Lilian Adams

Eva


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nur weil ich zu faul bin, ein paar Kilo Erdbeeren zu verarbeiten. Es reicht schon, dass er von seinen Schulkameraden mit unserem Nachnamen gehänselt wird.

      Als hätten ihn meine Gedanken herbeigerufen, steht Max plötzlich in der Tür und grinst mich spitzbübisch an. Mein Nesthäkchen! Seine weizenblonden Haare stehen mal wieder kreuz und quer vom Kopf ab und sein T-Shirt, das er eben erst angezogen hat, trägt bereits Spuren eines Ballkontaktes. Für das Schulfest wird er ein Frisches anziehen müssen und so den überquellenden Wäschekorb noch weiter füllen. Aber ich kann ihm nicht böse sein, er ist halt ein richtiger Lausbub.

      „Ich bin startklar!“ ruft Max und streckt seine schmutzige Hand nach einem Muffin aus. Dafür erntet er einen Klaps auf die Finger „Hände weg! Gehe sie dir erst mal waschen und kämm dir deine Haare. Du siehst aus, als kämst du gerade aus dem Bett!“ Max gähnt und reckt sich ausgiebig. „Das ist modern, Mom!“ Ich schnaube. „Mama“, korrigiere ich ihn streng, „Ich mag diese englischen Ausdrücke nicht. Und ein frisches Hemd brauchst du auch noch.“ Max nickt. „Geht klar. Aber nur, wenn ich dann Kuchen kriege.“ Das ist jetzt ein Geschäft, dem ich bedenkenlos zustimmen kann, deshalb nicke ich und beginne, die anderen Törtchen in eine Transportbox zu packen, die ich dem verdutzten Michael in die Hand drücke. Dann schnappe ich mir ein Küchenmesser, um die Erdbeeren zu putzen. Ich muss mich beeilen.

      Bevor Michael den Raum verlässt, zögert er einen Moment, die Türklinke schon in der Hand. Er dreht sich zu mir um und betrachtet konzentriert irgendwas auf dem Boden. „Ach, noch was“, druckst er herum. Ich sehe auf und funkele ihn an. Das Maß ist voll. Jetzt geht erst mal gar nichts mehr! „Bevor ich es vergesse, am Montagmorgen um acht Uhr kommen wieder Leute vorbei, die sich das Haus ansehen wollen“, leiert er wie auswendig gelernt herunter. Bevor ich den Mund zum Protest öffnen kann, fällt die Tür hinter ihm ins Schloss. So sieht er nicht, dass ich tanzen kann wie Winnetou mit seinem Tomahawk.

      Einschlafschwierigkeiten

      Am nächsten Morgen fühle ich mich wie durch den Fleischwolf gedreht. Letzte Nacht ist es richtig spät geworden. Die Sache mit der Erdbeermarmelade hat meine ganze Energie ratzeputz gefressen. Nur durch eine echt großzügige Auslegung einiger Verkehrsregeln habe ich es überhaupt geschafft, noch rechtzeitig zur Arbeit zu kommen.

      Gestern Abend war es eigentlich ruhig in der Pizzeria. Gähnende Leere. Glück gehabt! Ich war hundemüde. Die paar Gerichte, die als Bestellung in der Küche ankamen, konnte ich gerade noch so verkraften. So sehr ich meinen Job liebe, gestern konnte ich kein Essen mehr sehen. Immer wieder habe ich unauffällig auf die Uhr geblinzelt. Endlich, endlich, griff mein Chef nach dem Schlüssel, um abzuschließen. Was war ich erleichtert! Ich stand in der Küche und träumte regelrecht von meinem Bett. Meine Beine taten weh und sahen aus wie die eines Elefanten und meine Arme waren auch bleischwer. Normalerweise habe ich immer noch genug Schwung und Kraft, die Edelstahlbecken in einem Wisch trocken zu rubbeln. Gestern dauerte es ewig, bis die Streifen meines Handtuches nicht mehr auf der sauberen Arbeitsfläche zu sehen waren.

      Ich war gerade fertig, als ich aus dem Augenwinkel meinen Chef auf mich zukommen sah. Er schlenderte leichtfüßig und fröhlich pfeifend in die Küche und drückte mir schwungvoll einen Bestellzettel in die Hand. „Bella, ich weiße, du wolle gehe nach Hause, aber Kunde ise, wie sage man? Könisch, gell!? Wie immer!“, erklärte er mir in seinem melodischen italienisch-deutschen Slang und zwinkerte mir zu.

      Ich ahnte fürchterliches, öffnete entsetzt den Mund, um zu protestieren, schloss ihn aber resigniert gleich wieder und sagte lieber nichts.

      Mein Boss hat ja Recht, wenn er sein Geschäft ernst nimmt. In der Gastronomie spricht sich jeder Vorgang blitzschnell herum. Einen Gast abzuweisen ist definitiv keine gute Werbung. Aus einem frühen Feierabend würde nun nichts werden, das erfasste ich im Bruchteil einer Sekunde. Resigniert legte ich das nasse Geschirrhandtuch zur Seite und betrachtete wehmütig meinen blank geputzten Arbeitsplatz. Einmal tief einatmen. Augen schließen. Ausatmen. Ins Hohlkreuz gehen, die Beine ausschütteln, danach die Arme. Ich drehte meinen Kopf nach links. Es knackte. Jetzt nach rechts. Es knackte erneut. Zähneknirschend holte ich die Zutaten und machte mich an die Arbeit.

