Lilian Adams

Eva


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      Rasch warf ich noch einen kurzen Blick auf das annähernd leere Papier und kritzelte meinen verhassten Nachnamen in das vorgegebene Feld. Die Wanduhr zeigte fast drei Uhr an, als ich das Heft zurück in den Ranzen stopfte. „Ein Glück hat Michael einen guten Schlaf“, dachte ich noch.

      Mein Mann hasst Montage und ist dann oft schlecht gelaunt. Übers Wochenende fällt seinen Kunden immer alles Mögliche ein und Michael kann sich dann meistens vor Arbeit kaum retten. Daher brauchte er dringend jetzt noch etwas Ruhe. Ich schlich also ganz leise zurück ins Schlafzimmer und schlüpfte fast geräuschlos unter die dünne Sommerdecke.

      Trotz der Hitze, die im Moment herrscht, brauche ich immer mindestens ein Laken. Michael, nur mit einer kurzen Schlafhose bekleidet, lag wieder einmal quer im Bett und schnarchte melodisch vor sich hin. Um ihn nicht zu wecken, legte ich mich leise an den äußersten Rand und hoffte, nicht hinauszufallen.

      Doch diese Position war ungünstig. Der Mond schien mir direkt ins Gesicht. Ich überlegte, noch einmal aufzustehen, um die Läden zu schließen. Aber mir fehlte die Kraft und während ich noch nach einer Lösung suchte, schlief ich ein.

      Weckerdilemma

      Kurz darauf macht der Wecker meiner unruhigen Nacht schon wieder ein Ende. Auf dem Weg zum Badezimmer, das ich wenigstens um diese Tageszeit einmal völlig für mich habe, beschließe ich, mir einen neuen Erziehungsratgeber zu besorgen. Die Sorge um Max macht mich sonst noch verrückt. Irgendwie muss seine Faulheit doch in den Griff zu kriegen sein.

      Als ich jetzt mein Spiegelbild erblicke, erschrecke ich, denn ich sehe genauso müde und zerschlagen aus, wie ich mich fühle. Irgendetwas stimmt hier nicht, denke ich, komme aber nicht drauf, was. Also putze ich mir die Zähne und grübele weiter. Einige Minuten und zwei Tassen Kaffee später mache ich mich dann mit Trippelschritten auf den Weg.

      Als ich mit meinem Zeitungstrolley an der Ecke ankomme, wo die Zeitungen abgelegt werden, überrollt mich die Erkenntnis, was hier falsch läuft. Der Platz ist annähernd leer. Nur ein Hund markiert gerade sein Revier und lässt sich durch meinen klappernden Zeitungswagen nicht stören. Ich stelle den Trolley ab und taste in meiner Hose nach einem Taschentuch, finde aber keines. Gleich muss ich trotzdem heulen, und zwar vor Wut! Ich schnüffele und balle die Hände zu Fäusten. Dann mache ich meinem Frust Luft, indem ich wie Rumpelstilzchen mit dem Fuß aufstampfe und anfange, mich im Kreis zu drehen. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Ich bin echt reif für die Klapse! Wie doof kann man denn sein? Ich habe mich im Tag geirrt.

      Heute ist erst Sonntag! Und somit der einzige Tag, an dem ich ausschlafen kann, weil am Wochenende eine Studentin die Zeitungen austrägt.

      Stattdessen laufe ich hundemüde und völlig sinnlos durch die menschenleere Stadt. „Dieser blöde Wecker! Warum hat das doofe Ding denn überhaupt geklingelt?“, schießt es mir durch den Kopf.

      „Guten Morgen, Frau Faules! So früh schon unterwegs zum Spazierengehen?“ Herr Maier vom Eckhaus gegenüber betrachtet mich interessiert und lüpft freundlich seinen Hut. Ich höre auf mit meinem Ausdruckstanz und ringe mir stattdessen ein Lächeln ab. Mir fällt wieder ein, dass ich am Vortag die Batterien meines Weckers gewechselt habe. Anscheinend bin ich dabei auf den falschen Knopf gekommen und habe mich gerade selbst um ein paar Stunden Schlaf gebracht.

      Nun ist es zu spät, einfach kehrt zu machen und wieder ins Bett zu kriechen. Das Adrenalin pulsiert wie ein Energydrink in meinen Adern. Mit schnellen Schritten Richtung Heimat versuche ich, meinen Zorn zu vertreiben. Die Räder meines Trolleys quietschen laut und monoton. „Hie, hie, hie“, singen sie unablässig. Zeit, ein wenig Schmierfett anzubringen.

      Das Fußballturnier und der Besuch der „Schwieschwies“

      Nach dem Mittagessen fällt mir bei einer weiteren Tasse Kaffee ein, dass ich das heutige Fußballturnier vergessen habe. Max ist wie immer als Ersatzspieler eingeteilt und soll sich heute von fünfzehn bis siebzehn Uhr bereithalten. Da es nicht regnet und auch nicht schneit, wird er wohl nicht zum Einsatz kommen. Obwohl, es könnte Schwimmbadwetter geben. Vielleicht seine Chance, mitspielen zu dürfen.

