Lilian Adams

Eva


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du denn gemacht? Deine Haare! Du siehst aus, als wärst du unter den Rasenmäher gekommen “, kreischt sie und fuchtelt mit den Händen herum. Ob ich mir Sorgen um sie machen muss? Sie sieht aus wie ein Dirigent im Delirium. Normal ist das nicht.

      Jetzt fällt mir aber immerhin ein, warum sie so herum zickt. Ich habe meinen Pony ein wenig nachgeschnitten. Die Haarspitzen waren viel zu lang und das nervt mich. Ich habe ja nichts mehr gesehen. Also habe ich zur Schere gegriffen und einen wirklich guten Job gemacht, finde ich wenigstens.

      Immer diese dramatischen Auftritte unsrer Tochter. „Dafür kann man jetzt meine Augen erkennen“, mache ich sie auf die Vorteile meiner Frisur aufmerksam.

      Am Anfang unserer Beziehung hat Michael einmal behauptet, in meinen strahlend blauen Augen den Himmel, das Meer und die Liebe finden zu können. Ich bin grad so dahingeschmolzen, als er das gesagt hat. Leider war er da betrunken, zumindest ziemlich angetrunken. Mit Komplimenten ist er schon immer eher sparsam umgegangen. Aber diesen Satz hat er ernst gemeint, das weiß ich einfach!

      Mein Frisör hat mich bei meinem letzten Besuch gebeten, künftig die Nagelschere von meinen Haaren fernzuhalten. Ein dezenter Hinweis auf die Katastrophe etwa ein Jahr zuvor. Da hatte ich ziemlich gepfuscht.

      Laura mustert mich nach wie vor. Mit ihrem permanenten Kopfschütteln erinnert sie mich an den vergilbten Wackeldackel, den Edgar immer noch in seinem alten Mercedes durch die Gegend kutschiert. „Das ist viel zu kurz. Und an den Seiten hast du einen richtigen Rahmen.“ Sie schüttelt sich angewidert „Igitt! Sieht aus wie Prinz Eisenherz“, wirft sie mir dann noch entgegen.

      Jetzt habe ich die Nase voll. „Schluss jetzt“ fauche ich. Meine Haare sind sowieso ein schwieriges Thema. Das Schicksal hat es nicht gut mit mir gemeint und mir nach den Schwangerschaften hellblonde, ständig von Spliss und Haarausfall bedrohte Fusseln beschert. Seit langem träume ich schon von einer gepflegten Mähne, die mir wasserfallartig und engelsgleich über den Rücken fällt. Doch die Wahrheit sieht leider komplett anders aus. Dünne Fransen, die schnittlauchartig gerade mal so die Schultern berühren.

      Aus dem Backofen dringt der Geruch frisch gebackenen Kuchens und ein kurzer Blick zeigt mir, dass die Muffins fertig sind. Dieser Duft! Mein Magen knurrt und lässt sich gar nicht mehr beruhigen.

      „Wag dich bloß nicht, schon wieder schwach zu werden“, ermahne ich mich lautlos. Ich will abnehmen. Ich fühle mich schon viel zu lange unwohl in meinem Körper. Die beiden Schwangerschaften haben meine Figur ruiniert. Ich bewege mich zwar viel, immerhin trage ich jeden Morgen kiloweise Zeitungen aus, aber dummerweise liebe ich Süßigkeiten. Bei Stress jeglicher Art helfen mir Kekse und Schokolade zuverlässig und schnell.

      Die Kehrseite der Medaille: Zehn Kilo Übergewicht. Und das ist nur eine vorsichtige Schätzung, denn die Waage steht unter dem Bett und zwar ziemlich in der Mitte, also schwer erreichbar. „Demnächst nehme ich den Schrubber und fische sie raus“, beschließe ich. Schließlich muss man den Tatsachen ins Auge schauen. Andererseits wäre es vielleicht besser, vorher ein wenig abzunehmen. Nicht, dass ich vor Schreck in Ohnmacht falle.

      Fallende Muffins

      Meine selbstgehäkelten Topflappen fallen mir ins Auge. Die nächsten muss ich etwas fester häkeln, denn perfekt halten diese die Hitze noch nicht ab. Ich greife sie mir trotzdem und öffne dann die Ofentür.

      Ein Schwall heißer Luft dringt mir entgegen und macht unsere Küche vollends zur Sauna. Als ich dabei bin, das erste Blech aus dem Ofen zu heben, kommt Michael unverhofft hereingestürmt und rempelt Laura an, die mal wieder mitten im Weg steht. Mitten im Weg stehen ist sowieso ihre Spezialität. „Aua! Pass doch auf, Papa“, kreischt sie empört. Ich erschrecke und reiße dabei automatisch die Arme hoch. Wie Dominosteine machen sich die Muffins auf den Weg und kullern auf den Boden, ohne dass ich nur den Hauch einer Chance habe, sie mit meinem Bauch zu bremsen. Fassungslos schaue ich ihnen nach und entdecke in meinem Blickfeld dabei noch einen weiteren Störfaktor.

