Lilian Adams

Eva


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Also brauche ich einen Vorwand, um meine „Schwieschwies“ wieder los zu werden, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Im Restaurant wird heute eine große Gesellschaft erwartet.

      Eigentlich soll Michael unseren Sohn nur zum Turnier fahren. Die Mutter eines anderen Jungen wird Max dann heimbringen. Aber wie ich meinen Mann kenne, trifft er bestimmt noch Hinz und Kunz und schaut garantiert nicht auf die Uhr.

      Ich muss nochmal mit ihm reden. Er soll seinen Eltern endlich sagen, dass ich eine kleine Stelle angenommen habe. Es ist doch mittlerweile selbstverständlich, dass Frauen berufstätig sind. Schon mal was von Emanzipation gehört?

      Heute halte ich nochmal den Mund, denn Michael hat mich beschworen nichts zu verraten. Er sagt, er schäme sich dafür, dass er „seine Lieben nicht alleine ernähren kann“. Genau so hat er das formuliert! Alleine ernähren, wie das schon klingt. Im Keller lagert noch genug Marmelade, dass sich in diesem Haus so schnell niemand vor dem Hungertod fürchten muss.

      Schnell poliere ich die Kuchengabeln und betrachte zufrieden den hübsch gedeckten Esstisch, den ich mit frischen Blumen dekoriert habe. Selbst die Servietten passen zur Jahreszeit und haben kein Weihnachtsmanndekor.

      Für eine kleine Pause reicht die Zeit nicht mehr, denn schon klingelt es an der Tür. Fröhlich fällt der Kuckuck in den Gesang der Klingel ein. „Aha“, denke ich „mal wieder auf die Minute pünktlich“.

      Wie gut, dass es im Hause Faules eine original Schwarzwälder Kuckucksuhr gibt, die hier den Ton angibt. Ein Hochzeitsgeschenk von Michaels Eltern. Ein hässliches Ding! Wie oft schon habe ich mitten in einem spannenden Film eine entscheidende Szene nicht mitbekommen, nur weil dieser blöde Vogel so aufdringlich und zu allem Elend auch noch laut ist.

      Ich hänge die Küchenschürze an den Haken und sehe kurz an mir herunter. Irgendwie komme ich mir heute dicker vor als sonst. Sollte ich etwa schon wieder zugenommen haben?

      Ein Blick in den Spiegel zeigt, dass die Frisur einigermaßen sitzt. Aber es stimmt schon, ich habe meine Haare an den Seiten wirklich ein bisschen zu viel abgeschnitten. Ich grinse noch schnell mein Spiegelbild an, wenn auch nur, um meine Gesichtsmuskulatur zu entspannen, dann setze ich mein herzlichstes Lächeln auf und öffne die Tür.

      „Hast du geschlafen?“, dröhnt Edgars Stimme durchs Haus.

      „Hallo, ihr beiden. Wie schön euch zu sehen“, beginne ich das Treffen gnadenlos mit einer ersten Lüge.

      Diplomatie heißt das übrigens, das weiß ich von Katharina, denn die ist darin Profi. Sie geht ja auch immer ganz in ihrer Rolle als liebenswürdige, besorgte Ersatzmutter auf. Aber das Theater funktioniert bei mir nicht. Die Erinnerungen an meine Mutter sind leider nur noch verschwommen. Ich war noch klein, als meine Eltern den Unfall hatten, bei dem sie ums Leben kamen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die beiden nette, aufrichtige Menschen waren.

      „Edgar, schrei doch bitte nicht so mit dem Kind“, meldet sich Katharina zu Wort. Sie beugt sich vor und haucht jeweils ein Küsschen neben meine Wangen. Das ist die Art, wie man sich in ihren Kreisen seit einiger Zeit begrüßt. Ich habe das mal bei „Germanys next topmodel“ gesehen. Aber Heidi sagt dazu immer noch sowas in der Art „moa“. Das mache ich jetzt auch und Katharina sieht mich irritiert an, gibt aber keinen Kommentar ab. Bestimmt kennt sie die Sendung und schaut sie sich auch regelmäßig an, aber das würde sie nie zugeben. Deshalb verzichte ich darauf, zu fragen und bitte meine „Schwieschwies“ stattdessen ins Wohnzimmer.

      Edgar poltert durch die Tür, bleibt auf dem Absatz stehen, reckt den Hals und schaut Richtung Fenster. Ich trete einen Schritt näher und werfe einen Blick nach draußen, wo ich nichts Besonderes erkennen kann.

      „Hat dir Michael eigentlich gesagt, dass am Montag Leute vorbeikommen, die starkes Interesse an einem TraumHeim haben?“, fragt er. Seine Wangen sind rot, entweder vor Vorfreude oder von dem „Dornfelder Rotwein“, den er sicher daheim noch getrunken hat, um sich auf den Besuch vorzubereiten.

