Lilian Adams

Eva


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Annika sah ihr nach. Sie strahlte trotz ihrer fahlen Blässe Eleganz aus, diese Cordula Speyrer, alleine schon, wie kerzengerade sie den Gang entlanglief. Welch ein Unterschied zu all den Menschen, die hier lebten und, sofern sie nicht im Rollstuhl oder mit Hilfe eines Rollators unterwegs waren, auf den Gängen herumschlurften. Annika atmete tief aus, dann beugte sie sich wieder über den Stapel Formulare, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag und bearbeitet werden musste.

      Michael

      Ich liebe meine Familie. Wirklich. Und ich tue ja auch alles für sie, meistens sogar gerne. Arbeite von morgens bis abends, damit es uns gut geht. Ich versuche, ein guter Ehemann und Vater zu sein. Aber manchmal wird mir alles zu viel. Jeder zerrt ständig an mir herum und will etwas anderes.

      Oft würde ich am liebsten einfach in mein Auto steigen und losfahren. Ganz weit fort. Mal eine Woche oder zwei nichts hören und nichts sehen, Das wär´s doch. Einfach mal meine Ruhe haben. Zuhause kriege ich die einfach nicht.

      Wenn ich abends die Tür reinkomme, werde ich meistens direkt von ohrenbetäubender Musik empfangen. Das ist vielleicht ein Krach! Die Kinder liegen faul auf der Couch und tippen auf ihren Handys rum. Wie oft habe ich den beiden schon erklärt, dass der große Flachbildschirm unseres Fernsehers jede Menge Strom frisst und dass es unnötig ist, Musiksendungen einzuschalten, wenn man sowieso nicht hinschaut. Aber wenn ich was sage, verdrehen sie nur die Augen und brummeln: „Ja, Papa, ist gut, Papa.“ Dann mache ich das Gerät aus und am nächsten Tag beginnt das Ganze von vorne.

      Eva kriegt von diesen Unterhaltungen nie was mit. Die steht nämlich in der Küche und rührt in irgendeinem Topf herum, um das Abendessen vorzubereiten. Meistens habe ich gar keinen Hunger. Aber wenn ich ihr sage, sie soll sich nicht so viel Mühe machen, ist sie gleich beleidigt, weil sie gerne kocht und sich einbildet, ihr Essen würde mir neuerdings nicht mehr schmecken. So ein Quatsch!

      Tatsache ist, dass ich langsam anfange, dick zu werden. Wenn ich an mir runtersehe, schaue ich auf einen Bauchansatz und das finde ich eklig. Dicke Bäuche sind was für alte Männer. Und noch zähle ich mich nicht dazu.

      Demnächst werde ich 40 und wenn ich daran denke, graut es mir. Meistens versuche ich diese Sache zu verdrängen. Stattdessen habe ich mich im Fitnesscenter angemeldet, um was für meine Figur und Kondition zu tun. Schade, dass Faules keine Lust hat, mitzugehen. Ihr täte es auch gut. Stattdessen macht sie eine erfolglose Diät nach der anderen und nebenbei stopft sie doch diesen ganzen Süßkram in sich hinein.

      Meine Frau scheint ziemlich oft Langeweile zu haben. Dabei kann sie doch froh sein, dass sie den ganzen Tag daheim sein darf. Wenn ich spät abends müde nach Hause komme, stürzt sie sich regelrecht auf mich, um zu erfahren, was es Neues gibt. Ich finde es ja schön, dass sie sich so für meinen Arbeitsalltag interessiert, aber immer gleich überfallen zu werden, wenn ich noch nicht mal die Jacke ausgezogen habe, geht mir ganz schön auf den Keks. Ich bin noch nicht richtig im Zimmer, schon kommt das obligatorische „hallo Schatz, wie war dein Tag?“ Meistens murmele ich dann irgendwas, am liebsten –gut-, aber das glaubt sie mir dann ja auch wieder nicht.

