Lilian Adams

Eva


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ganze Bürokratie auf mich zu nehmen und eine Namensänderung durchzuboxen. Aber ich sehe schon die vielen hochgezogenen Augenbrauen, entsetzten Blicke danach und höre sie sagen „Habt ihr euch scheiden lassen? Wer kriegt das Haus, wie verkraften es die Kinder“. Diese Vorstellung hält mich bisher noch davon ab.

      Mit meinem größten, frisch geschärften Küchenbeil hacke ich lieber die Schokolade so schwungvoll klein, dass die Späne über die Küchenplatte hüpfen, als seien sie auf der Flucht vor meinem Zorn. Ich bin schon wieder richtig sauer. Das bin ich in letzter Zeit immer, wenn Michael mich als „Faules“ tituliert.

      Und sein Tonfall jedes Mal! „Faaaaauuuuules“, das klingt bei ihm wie das anklagende Jaulen eines verletzten Wolfes.

      Am meisten macht mir zu schaffen, dass ich selbst an der Situation schuld bin. „Eva Faules, geborene Glück“, dazu hätte ich natürlich nie, niemals, auf gar keinen Fall „ja“ sagen dürfen. Was für eine bescheuerte Konstellation! Jetzt bin ich schon so lange Michaels Frau, übersehe großzügig seine Macken, aber an seinen blöden Nachnamen werde ich mich definitiv nie gewöhnen und das will ich auch gar nicht mehr.

      Wieder mal bleiben meine Gedanken in dem üblichen Strudel hängen, aus dem ich einfach nicht rausschwimmen kann. Keine Kraft, gegen die Strömung anzukämpfen. Ich gehe mir gerade selbst auf den Keks, also Schluss jetzt mit dem Gejammer!

      Ich seufze abschließend und schütte resigniert die Schokoladenstückchen in den Teig. Sich zu ändern ist schwierig, das steht sogar in den gefühlt tausend Ratgebern, die ich mir schon in der Buchhandlung meiner Freundin Marie besorgt habe.

      Aber ich werde nicht aufgeben. Schließlich kenne ich meine Schwächen. Mein halbes Leben lang habe ich versucht, mich von diesem kleinen Mäuschen in eine selbstbewusste, starke Frau zu verwandeln. Im Moment hänge ich irgendwo zwischendrin.

      Dieser Gedanke frustriert mich und ich lasse das Beil so schnell auf die Schokolade fallen, dass das hölzerne Schneidebrett zu zittern beginnt. Meine blonden, schwer erziehbaren Haare tanzen dabei wie wild auf und ab. Erst als sich der restliche Schokoladenblock in winzig kleine Krümel verwandelt hat, bin ich zufrieden.

      Schwungvoll haue ich die Masse in die bunten Silikonförmchen. Teigspritzer landen auf dem frisch geputzten Küchenboden. Also nachher nochmal den Putzlappen schwingen.

      Ich seufze erneut. Warum kann ich heute nicht aufhören zu seufzen?

      „Faules, kommst du mal?“ Da ist sie wieder, die liebevolle Ansprache meines Gatten. Offensichtlich will er so schnell nicht aufgegeben. Ich aber auch nicht. Ich werde hart bleiben und auf diese Ansprache nie wieder reagieren. Basta!

      „Faules! Bist du in der Küche?“ Die Stimme kommt näher. Automatisch öffne ich den Mund um zu antworten, kann mich aber gerade noch bremsen. Fühlt sich irgendwie gut an. Vielleicht war das mit der Meditation und dem vielen Ommmmh doch keine so schlechte Idee.

      Ich lockere meine verkrampften Schultern und verfrachte die Muffins in den Ofen. Wenigstens beim Thema Kochen und Backen macht mir so schnell keiner was vor. Ich liebe es einfach.

      Manchmal, wenn mir ein bestimmter Duft in die Nase steigt, habe ich eine Szene vor Augen, in der ich bei Mama in der Küche sitze und Kakao trinke, während sie Gemüse schnippelt und kocht. Dann kommt Papa heim, streicht mir über den Kopf und sagt: „Hallo Prinzessin!“

      Meine Eltern sind viel zu früh bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen und das ist eine der wenigen Erinnerungen, die ich von der Zeit vor dem Unfall noch habe. Vielleicht wollte ich deshalb unbedingt Köchin werden, weil ich mich an diesem Ort so geborgen fühlte. Wer weiß?

      Tante Polly nahm mich zu sich. Allerdings war sie alleinstehend und musste den ganzen Tag arbeiten, um uns durchzubringen. So landete ich in der Klosterschule. Die Gute wusste ja nicht, wie unglücklich ich dort war und ich wollte keine Probleme machen. Deshalb habe ich tapfer durchgehalten. In den Ferien fuhr ich dann zu ihr.

