „Tschüß, Schatz, bis später“, meldet sich Michael nochmals kurz zu Wort und weg ist er.

      Carolina testet das Fitnessstudio

      Carolina war müde. Wieder war ihr Tag schrecklich anstrengend gewesen und sie spürte einmal mehr, wie wichtig mittlerweile der Faktor Schlaf für sie geworden war. Die Nächte, in denen sie sich ruhelos in einer fremden Stadt im Bett eines unpersönlichen Hotelzimmers herumwälzte, wurden immer häufiger.

      Vielleicht war es langsam an der Zeit, sesshaft zu werden. Während ihrer gesamten Kindheit war es Carolinas größter Traum gewesen, möglichst viel von der Welt zu sehen und in teuren Hotels zu nächtigen, wo sie sich um nichts kümmern musste und im Idealfall einen reich gefüllten Obstkorb beim Einchecken vorfand. All diese Sehnsüchte hatte sie sich in den letzten Jahren erfüllen können, Geld war zu dieser Zeit nie ein Problem gewesen.

      In manchen Phasen ihres Lebens war Carolina in männlicher Begleitung unterwegs gewesen. Eine feste Beziehung war dabei jedoch nie herausgekommen. Die Männer, für die sich Carolina interessiert hatte, waren entweder vergeben oder Hallodris gewesen, die es nur auf ihr Geld und ihr Ansehen abgesehen hatten. Von beiden Varianten hatte sie seit einiger Zeit die Nase voll.

      Doch auch das Singleleben machte ihr seit Kurzem keinen richtigen Spaß mehr. Sie wurde bereits unruhig und spürte den alten Jagdinstinkt in sich, wenngleich er auch heute Abend von der bleiernen Müdigkeit unterdrückt wurde, die sie schon den ganzen Tag über quälte.

      Um wieder in Schwung zu kommen, gab es eigentlich nur eine einzige Möglichkeit: Sport. Carolina liebte es, sich körperlich auszupowern und konnte sich keinen Tag ohne ein ausgiebiges Fitnesstraining vorstellen. Ihre Joggingsachen waren daher immer griffbereit und ständig im Einsatz. Auch beim Laufen wollte Carolina nicht auf ihre Lieblingsfarbe Schwarz verzichten. Sie staunte immer wieder, wie viele Nuancen Schwarz es gab und mit welch feinen Details die Designer arbeiteten, um ihren Kunden immer neue Variationen des gleichen Themas bieten zu können.

      Nur in der dunklen Jahreszeit bekam Carolina manchmal Probleme mit unaufmerksamen Autofahrern, die sie erst ziemlich spät sahen, wenn sie etwa die Straße überquerte. Einmal wäre Carolina fast überfahren worden. Doch noch konnte sie sich nicht dazu durchringen, mit bunten Reflektoren ausgestattet loszuziehen. Und eine Stirnlampe war ganz klar ein Ding der Unmöglichkeit.

      Da Carolina die Müdigkeit in allen Knochen spürte, entschied sie sich spontan zu einer Trainingsstunde Yoga. Ein kurzes Telefonat mit der Rezeption genügte, um festzustellen, dass es in dieser Stadt nur ein einziges Fitnessstudio gab, das an diesem Abend Hatha-Yoga im Angebot hatte. Glücklicherweise war es nicht weit vom Hotel entfernt und Carolina beschloss, auf ein Taxi zu verzichten und hin zu laufen. Draußen war es mild und die Luft roch nach getrocknetem Heu. So musste Sommer duften, nicht wie in der Großstadt nach Autoabgasen.

      Carolina saugte die frische Luft auf wie einen Schwamm. Doch bald schon würde man auch einen Hauch vom nahenden Herbst erahnen können und Carolina dachte mit Schrecken an den Winter.

      Noch hatte sie keine Pläne für Weihnachten. In den letzten Jahren hatte sie die Feiertage stets im Urlaub irgendwo unter Palmen verbracht. In ihrem Heimatdorf war sie seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen und auch die Besuche bei ihrer Mutter waren im Laufe der Zeit immer weniger geworden. Geschwister hatte Carolina nicht. Vor allem als junges Mädchen hatte sie immer von einem großen Bruder geträumt, der ihr zur Seite stände. Auch ihr Vater war schon vor langer Zeit bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen. Von diesem Schock hatte sich Carolinas Mutter nie erholt. Irgendwann hatte Carolina den traurigen Gesichtsausdruck nicht mehr ertragen, mit dem ihre Mutter ihr immer wieder erklärt hatte, wie ähnlich sie ihrem Vater doch sehe.