      Ich nicke eifrig. „Geht klar. Ich bin daheim.“ Mein Schwiegervater blickt weiter stur nach draußen. Ich versuche immer noch herauszufinden, warum er das tut, als Edgar den Kopf schüttelt und meint; „Das hätte es früher nicht gegeben!“

      Ich bin ratlos. Anscheinend stehe ich gerade voll auf der Leitung, denn ich weiß beim besten Willen nicht, worauf er hinauswill. „Kannst du nicht wenigstens die Fenster mal putzen, damit man nicht schon von draußen sieht, dass du es mit dem Haushalt nicht so genau nimmst?“ kommt er jetzt direkt zur Sache.

      Ich japse wie ein Fisch auf dem Trockenen und beiße mir fest auf die Unterlippe, um ruhig zu bleiben. ICH WILL KEINEN KRACH! Katharina mischt sich ein; „Ach lass doch das gute Kind“, sagt sie und wedelt mit der Hand, als wolle sie eine Fliege verscheuchen. Ich schaffe es nur mit Mühe zu schweigen, während meine Schwiegermutter ebenfalls das Fenster inspiziert. Ich recke stolz die Brust. Das Fenster ist definitiv nicht schmutzig.

      „Was machst du denn nur den ganzen Tag? Du arbeitest doch gar nicht!“, nörgelt Edgar weiter. „Ist es da wirklich zu viel verlangt, das Haus etwas ordentlicher zu halten?“

      Jetzt reicht es. Ich stemme die Hände in die Hüften und funkele ihn an. Wie gerne würde ich ihm reinen Wein einschenken und gewiss keinen „Dornfelder“, aber ich beherrsche mich und atme stattdessen in den Bauch, so wie ich es gelernt habe. Transformationsatmung nennen das die Yogis.

      „Unsere Gäste fühlen sich bei uns immer wohl. Sie finden es gemütlich hier“. zische ich und bemühe mich selbst dabei noch um einen versöhnlichen Ton. Zusätzlich falte ich die Hände zu einer Raute, eine bewusste Geste des Friedens. „Ich hätte Botschafterin werden sollen, diplomatisch wie ich bin“, denke ich stolz. „Was, in dieses Chaos lädst du Leute ein?“ hackt Edgar weiter auf mich ein. „Du hast ja Nerven!“

      Bevor ich platze und meinen roten Kopf nicht mehr mit der Sommerhitze rechtfertigen kann, verschwinde ich lieber in der Küche und malträtiere die Kaffeemaschine, um Dampf abzulassen. Ich versuche es erneut mit der Atemübung.

      Angeblich soll diese jeden gestressten Menschen in Windeseile zur Ruhe bringen. Aber es funktioniert nicht. Ich brauche DRINGEND einen neuen Ratgeber. Meine Freundin Marie hat bestimmt das Passende für mich auf Lager.

      Um meine Emotionen sofort in den Griff zu bekommen, brauche ich das einzige Mittel, das in einer akuten Nervenkrise wirklich zuverlässig und in Sekundenschnelle hilft: Schokolade.

      Glücklicherweise habe ich sogar erlesene Pralinen im Haus. Eigentlich wollte ich sie verschenken, jetzt versuche ich mit zittrigen Händen die Verpackung aufzureißen und ärgere mich über die Folie, die einfach nicht reißen will. Als sie es endlich doch tut, mache ich mich über die Pralinen her, ohne auch nur nachzusehen, was drin ist und verputze die ganze Schachtel.

      Mir wird plötzlich schlecht, aber immerhin habe ich mich wieder so weit im Griff, dass ich Kaffee und Kuchen ins Wohnzimmer tragen kann. Als sei nichts gewesen, stelle ich die Kanne vorsichtig auf den Tisch. Eigentlich würde ich Edgar die Torte lieber auf direktem Weg und am Stück ins Gesicht drücken, wie bei Dick und Doof. Aber ich begnüge mich mit der visuellen Vorstellung.

      „Ach, der Kuchen sieht aber lecker aus, meine Gute. Hast du den selbst gebacken?“ versucht sich Katharina bei mir einzuschmeicheln. Das funktioniert zwar nicht, aber ich lasse den guten Willen gelten und entspanne mich etwas.

      Edgar schweigt und beißt gierig in den Kuchen. Staunend verfolge ich, wie das halbe Stück in seinem Mund verschwindet. Ich spüre, dass meine Nackenmuskulatur komplett verspannt ist. Auch der altbekannte Kopfschmerz ist schon wieder da. Das hat mir gerade noch gefehlt.

      Lauras großer Auftritt

      Laura, die wie immer den perfekten Zeitpunkt für einen großen Auftritt findet, schlendert inzwischen die Treppe herab ins Wohnzimmer und mich trifft fast der Schlag. Ich bin ja allerhand gewohnt, schließlich ist Laura mitten in der Pubertät, aber das hier geht gar nicht. Ich zähle mal auf: Minirock im Schottenkaro mit Blick auf ihren rosa String, Armeeboots und ein Top, das man kaum als BH, geschweige denn