      Marie, schon damals meine beste und einzige Freundin, holte mich immer am Bahnhof ab und hatte den neuesten Klatsch aus dem Dorf parat.

      Waren das schöne Tage! Wir waren unzertrennlich und wurden von den Nachbarn nur noch „die Zwillinge“ genannt. Unsere Freundschaft hält bis heute, auch wenn wir uns leider viel zu selten sehen. Marie hockt zwar den ganzen Tag in ihrer Buchhandlung, bekommt es aber trotzdem hin, sich regelmäßig zu melden. Meistens ergreift sie die Initiative. Obwohl. Oft denke ich gerade an sie und dann klingelt auch schon das Telefon. Wer war dann zuerst aktiv? Marie nannte uns vor zwanzig Jahren schon „Seelenverwandte“, obwohl das Wort da noch ziemlich exotisch klang. Das war, bevor die Esoterikwelle durchs Land geschwappt ist. Und irgendwie hat Marie Recht. Wie sonst kann es sein, dass eine oft weiß, was die Andere denkt.

      Aber während der langen Schulzeit zwischen den Ferien war ich immer sehr einsam.

      Na ja, immer noch Gejammer. Das ist der Nachteil beim Backen. Man kann sich gleichzeitig leidtun.

      Dabei ist alles Schnee von gestern. Jetzt wohnt Marie mit ihrer zupackenden Art sozusagen um die Ecke und ist immer für mich da.

      Probeweise schiele ich auf die Uhr. Mist! Schlechte Zeit für einen Anruf. Marie steht jetzt in ihrer Buchhandlung und ist garantiert gerade in ein angeregtes Gespräch über Bücher vertieft. Ich schnappe mir den Kassenbon vom letzten Einkauf, drehe ihn herum und greife nach einem Stift. Mine leer! Wie sollte es auch anders sein. Warum wirft meine Familie kaputte Dinge eigentlich niemals in den Mülleimer? Haben sie Angst, ich würde sie lynchen, wenn ich davon erfahre? Oder ist es reine Bequemlichkeit? Oder bin ich die Zuständige für Abfallbeseitigung und sie wollen mir meinen Job nicht wegnehmen, damit ich nicht arbeitslos da stehe und anfange zu weinen? Ich sollte sie mal fragen.

      Am besten schreibe ich gleich ein Buch. Das Buch der tausend Fragen. Denke, in spätestens einer Woche habe ich genug Themen zusammen. Vielleicht gibt es sogar eine Buchreihe, das Material geht mir bestimmt nicht aus.

      Ich wühle in der Kramschublade und finde zwischen leeren Tintenpatronen, Bedienungsanleitungen und der lange vermissten Flasche Rescue-Tropfen tatsächlich einen noch nicht ganz stumpfen Bleistift.

      „Marie anrufen“, notiere ich mir mit krakeligen Buchstaben. Mein Gedächtnis lässt jetzt schon zu wünschen übrig. Was wird nur aus mir werden, wenn ich ins Rentenalter komme.

      Ich spüre, wie mein Kopf rot wird. Das ist mein schlechtes Gewissen und ich beschließe, Marie mal wieder zu einem Abendessen einzuladen.

      Essen! Da kommt mir sofort wieder Maître Claude in den Sinn.

      Vor ziemlich genau sechzehn Jahren

      „Gib mir mal die Kirschen rüber, damit ich den Nachspeise- Teller fertig anrichten kann!“ Stolz betrachte ich mein Werk. Ich kann es manchmal selbst kaum glauben, welche Verwandlung ich durchmache, sobald ich in der Küche stehe und eine saubere weiße Schürze trage. Fast wie Aschenputtel, das sich in Cinderella verwandelt hat.

      „Ist der Nachtisch fertig?“ ruft Maître Claude ungeduldig in die Küche.

      „Jawohl Chef, es ist angerichtet!“ witzele ich selbstbewusst und schwenke die Teller gekonnt zur Ausgabe.

      „Wollen Sie, oder soll ich servieren?“

      „Das machen Sie mal schön selbst Frau Glück, schließlich ist das Ihre Kreation. Außerdem bin ich überzeugt, dass die Gäste lieber von einer hübschen jungen Blondine bedient werden, als von einem alten Mann wie mir!“

      Selbstbewusst laufe ich zu Tisch Nummer fünf und serviere die Teller, wie es sich gehört. Und dann trifft er mich. Bäng! Voll erwischt! Amors Pfeil hat mitten in mein Herz gezielt.

      Ein chic gekleideter gutaussehender junger Mann mit rehbraunen Augen grinst mich an und leckt sich begeistert über die Lippen.

      „Das ist ja die reine, pure Sünde!“ schwärmt er.

      Dann nimmt er den kleinen Dessertlöffel und probiert ein Stückchen von dem Küchlein mit flüssigem Schokoladenkern,