Lilian Adams

Eva


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du nicht Diät machen, Mama?“, Laura hebt ihre rechte Augenbraue, ein Kunststück, das sie seit ihrer Kindheit beherrscht.

      „Und du solltest aufhören, dir diese Pampe auf die Augen zu schmieren“, kontere ich unter der aufmunternden Wirkung der Schokolade, die ich in den Teig gepackt habe. Laura holte tief Luft, fuchtelt dramatisch mit den Armen, dreht sich um und rauscht aus dem Zimmer. „Lang macht die Tür das nicht mehr mit, ständig zugeknallt zu werden“, denke ich und überschlage die Kosten für den Austausch.

      „Musst du sie denn immer kritisieren? Sie ist ein junges Mädchen und macht sich hübsch für die Jungs!“ Michael runzelt missbilligend die Stirn.

      „Findest du ihre Kriegsbemalung etwa schön?“, hake ich nach. Michael denkt kurz nach und schüttelt dann den Kopf.

      „Eigentlich nicht. Aber ich bin ja auch ein alter Mann.“ Ich werfe den Kopf in den Nacken. Es kracht. Ich bin sowas von verspannt. Kein Wunder. Schon wieder dieses heiße Eisen. Seit Michaels vierzigster Geburtstag vor der Tür steht, dreht er am Rad. Man könnte meinen, sein Leben sei dann vorbei. Egal, über was ich mich mit ihm unterhalte, früher oder später fällt ihm garantiert sein Alter wieder ein und er lenkt das Gespräch darauf. Mittlerweile kann ich das zuverlässig an seinen Mundwinkeln erkennen. Die fallen dann nämlich auch immer nach unten. Und dann sieht er tatsächlich alt aus. Bisher habe ich ihm das allerdings noch nicht gesagt.

      Michael wird immer viel jünger geschätzt, als er tatsächlich ist. Ich finde ihn ja sowieso sehr attraktiv. Michael sieht gerade mit den grauen Schläfen interessant aus. Nur sollte er nicht immer die Augen zusammenkneifen. Das verstärkt die Stirnfalte, die er sich inzwischen zugelegt hat.

      Ich halte ihm einen Muffin vor die Nase. „Willst du? “ Er schüttelt angewidert den Kopf. „Du weißt doch, dass ich auf Diät bin. Und ICH schaffe das auch.“ Ich kneife die Lippen zusammen, um nichts zu sagen. Michael ist schlank mit seiner Größe von einem Meter achtzig. Der kleine Bauchansatz, zu dem er neuerdings neigt, stört nicht im Geringsten. „Wenn er weiter abnimmt, sehe ich neben ihm wie eine Tonne aus“, fällt mir ein.

      Ich bin stolze fünfzehn Zentimeter kleiner als mein Mann. Natürlich hab ich es mit hochhackigen Schuhen versucht, aber ich kann nicht gut darin laufen. Ich hake mich gerne bei meinem Mann unter, wenn wir unterwegs sind. Aber Michael hat eine riesige Schrittlänge. Ich muss zwei Schritte machen, wo er nur einen braucht. Einmal bin ich mit meinem Pumps im Pflaster hängen geblieben. Michael hat von meiner Misere gar nichts mitbekommen und ist einfach weitergelaufen. Dabei steckte mein Fuß noch fest. Er hat mir fast den Arm ausgekugelt.

      „Ich soll dir Grüße von meinen Eltern ausrichten“, meldet sich Michael zu Wort. Ich nicke erfreut. Michael besucht die beiden meistens samstags morgens, während ich das Haus putze. Oft kommen meine Schwiegereltern auch sonntags zu Kaffee und Kuchen vorbei. Was heißt oft? Eigentlich immer, bis auf sehr wenige Ausnahmen. Normalerweise verabschieden sie sich pünktlich um fünf, damit sie ihre Lieblingssendung nicht verpassen. Mir bleibt so genügend Zeit, das Geschirr wegzuräumen, bevor ich zur Pizzeria fahre.

      Manchmal allerdings sitzen sie zu entspannt auf ihren Stühlen. Das sind die Momente, in denen ich nervös werde, denn Katharina und Edgar wissen nicht, dass ich als Küchenhilfe in einer Pizzeria arbeite. Michael hat darauf bestanden, dieses klitzekleine Detail zu verschweigen, um seine Eltern nicht aufzuregen.

      Eigentlich weiß niemand von meinem Job. Selbst die Kinder nicht. Laura und Max denken, ich gehe mit Marie zum Sport und danach zu Francesco essen. Dabei haben wir das nur ein einziges Mal gemacht. Das war an dem Tag, als ich den Arbeitsvertrag unterschrieben habe.

      Michael schämt sich dafür, dass er nicht genug verdient, um die teuren Wünsche unserer Kinder finanzieren zu können. Er findet es schlimm, dass seine Frau berufstätig ist.