      „Du verstehst das nicht, Mama“, hat Max gesagt und genervt die Augen verrollt, als ich mal mit ihm über diese Sache reden wollte. Da unser Sohn mit seiner undankbaren Position offenbar zufrieden ist, werde ich mir einen Kommentar auf ewig verkneifen, nehme ich mir vor. Ob ich das schaffen werde, ist ein anderes Thema. In dieser Hinsicht bewundere ich meinen Mann. Michael hält sich da immer fein raus. Die Eltern der meisten Spieler sind aber auch Bankkunden und die will er nicht verärgern.

      Meine „Schwieschwies“ werden bestimmt Punkt Drei in der Tür stehen, weil Michael ihnen garantiert nichts vom Turnier erzählt hat. Es kann also sein, dass ich heute meinen freien Nachmittag opfern muss. Ich nehme Katharina die 28 Gläser Erdbeermarmelade übel, die seit gestern im Flur rumstehen und mir so immer wieder ins Auge fallen. Im Keller lagern noch gefühlte 1000 Gläser Altlasten, und das weiß Katharina ganz genau.

      Michael neigt ebenfalls zu einer völlig übertriebenen Vorratshaltung und geht mir damit auf die Nerven. Ich traue mich nicht mehr, ihn einkaufen zu lassen. Wenn ich ihn bitte, ein Glas mit Sauerkirschen mitzubringen, muss ich mit mindestens vier bis sechs zusätzlichen Konserven rechnen. Sein Motto: „Früher oder später brauchst du die sowieso, die fressen doch kein Brot!“

      Katharina hat noch die schlimmen Zeiten miterlebt, da kann ich ihre Macke verstehen, aber Michael hat nie gehungert. Vielleicht ist er erblich vorbelastet. Zwei derart gestrickte Personen bringen die Lagerfähigkeiten im Keller regelmäßig an die Grenze.

      Ich stelle mir vor, wie Katharina gleich den Flur betritt und kann den Satz des Tages schon beinahe hören. Meine Schwiegermutter wird die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, die Augen aufreißen und völlig überrascht davon sein, wie viel Marmelade ich aus den paar Erdbeeren gekocht habe. Dann wird sie sagen: „Stell die Marmelade doch bei euch in den Keller. Die wird doch nicht schlecht, ihr esst doch viel mehr als wir.“

      „Maaamaaa!“, dringt nun ein Schrei an mein Ohr und ich lasse fast den Teller fallen, den ich gerade leise aus der Spülmaschine holen wollte.

      „Was ist denn? Ist was passiert?“, frage ich erschrocken. Mäxchen grinst.

      „Nee, aber wir gehen jetzt schon, wir holen doch noch Bastian und Frederick ab“. sagt er und zögert einen Moment. Ich stelle das Geschirr ab und drücke ihn fest an mich. „Viel Glück!“, murmele ich in sein Ohr „spiel mit und mach ein Tor, o.k.?“

      Max windet sich aus meiner Umarmung, wischt sich die Wange ab und schüttelt sich wie ein nasser Hund. Dann grinst er und schlingt doch noch mal für den Bruchteil einer Sekunde die Arme um mich. Er ist so schnell groß geworden, unser Sohn. Langsam wird auch er auf Abstand gehen, so wie Laura, die sich kaum mehr in den Arm nehmen lässt.

      „Mensch, Mama, ich wandere nicht aus, ich gehe Fußball spielen“, mault Max, bringt seine nicht vorhandene Frisur wieder in Ordnung und spurtet los.

      Das erinnert mich daran, dass auch ich ein bisschen Dampf machen muss. Noch ist unser Haus weit entfernt von einem perfekten Zustand, dank des „Erdbeerdilemmas“.

      Dabei ist Edgar ein ambitionierter Hobbydetektiv mit dem Ziel, Karriere als Staub-und Schmutzfinder zu machen. Sein Spezialfachgebiet ist das Entdecken von kaum sichtbaren, hauchdünnen Staubspuren. Die finden sich im Hause Faules immer. Mir fällt meine Freundin, die Küchenspinne ein und ich schaue mal nach, wie es ihr geht. Aber dieses treulose Wesen ist nicht mehr zu sehen. Resolut entferne ich ihr Spinnengewebe mit meinem Staubwedel.

      Jetzt wird Edgar zwar traurig sein, aber es bleiben ihm ja noch genug staubintensive Flächen. Er wird es also verkraften. Vielleicht sollte ich ihm zum Geburtstag mal weiße Glacéhandschuhe schenken. Diese Idee gefällt mir. Sie gefällt mir sogar so gut, dass ich den Notizblock aus der Schublade ziehe und sie aufschreibe. Dann mache ich meine Lieblingsputzmusik an, fege schwungvoll tanzend mit dem Staubwedel über das Sideboard und lasse meine Gedanken wieder schweifen.

      Hoffentlich