      Normalerweise buchte sie spätestens im Mai eine Reise über Weihnachten, aber in diesem Jahr hatte sie sich das nicht getraut. Zu instabil war der Gesundheitszustand ihrer Mutter. So kam es, dass Carolina entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten noch keinerlei Pläne für die Feiertage hatte.

      Als sie am Fitnessstudio ankam, zögerte sie einen kleinen Moment. Eigentlich war das Wetter viel zu schön, um den Abend in einem geschlossenen Raum zu verbringen. Andererseits setzte Carolina ihre Haut nie mehr als nötig der Sonne aus und die blinzelte ab und zu noch durch die Wolken. Carolina gab sich einen Ruck. Heute war definitiv nicht ihr Tag. Diese ganze Trübseligkeit passte doch gar nicht zu ihr. Sie beschloss, etwas dagegen zu tun und trat ein.

      Obwohl der Yogalehrer den Flyern nach über eine exzellente Ausbildung verfügte, hatte sich nur eine kleine Gruppe, ausschließlich Frauen, zu seinem Kurs eingefunden. Aber das war Carolina nur recht. Der Gedanke, bei dieser Hitze mit vielen anderen schwitzenden Sportlern den Raum teilen zu müssen, hatte ihr ohnehin Unbehagen verursacht.

      Bereits nach wenigen Asanas spürte Carolina, wie neue Energie ihren Körper durchflutete und sie nahm sich vor, diese Erkenntnis unbedingt auch für ihre Arbeit zu verwenden. Doch wie genau das aussehen sollte, würde sie zu einem anderen Zeitpunkt überlegen müssen, denn der von ihr besonders geschätzte Effekt von Yoga bestand auch darin, dass man sich auf Bewegung und Atmung konzentrieren musste und daher keine Möglichkeit hatte, an etwas Anderes zu denken.

      Anscheinend funktionierte die Klimaanlage nicht, denn die Fenster im Saal waren weit geöffnet und der Verkehr der Kleinstadt störte die Stille.

      Durch die gläserne Tür, die den Raum vom übrigen Fitnessstudio abtrennte, konnte Carolina eine Gruppe Männer beobachten, die mit Hanteln, vollbepackt mit Gewichten, anscheinend einen Powerkurs absolvierten. Zumindest lag diese Vermutung nah, denn die gequälten Gesichter der Teilnehmer ließen keinen anderen Schluss zu. Aus den verschiedenen Yogapositionen heraus, die einzunehmen kein Problem für Carolina war, beobachtete sie die Männer. Natürlich ließ dadurch auch ihre Konzentration nach. Ein angedeutetes Kopfschütteln ihres Lehrers wies sie darauf hin, dass sie ertappt worden war und sie versuchte, sich wieder ganz auf die Figurenfolge einzulassen und sich ausschließlich auf sich zu besinnen.

      Trotzdem schielte sie kurz darauf erneut zu den muskelbepackten Kerlen, die draußen mit hochrotem Kopf versuchten, das vorgegebene Tempo zu halten.

      Einer der Männer sprang ihr dabei immer wieder ins Auge. Er hatte etwas an sich, was sie irritierte. Dabei war er nicht einmal ihr Typ.

      Carolina stand auf ein rassisches Aussehen. Dunkler Teint, tiefbraune Augen, markanter Mund, kurz geschnittene, dunkle Haare, so in etwa konnte man das Erscheinungsbild der letzten Eroberungen Carolinas zusammenfassen.

      Natürlich hatte sie die Machos immer in dem Glauben gelassen, dass sie ihrem unwiderstehlichen, männlichen Charme erlegen war. Keiner ihrer Freunde hatte jemals herausgefunden, dass sie selbst die Beute gewesen waren. Das hatte Carolinas Meinung über Männer gefestigt. Nicht sie waren das starke Geschlecht, sondern die Frauen, vermochten diese doch mit gutem Aussehen und Intelligenz jeden Kerl zu manipulieren.