      Dabei stehe ich zu meiner Arbeit. Hier bekomme ich wenigstens ein bisschen Anerkennung. Offiziell bin ich natürlich nur die Küchenhilfe. Aber etliche der Gerichte, die am Wochenende die Küche verlassen, wurden von mir persönlich zubereitet. Ich habe Francesco vor einer Weile mal um eine Gehaltserhöhung gebeten und bin abgeblitzt. Darüber habe ich mich zwar geärgert, aber beschlossen, nichts zu unternehmen. Wozu Stress machen? Davon haben wir schon genug durch unsere Wohnsituation.

      TraumHeim

      Schuld daran sind meine Schwiegereltern. Edgar ist durch und durch Unternehmer. Anstatt eines seiner „TraumHeimHäuser“ als reines Musterhaus zu nutzen, hat er es lieber gewinnbringend gleich wieder verkauft. An uns. Kein Wunder, dass er so erfolgreich ist.

      Zwar haben wir das Haus günstig bekommen, aber wie so oft im Leben, gibt es auch hier einen großen Haken. Edgar hat uns die Sache schmackhaft gemacht, als wir jung verheiratetet waren und nur ein geringes Budget hatten.

      „Ach Kind, wie hältst du das aus? Mit einem Baby in diesem Chaos zu hausen, das sind ja unhaltbare Zustände!“, kreischte Katharina entsetzt, als sie uns wieder einmal zum ungünstigsten Zeitpunkt besuchte. Laura bekam Zähne und brüllte die ganze Zeit. Entsprechend sah es in meinem Haushalt aus.

      Wir hatten eine sehr kleine Wohnung und zu wenig Schränke. Meine Schwie - Schwies (bedeutet schwierige Schwiegereltern) fanden keinen Platz zum Sitzen, weil überall auf den Stühlen Wäschekörbe standen.

      Edgar stand etwas verloren herum und fing dann an zu grinsen wie der Clown in diesem Horrorfilm. Dieser Gesichtsausdruck hat mir schon immer Angst gemacht. Wenn Edgar den aufsetzt, wird es ernst!

      Aber diesmal machte er uns ein Angebot, das wir nicht ausschlagen konnten, nicht in unserer Wohnsituation. Unsere Küche war so winzig, dass man mit zwei Personen kaum Platz hatte, sich umzudrehen. Wir suchten schon länger nach einer anderen Bleibe für uns und unser Baby, waren aber bisher nicht fündig geworden.

      An diesem Tag bot uns Edgar eines seiner Häuser an. Zum Verkauf. Absolut günstig!

      Ab und zu kämen mal Leute vorbei, die sich das Haus vom Bürgersteig aus betrachten würden. Keine Einbrecher, sondern Interessenten. Das sei alles! Dagegen konnte man ja echt nichts sagen. (Außer, dass man seinem einzigen Sohn als reicher Unternehmer ein Haus ja auch hätte schenken können!) Auf der anderen Seite war es mir so lieber, ich wollte nicht immer „danke“ sagen müssen. Wir sind also auf den Deal eingegangen.

      Ein paar Jahre lang lief alles glatt. Inzwischen war unser Max auf der Welt und ich stellte öfter mal den Kinderwagen unter den Fliederbaum im Garten. Laura sollte ab und an nach dem Baby gucken, während sie ansonsten nach Herzenslust im Garten spielen durfte. Die „TraumHeiminteressenten“ standen manchmal am Zaun und schauten zu, wie unsere Tochter den Kinderwagen wippte. Eine richtige Idylle. Sie waren aber auch zwei wirklich entzückende Kinder, die ich von unserem großen Panoramafenster aus immer im Blick hatte.

      Ich war eine ziemliche Glucke, das bin ich heute noch. Es war eine tolle Zeit, als die beiden noch so klein waren.

      Aber einige Jahre später wurde unser „TraumHeim“ immer mehr zu einem Alptraumheim.

      Es fing recht harmlos damit an, dass Edgar eine Magen-Darm-Grippe hatte und Katharina deshalb kurz unbeaufsichtigt im Büro ließ. Dass dabei nichts Gutes rauskommen konnte, war ja klar!

      Ausgerechnet jetzt kamen ein paar superschlaue Kunden auf die Idee, ein Musterhaus von INNEN ansehen zu wollen. Um ein Gefühl für die Proportionen zu bekommen, argumentierten sie. Erst lehnte meine Schwiegermutter ab. Doch dummerweise hatte Katharina bereits geprahlt, dass ihr eigener Sohn in einem „TraumHeim-Haus“ lebt und seine ganze Familie darin Platz hat. Deshalb haben die Leute darauf bestanden, uns mal zu „besuchen“. Ohne das Haus besichtigen zu können, käme kein Geschäft zustande. Also vereinbarte Katharina einen Besuchstermin und ich hatte das Nachsehen.

      Ich musste das Haus auf Vordermann bringen, unserer zickigen Tochter und unserem motzenden Sohn gut zureden und bei meinem Mann auch noch Verständnis für die Unverschämtheit seiner Mutter heucheln. Ich hätte Katharina killen können, so sauer war ich.

      Die Interessenten sind in aller Seelenruhe durch unser Zuhause