Lilian Adams

Eva


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      Edgar bekommt Augen wie ein Kugelfisch und Katharina spitzt die Lippen, dass sie nur noch aus Falten zu bestehen scheinen.

      „Hi Omi, hi Opi“ trällert Laura laut, hebt lässig den Arm und winkt ihren Großeltern zu wie Queen Elisabeth persönlich. In den Ohren trägt sie mal wieder die Stöpsel ihres IPods spazieren. Nun schnappt sie sich rasch ein Stück Apfelkuchen und verlässt das Wohnzimmer entspannt tänzelnd, nicht ohne eine Krümelspur zu hinterlassen, mit deren Hilfe Hänsel sofort den Weg aus dem Wald gefunden hätte.

      Katharina sieht ihrer Enkelin fassungslos nach. Dann wühlt sie mit ihrer knochigen Hand in der Handtasche herum und kramt schließlich ein Taschentuch aus blütenweißem Stoff mit Spitzenrand hervor. Ihr Gesichtsausdruck passt mittlerweile in die Aufführung einer klassischen Tragödie. Umständlich faltet sie ihr Tränentüchlein auseinander und tupft sich im Innenwinkel ihres rechten Auges eine imaginäre Träne ab. Gut, vielleicht weint sie ja tatsächlich, aber überzeugend sieht das trotzdem nicht aus.

      Edgar mischt sich ein. „Wie kannst du Laura nur in diesem Aufzug herumlaufen lassen? Reicht euer Geld nicht für anständige Kleidung?“, fällt er über mich her. Bevor ich auch nur den Mund öffnen kann, zetert er weiter; „So was hätte es früher nicht gegeben. Laura sieht ja aus wie eine von diesen Damen, diesen, du weißt schon…“ er japst nach Luft und sein Gesicht verfärbt sich zu einer Farbe in der Schattierung seines geliebten Dornfelder Rotweins. Ich bin empört über seine Aussage, mache mir andererseits aber auch langsam Sorgen um seine Gesundheit. Schließlich leidet mein Schwiegervater unter Bluthochdruck und es wäre schrecklich, wenn er ausgerechnet hier einen Herzinfarkt erleiden würde.

      „Nimm lieber eine von deinen Tabletten“, unterbreche ich daher die Litanei und verzichte darauf, seine boshaften Worte zu kommentieren. Das ist ein Fehler, denn jetzt regt er sich erst recht auf. „Sei nicht so frech zu mir, du, du, du… Wer weiß, von wem Laura all ihre schlechten Angewohnheiten hat. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, heißt es ja immer und unser Sohn ist noch nie so aus dem Rahmen gefallen, wie deine Tochter, dieses Früchtchen.“ Er japst immer noch nach Luft. Langsam aber sicher läuft mir die Galle über und ich muss erkennen, dass es mit meinem diplomatischen Geschick wohl doch nicht so weit her ist.

      Ich bin mittlerweile auf hundertneunundneunzig. Es steht Edgar einfach nicht zu, sich so über seine Enkelin zu äußern, auch wenn er in Bezug auf ihr Outfit Recht hat. Am liebsten würde ich meine Schwiegereltern jetzt hochkant hinauswerfen. Stattdessen schleudere ich Edgar mit zornig blitzenden Augen einen Wortschwall über. „Dein Sohn Michael findet es aber toll, wenn Laura so aussieht“, behaupte ich dreist. „Also wende dich gefälligst an deinen Stammhalter und diskutiere das mit ihm aus!“ schreie ich nun in einer Lautstärke, die sich wirklich nicht gehört.

      Ich merke, dass mir plötzlich unkontrolliert die Tränen über die Wangen laufen und versuche entschlossen, sie mit dem Handrücken wegzuwischen. Meine beiden „Schwiegermonster“ verstummen. Katharina klappt ihre Handtasche auf, zieht ein weiteres Spitzentaschentuch heraus und reicht es mir mit huldvollem Nicken.

      Eine kleine Woge der Zuneigung zu dieser Frau überrollt mich völlig ohne Vorwarnung. „Danke“ bringe ich irgendwie heraus und schnäuze mir die Nase. Meine Schwiegermutter reißt entsetzt die Augen auf. „Wasche es aber bitte bei mindestens 60 Grad,“ schnappt sie. „Und die Spitze muss gestärkt werden, unbedingt!“

      „Wir werden wohl nie auf der selben Welle schwimmen“, erkenne ich. Trotzdem hätte ich Edgar nicht so anschreien sollen, schließlich ist er Gast in unserem Haus, der Vater meines Mannes und der Opa unserer Kinder. Wenn er mich beleidigt, kann ich das wegstecken, aber wenn es um meine Kinder geht, werde ich zur Löwin. Vorsichtig blinzele ich hinter dem weißen, Spitzentüchlein in seine Richtung. Ich hasse Streit, und noch mehr hasse ich mich dafür, dass ich nicht öfter mal auf den Tisch haue und mich durchsetze.

      „Kann ich noch ein Tässchen Kaffee haben?“ will Edgar wissen und hält mir seine Tasse hin. Erleichtert atme ich aus. „Aber natürlich, gerne!“ antworte ich mit einem kleinen Lächeln und schenke mit zitternder Hand ein. Gerade nochmal gut gegangen.