      Dabei wusste der bereits ziemlich angetrunkene Gast sein Essen garantiert nicht mehr zu schätzen, besoffen wie der war. Dennoch gab ich mir natürlich große Mühe, die Pizza mit frischen Tomaten, Büffelmozzarella und Basilikum perfekt zuzubereiten und zu würzen. Berufsehre! Der Betrunkene machte sich gierig über sein Essen her. Kurz danach sprang er auf und wankte zur Toilette. „Ach nein“, dachte ich, „behalt deine Pizza bitte bei dir!“

      Erst gegen Mitternacht schwankte der Mann endlich aus der Pizzeria. Fast hätte ich mir ein Taxi gerufen, so kaputt war ich. Ich hatte wirklich Angst, beim Autofahren einzuschlafen. Aber dann wäre mein ganzer Verdienst für eine unnötige Taxifahrt draufgegangen und das wollte ich dann doch nicht.

      Rund eineinhalb Stunden später lag ich endlich in meinem Bett. Hellwach übrigens. Ich hasse dieses Phänomen, denn es passiert mir dauernd. Da schaffe ich es tagsüber kaum, die Augen aufzuhalten oder schlafe abends kurz vor der Auflösung eines spannenden Krimis auf der Couch ein, und kaum liege ich im Bett, bin ich topfit. Was soll denn das?

      Siedend heiß fiel mir plötzlich ein, dass ich vergessen hatte, den misslungenen Test unseres Juniors zu unterschreiben. Er hatte ihn mir kurz unter die Nase gehalten, als ich grad keine Zeit hatte, mir den Zettel näher zu betrachten. Ein kurzer Blick darauf hatte aber trotzdem genügt, um zu erkennen, dass Max wieder einmal seine Vokabeln nicht gelernt hatte. Ich muss künftig unbedingt ein Auge auf die Sache haben und ihn viel regelmäßiger abhören.

      Mit seiner neuen Lehrerin kommt Max sowieso nicht klar. Sie ist sehr streng und verlangt viel von den Kindern. Jetzt begann sich mein Gedankenkarussell zu drehen. Warum nur hatte ich das „einsteigen bitte, die Fahrt beginnt“ überhört? Dann hätte ich mich noch in Sicherheit bringen können. Aber jetzt war es zu spät, ich befand mich bereits in vollem Schwung „Lass mich doch endlich mal in Ruhe, ich will jetzt schlafen!“, beschwor ich mein Unterbewusstsein, doch das war offensichtlich schlecht gelaunt und auf Krawall gebürstet.

      Ständig belästigte es mich mit Themen, an die ich nun, mitten in der Nacht, wirklich nicht denken wollte. Energisch versuchte ich, gegenzusteuern, indem ich mir das Meer vorstellte und versuchte, mich an das Geräusch der Wellen zu erinnern. Das hatte mir im letzten Urlaub immer so gut getan und mich beruhigt. Jetzt war ich von Entspannung allerdings so weit entfernt wie der Mars vom Jupiter.

      Irgendwann gab ich auf und schlüpfte leise aus dem Bett. Barfuß tapste ich die Treppe hinunter in den Flur, zog den Ranzen unseres Sohnes aus der Ecke und öffnete ihn vorsichtig. Gleich auf den ersten Blick entdeckte ich mehrere Frühstücksboxen, die ich schon seit Tagen gesucht hatte. In einer davon waren noch Reste eines Pausenbrotes zu erkennen. Ich schüttelte die Dose mal probehalber. Der Inhalt bewegte sich keinen Millimeter.

      Diese Art Langzeitversuche kenne ich nur zu gut. Ein vertrautes Indiz für den Zustand, den das ehemalige Brot wohl in der Zwischenzeit erreicht hatte. Wahrscheinlich war das komplette Ding und nicht nur die Füllung reif für den Müll. Ein vorsichtiger Blick hinein genügte mir, um zu erkennen, dass nichts mehr zu retten war. Naserümpfend klappte ich den Deckel wieder zu.

      Wie oft habe ich mir schon vorgenommen, den Schulranzen täglich zu kontrollieren und es nicht getan. Ich schüttelte frustriert den Kopf und kramte weiter. Die Fundstücke, die im Ranzen nichts zu suchen hatten, legte ich auf den Boden. Auf der Ablage ist leider nie Platz. Wie der Begriff „Ablage“ ja schon erahnen lässt, wird diese im Hause Faules für die kurz- bis sehr langfristige Aufbewahrung aller Dinge benutzt, die gerade nicht benötigt werden.

      Das Englischheft unseres schlampigen Sohnes war übrigens leicht zu identifizieren. Der Umschlag war makellos sauber und machte einen neuen Eindruck. Keine Eselsohren! Offensichtlich hatte die Lehrerin ihre Schützlinge bestens im Griff. Als ich mich durch Mäxchens Unterlagen wühlte, fiel mir der Test entgegen. Ich sah ihm nach, wie er auf den Boden segelte, beobachtete das schaukelnde Papier ohne zu versuchen, es aufzufangen. Eine bleierne Müdigkeit hatte mich erfasst und es graute mir vor dem kommenden Tag, der mir nur extrem