Lilian Adams

Eva


Скачать книгу

Gesichtsausdruck wahrnehmen zu können. Aber vielleicht ist das auch nur Wunschdenken. Cherie rappelt sich mühsam auf und gähnt ausgiebig. Er hat bösen Mundgeruch und mir wird übel. Ihn beeindruckt das wenig. Er reckt und streckt sich ohne ein Zeichen von Eile.

      Heute habe ich allerdings keine Zeit für Mätzchen und ich probiere es mit guten Worten. „Komm schon, Junge, runter vom Sofa!“, sage ich leise, denn ich möchte ihn nicht erschrecken. Er ist schließlich schon alt und mir ans Herz gewachsen. Sein Blick ist traurig, aber er rührt sich nicht von der Stelle. Erst als ich die Arme in die Hüften stütze und ihn grimmig ansehe, macht er sich in Zeitlupe auf den Weg und trottet zielsicher Richtung Küche. Wenn der denkt, ich renne jetzt gleich hinterher und fülle ihm seinen Fressnapf, irrt er sich gewaltig. Strafe muss schließlich sein. Schlimm genug, dass ich ihn überhaupt mit Leckerlis füttere.

      Kurz darauf kommt mein bester Freund zurück. Er schleicht richtig und jault jämmerlich. Ich knicke ein. Ist ja nur ein Hund, der will mich nicht absichtlich ärgern. Also gebe ich dem armen Tier doch mal was Feines zu fressen und drücke bei der Gelegenheit auch gleich auf den Knopf der Kaffeemaschine.

      So ein bisschen Koffein wird mir sicherlich guttun.

      Jetzt brauche ich einen genialen Schlachtplan. Um die Fenster zu putzen, reicht die Zeit definitiv nicht mehr. Zu meinem Pech gab es gestern Abend ein Sommergewitter. Warum nur muss Katharina die Leute immer schon so früh bestellen? Seit einiger Zeit kommen die Besucher oft montags und das ist der denkbar ungünstigste Tag, um im Hause Faules eine Idylle vorzufinden. Am Wochenende sind alle Familienmitglieder daheim, erholen sich von den Strapazen der Woche und haben deshalb nur wenig Kraft, geschweige denn Lust, aufzuräumen.

      Da ich sonntags immer erst spät nach Hause komme, müssen meine Lieben auch nicht damit rechnen, dass ich sie anmeckere, weil sie ihr schmutziges Geschirr nicht in die Spülmaschine geräumt haben. Manchmal sieht es bei uns aus, als wäre gerade das FBI zu einer ausgiebigen Hausdurchsuchung da gewesen. Quatsch, jetzt übertreibe ich schon ein wenig. Aber chaotisch geht es wirklich zu.

      Laut Marie hängt das größtenteils an mir, weil ich nicht konsequent genug bin. Sie hat sicher Recht, aber es kostet mich mehr Energie, alles wie ein Mantra tausendmal zu wiederholen, als es selber zu machen. Großer Fehler, ich weiß, ich arbeite daran.

      Letztens habe ich Katharina gebeten, die Besuchstermine auf den Dienstag zu legen. Sie hat die Nase gerümpft und mir empfohlen, meinen Sporttag doch einfach von Sonntag auf Dienstag zu verlegen. Ich habe ja die ganze Woche Zeit, Gymnastik zu machen, sie verstehe sowieso nicht, warum ich das ausgerechnet am Wochenende machen muss, wo doch die Familie daheim ist und Vorrang haben sollte.

      Wenn Michael meinen „Schwieschwies“ nicht bald die Wahrheit sagt, werde ich es tun! Oder vielleicht lieber doch nicht. Michael hat Angst, dass sein Vater einen Herzanfall bekommt, wenn er erfährt, dass sich eine Faules als Küchenhilfe abrackern muss.

      Und dann gibt es noch ein viel größeres Hindernis, denn wahrscheinlich würde Edgar mir anbieten, mit ins Immobiliengeschäft einzusteigen und das wäre mein persönlicher Untergang. Deshalb reiße ich meinen Mund lieber nicht so weit auf.

      In letzter Zeit läuft das Geschäft für „TraumHeim“ Häuser anscheinend gar nicht mehr so gut. Obwohl dauernd Leute vor unserer Tür stehen- keiner gibt sich mehr zufrieden, nur ums Haus zu laufen - jammert Katharina jeden Sonntag, dass der Umsatz nachgelassen habe. „Wenn das so weitergeht“, seufzt sie dann regelmäßig, macht eine bedeutungsvolle Pause und klimpert mit den Wimpern.

      Damit ich mir selbst und den Interessenten, die gleich hier erscheinen werden, eine Ikea-Familien-Idylle präsentieren kann, wirbele ich ein letztes Mal durch den Wohnbereich. Ich komme mir vor wie die „Bezaubernde Jeanny“. Doch als ich einfach mal die Arme vor der Brust verschränke, leicht mit dem Kopf nicke und mit dem Auge zucke, tut sich nichts. Schade!