      Besuch von Cherie

      Am nächsten Morgen stehe ich schon bei Sonnenaufgang auf. Obwohl meine Beine wackeln, denn ich bin hundemüde, bin ich optimistisch. Wochentage mag ich sowieso am liebsten. Dann geht Michael auf die Arbeit und die Kinder sind in der Schule. Für mich heißt das, dass ich am Vormittag eine Zeit lang hier absolute Ruhe habe und mir meine Arbeit so einteilen kann, wie ich es möchte. Ich bin erleichtert, dass es gestern dann doch nicht zum Familienkrach kam. Ich finde, das ist mein Verdienst und es macht mich stolz, dass ich einigermaßen Herr der Lage geblieben bin. Auf ein Zerwürfnis mit meinen Schwiegereltern habe ich nun wirklich keine Lust. Nahe genug dran waren wir allerdings.

      Max hat tatsächlich eine Halbzeit gespielt und anschließend gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd, weil er ein Tor geschossen hat. Damit hat anscheinend keiner gerechnet und die Mannschaft hat ihn entsprechend gefeiert. Michael hat sich den ganzen Nachmittag nicht blicken lassen, aber das habe ich ja nicht anders erwartet. Er habe Kunden getroffen und sich mit ihnen unterhalten, war seine vorhersehbare Erklärung. Vielleicht könne er ihnen sogar einen Bausparvertrag verkaufen. Die Leute haben wohl sowas angedeutet. Hoffentlich klappt es, denn die Vermittlungsprovision könnten wir gut gebrauchen. Manchmal ärgert es mich schon, dass wir jeden Cent umdrehen müssen.

      Prinzipiell könnte ich viel mehr zum Familieneinkommen beisteuern und wieder offiziell in einem Restaurant kochen. Mein Traum war es ja schon immer, ein eigenes kleines Restaurant zu haben. Nicht groß, aber exklusiv, mit einer Küche voller frischer Zutaten aus der Region und einer besonders gemütlichen Gaststube. Aber so eine Sache will natürlich gut überlegt sein und lässt sich ohne Geld nicht umsetzen.

      Michael meint, wenn ich mehr Stunden in der Pizzeria arbeiten würde, rentiere sich die Sache nicht mehr, weil der Mehrverdienst fast ganz für die Steuer draufginge, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich so schlimm ist. Da finde ich sein zweites Gegenargument einleuchtender. Die Arbeitszeiten in der Gastronomie sind wirklich nicht für eine Hausfrau und Mutter geeignet.

      Ich bekäme meine Familie wohl nur noch kurz in meiner Pause per Skype zu Gesicht, würde ich wieder als Chefköchin arbeiten. Den Traum werde ich also noch für einige Zeit begraben müssen. Schade, aber ich wollte schließlich Kinder.

      Also beschließe ich, statt zu grübeln lieber in Sachen Familienfrieden aktiv zu werden und mein eigenes „wunderschönes Heim“ mal aufzuhübschen. Dazu schnappe ich mir den grünen Putzeimer mit den Blümchen und beginne, sauber zu machen.

      Leider habe ich meine Lieben viel zu sehr verwöhnt. In Momenten wie diesen verfluche ich mich selbst dafür. Auf dem Wohnzimmertisch stehen die leeren oder halbvollen Gläser von gestern Abend und jede Menge Zeug knirscht unter meinen Füßen. Vorsichtig trete ich noch einmal drauf. Klingt wie Chips. Und ein weiteres Indiz am Tatort bringt die Gewissheit. Der Rest der Packung steht noch auf dem Tisch. Keiner hat daran gedacht, die Tüte zu verschließen. Der Inhalt ist garantiert knatschig. Ich mache den Geschmackstest. Nein, da ist definitiv nichts mehr zu machen!

      Nachbars Hund ist auch schon wieder da. Er mag mich und ist mir ein treuer Begleiter. Wie jeden Morgen hat er mich auch heute am Gartentürchen erwartet, meine Zeitungstour mit mir gedreht und dann nach Hause begleitet. Sein Herrchen lässt ihn immer zum Pinkeln in den Garten und er weiß natürlich auch, wo er seinen Hund findet, falls dieser später nicht auf dem Rasen liegt. Das Loch im Gartenzaun ist ja groß genug. Da passt ein Kamel durch.

      Jetzt liegt Cherie mal wieder laut schnarchend auf unserer Couch, obwohl er da eigentlich gar nicht hin darf. Er weiß das ganz genau, aber anscheinend stört es ihn nicht. Sobald ich die Terrassentür auflasse, wartet er, bis ich um die Ecke bin. Dann kommt er rein und legt sich auf unser Sofa. Obwohl es schon die Höhe ist, dass mir sogar ein fremder Köter auf der Nase rumtanzt, scheuche ich ihn jetzt nicht sofort auf, denn ich liebe diesen süßen Kerl und er sieht niedlich aus, wenn er schläft.

      Jetzt wacht er allerdings gerade langsam auf und sieht mich ziemlich erschrocken an, als