      Cherie, der Nachbarshund ist ja auch schon wieder da. Hat der eigentlich kein Zuhause? Und wie ist der überhaupt schon wieder reingekommen? Bevor ich reagieren kann, rast Cherie heran, schnappt sich ein Teilchen und lässt es jaulend sofort wieder fallen. Dann schüttelt er sich erschrocken und verliert dabei einige Haare aus seinem Mischlingsfell. Man kann zusehen, wie sie in Zeitlupe anmutig zu Boden sinken. Cherie sieht mich vorwurfsvoll und zutiefst verletzt an und jault kurz auf.

      Klingt wie „Faules“ Ich schüttele mich, um meine Anwandlung von Wahnsinn loszuwerden. „Mist, Mist, Mist“ jammere ich, als ich mich wieder auf das Malheur konzentriere. Nur wenige Muffins sind auf der mit Papier geschützten Seite gelandet. Ich hebe sie auf, betrachte sie kritisch und drehe jeden einzelnen in meiner Hand, um eine genaue Kontrolle über ihren Zustand zu bekommen. Wie eine Krankenschwester aus Emergency Room. Einige sortiere ich aus, die anderen lege ich vorsichtig auf die Arbeitsplatte.

      Die ganze Arbeit, fast für die Katz! Ich spüre, dass ich schon wieder auf meiner Unterlippe herum kaue. Das tue ich oft, wenn ich nachdenke. Ich bin gerade dabei, mir das abzugewöhnen, aber auch das ist gar nicht so leicht. Dummerweise schaut Michael in meine Richtung, als meine Zähne noch außerhalb der Lippe hängen und ich ernte sofort seinen bösen Blick, verstaue sie wieder im Mund und versuche, abzulenken.

      „Die da sind eigentlich auch viel zu schade zum Wegwerfen, ist ja nichts dran“, beschließe ich mit Blick auf die ramponierten Teile, die den Sturz nicht völlig unbeschadet überstanden haben. Zum Weiterverkauf taugen sie natürlich nicht. Aber wir können sie ja essen.

      Nur fünf Muffins sind überhaupt nicht mehr zu retten. Sie haben sich im wahrsten Sinne des Wortes unter dem Tisch verkrümelt.

      Laura sieht mit verschränkten Armen zu, wie ich mich nun bücke, um sie aufzuheben. Meine Kniegelenke knacken bedenklich. Ich sollte Sport machen. Ächzend krabbele ich unter unseren Küchentisch und sammele die größeren Brocken auf. Laura hat mich fest im Blick. Ihr Gesichtsausdruck erinnert mich an eine Zitronenverkostung der extrasauren Sorte. Lauras Lippen sind nur ein dünner Strich. „Fast wie Katharina“, denke ich erschrocken.

      Meine Schwiegermutter verwendet auch gerne diesen herablassenden Blick. In ihrer Gegenwart fühle ich mich ständig minderwertig. Michaels Mutter sieht einfach immer, in wirklich jeder Lebenslage, aus, wie aus dem Ei gepellt. Damit ihre Dauerwellenfrisur Wind und Wetter überlebt, braucht sie bestimmt eine halbe Dose Haarspray am Tag. Mindestens. Das Ergebnis allerdings kann sich sehen lassen. Morgens, neun Uhr, Regen, ihre Frisur sitzt. Mittags, Windböen der Stärke zehn, ihre Frisur hält. Abends, ein Orkan tobt, die Frisur rührt sich nicht. Meistens geht mir Katharina mit ihrer Perfektion schrecklich auf die Nerven, aber das behalte ich natürlich für mich. Müssen ihre Schuhe immer exakt zu der Handtasche und dem Schmuck passen?

      Ich krieche weiter unter dem Küchentisch herum, um auch an die letzten Krümel heranzukommen. Laura und Michael beobachten mich interessiert. Cherie folgt mir mit begeistertem Hecheln, rempelt mich mehrfach an, um sich vorzudrängeln, schafft es aber nicht und bekommt deshalb auch von der Beute nichts ab. Das wollen wir doch mal sehen! „Gib mir mal einen Teller und Kehrbesen mit Schaufel“, bitte ich Laura. Sie setzt sich in Zeitlupe in Bewegung und kehrt Ewigkeiten später erst zurück.

      Ich komme mir vor, wie die armen Häftlinge früher, diese Schwerverbrecher, die in kleine Käfige gesperrt in die Hitze gestellt wurden. Ich merke, wie mir schlecht wird, deshalb beseitige ich das Chaos mit langsamen Bewegungen, bevor ich unter dem Tisch hervorkrieche und mich mühsam aufrappele. Zum Trost schnappe ich mir einen der kleine Kuchen, puste mal kurz darüber und beiße gierig hinein! Lecker! Die Bananen im Teig, weil mir die Zutaten ausgegangen sind, waren eine richtig gute Idee. Aus der Not heraus geboren, aber sind das nicht alle genialen Erfindungen? Ich stopfe den Rest in den Mund, atme tief aus und spüre sofort, wie der Stress von mir abfällt.

      Das ist mein Yoga! Warum auf rosa Matten verrenken, wenn es eine perfekte Alternative gibt?

      Dass ich auf Kuchen eigentlich verzichten wollte, habe ich kurzfristig total vergessen. Michael und Laura nicht. Beide stehen mit vor der Brust verschränkten Armen da wie Beauftragte der Inquisition. Sie werfen sich einen