      Meinen Kindern habe ich schon am Samstag angedroht, ihre Zimmer eigenhändig aufzuräumen, sollte ich sie heute nicht in einem perfekten Zustand vorfinden. Michael hat die beiden am Morgen im Auto mit in die Stadt genommen. Das hat mir ein paar zusätzliche Minuten Zeit verschafft. Obwohl sie für diesen väterlichen Taxiservice eine halbe Stunde früher aufstehen mussten, waren Laura und Max von der Idee, chauffiert zu werden, begeistert, denn der Schulbus ist immer brechend voll. Meiner Meinung nach müsste man da auch mal was unternehmen. Selbst die armen Tiere haben auf dem Weg zum Schlachthaus mehr Platz beim Transport als Kinder auf dem Weg zur Schule. Wenn man mich fragt, ist das ein richtiger Skandal!

      Durch meine Konzentration auf die zahllosen Ungerechtigkeiten der Welt bekomme ich einen richtigen Energieschub und in Windeseile arbeite ich mich durch das Chaos. Es ist mühsam, all die Dinge, die meine Familie einfach liegengelassen hat, wieder an ihren Platz zu bringen. Schon nach kurzer Zeit sind die Treppenstufen voller Sachen, die in die einzelnen Zimmer gehören. Da ich fürchterlich unausgeschlafen bin, werfe ich großzügig weg, was meiner Meinung nach in die Tonne gehört. Einige Zeit später sieht unser Wohnbereich eigentlich ganz hübsch aus. Nicht wie aus dem Hochglanzmagazin, aber dafür wohnt hier ja auch eine echte, vierköpfige Familie plus „Gast-hund“.

      Bei meinem Einsatz ist auch Lauras Bikinioberteil hinter dem Sofa wiederaufgetaucht. Wie ich weiß, sucht sie es schon eine ganze Weile. Während ich mir noch ein gutes Tässchen Kaffee koche und ein Brötchen von gestern auf dem Toaster aufbacke, ertappe ich mich dabei, wie ich munter vor mich hin summe.

      Sagte ich doch, das wird ein schöner Tag!

      Frau Speyrer

      „Guten Tag, Schwester Annika“, sagte die Besucherin, die gerade die Eingangstür des Seniorenheims betreten hatte. Routiniert verbarg Annika ihr Entsetzen und entgegnete den Gruß. Seit ihrem letzten Besuch hatte Frau Speyrer sichtbar abgenommen. Ihre Kleidung baumelte richtiggehend an den abgemagerten Gliedmaßen. Mit ihrer äußerst blassen Gesichtshaut sah sie krank aus. „Schön, Sie zu sehen, Frau Speyrer“, sagte Schwester Annika und sie meinte es auch so.

      Diese Angehörige war zwar immer sehr zurückhaltend und ernst, aber auch extrem freundlich. Außerdem schätzte sie die Arbeit des Pflegepersonals und meckerte nicht andauernd herum. Frau Speyrer nickte kaum merklich: „Ich freue mich auch, dass ich endlich mal wieder herkommen konnte. Wie geht es Mama denn?“

      Annika zögerte kurz. Es war immer eine Gratwanderung, die Angehörigen auf die ständig weiter fortschreitende Erkrankung der Patienten vorzubereiten, vor allem, wenn sie wie diese junge Frau beruflich sehr eingespannt waren und weit entfernt wohnten.

      Bei regelmäßigen Besuchen fiel das veränderte Benehmen der Bewohner nicht so deutlich auf. Wenn man allerdings nur alle paar Monate den Weg durch die Tür des Pflegeheimes fand, sah das ganz anders aus.

      Annika nickte leicht. „Alles in Ordnung, Frau Speyrer, sie müssen sich keine Sorgen machen, es geht ihrer Mutter gut.“

      Von Anfang an war Frau Speyrer zugesichert worden, dass sie über jedes wichtige Detail informiert werden würde. Die Pflegeheimleitung nahm diese Vereinbarung ernst, erschreckte die Angehörigen ihrer Bewohner aber andererseits auch nicht mit jeder Verhaltensänderung. Auch dass die körperlichen Einschränkungen der Patienten krankheitsbedingt immer größer wurden, war eine Tatsache, der hier nicht zu viel Gewicht zugemessen wurde. Wichtig war einzig und alleine, dass sich die Kranken wohlfühlten und gut in die Gemeinschaft integriert waren. Und das war Frau Speyrer Senior auf jeden Fall.

      „Sie ist in ihrem Zimmer“, fuhr Schwester Annika fort. „Es kann sein, dass sie gerade ihr Mittagsschläfchen macht, aber wecken Sie sie ruhig auf.“ Als sie in das fragende Gesicht der Besucherin blickte, erklärte sie; „Wenn ihre Mutter den ganzen Nachmittag verschläft, wie sie es in letzter Zeit manchmal tut, läuft sie die halbe Nacht im Flur herum und langweilt sich, weil alle anderen schlafen. Sie freut sich außerdem bestimmt sehr, Sie zu sehen!“ Cordula Speyrer zögerte einen Augenblick, dann nickte sie. „Es ist lange her“, murmelte sie „hoffentlich erkennt sie mich überhaupt noch!“ Schwester Annika sah in das traurig blickende Gesicht ihres Gegenübers und versuchte es mit Zuversicht; „Ich glaube schon. Ihr Zustand ist zurzeit recht stabil.“