      Deshalb mache ich in letzter Zeit einen Bogen um die Küche und gehe erst ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Wenn ich mir die Arbeitsklamotten vom Leib gerissen habe, geht es mir gleich viel besser. Aber auch das versteht Eva nicht. Stattdessen beschwert sie sich regelmäßig darüber, dass ich mein Hemd nicht auf den Bügel hänge, sondern einfach aufs Bett lege. Aber mal ehrlich, meistens ist es sowieso verschwitzt und es ist doch wohl nicht zu viel verlangt, wenn sie mal meine Klamotten bügelt. Wo ich mich doch sonst um alles kümmere.

      Heute Morgen bin ich sogar extra früher aufgestanden, damit ich die Kinder in die Schule mitnehmen konnte und Eva noch Zeit hatte, in Ruhe die Zeitung zu lesen, bevor die Leute kamen, die sich unser Haus ansehen wollten.

      Auch so eine Sache, die mir stinkt. Es ist doch nicht normal, dass dauernd Fremde bei uns rumschnüffeln. Wir hätten uns damals gar nicht erst auf diesen Deal mit meinen Eltern einlassen dürfen. Ich weiß doch, wie geschäftstüchtig die beiden sind. Vor allem Mutti. Aber so leben wir wenigstens in einem schönen großen Haus und die finanzielle Belastung hält sich auch noch in Grenzen. Trotzdem finde ich es nicht nötig, dass jeder, der auch nur ein vages Interesse an einem „TraumHeim“ äußert, gleich bei uns rumspazieren muss.

      Ich sollte nochmal mit Mutti darüber reden. Aber in letzter Zeit ist sie irgendwie merkwürdig geworden. Deshalb war es ganz gut, dass ich gestern auf dem Sportplatz die Schultes getroffen habe. Mit etwas Glück machen sie noch einen Bausparvertrag bei mir. Das zusätzliche Geld könnten wir gut brauchen.

      Ich freue mich auf mein Training nach der Arbeit, da kann ich mal so richtig Dampf ablassen. Noch bin ich schlecht in Form, aber das wird sich ändern, dafür werde ich schon sorgen.

      Besuchstermin

      Das Ehepaar, das sich unser Haus angesehen hat, war richtig nett. Ich schätze die beiden so auf fünfundzwanzig, und die Frau ist hochschwanger. Sie sind händchenhaltend von Zimmer zu Zimmer marschiert und obwohl sie sich alles ziemlich genau angesehen haben, war mir das ausnahmsweise mal nicht unangenehm. Es war eigentlich, wie wenn man Freunden zeigt, wie schön man es hat.

      Und dann ist sogar noch etwas Merkwürdiges und irgendwie Rührendes passiert.

      Die Frau hat sich umgedreht, kurz nachdem sie in Lauras Zimmer gelandet war und hatte plötzlich Tränen in den Augen. Ich war natürlich besorgt und habe sie gefragt, ob es ihr gut gehe. Sie hat den Kopf geschüttelt und mir erzählt, dass der Raum sie an ihr eigenes Jugendzimmer erinnert hat. Nur habe es dort viel chaotischer ausgesehen und nicht so aufgeräumt.

      Anscheinend konnte sie aber in meinem Gesichtsausdruck lesen, denn als sich unsere Blicke trafen, hat sie angefangen zu kichern und mit dem Finger ihrer ausgestreckten Hand auf mich gezeigt: „Das waren bestimmt Sie, nicht wahr? Sie haben hier für Ordnung gesorgt, richtig?“ Eigentlich habe ich mich ja ein bisschen geschämt, ertappt worden zu sein, aber dann haben wir beide angefangen zu lachen und sie hat gefragt: „Darf ich?“. Ich habe genickt und die Frau hat sich gebückt und unters Bett geschaut. Da hat sie es gesehen!

      Weil die paar Minuten, die ich nach Lauras Aufbruch heute Morgen hatte, nicht ausgereicht haben, ihr Chaos zu beseitigen, habe ich einfach alles, was ging, unter ihr Bett geschoben und die Tagesdecke so arrangiert, dass man unmöglich erkennen konnte, was sich unter dem Bett angesammelt hat. Und dann kennt diese fremde Frau meinen Trick. Wie peinlich! Sie hat sich mühsam wieder hochgerappelt und plötzlich hielt sie einen langen Ohrring in der Hand, den sie ihrem erstaunten Mann in die Hand drückte. „Der ist mir gerade runtergefallen“, hat sie gesagt und ihn gebeten, das Schmuckstück wieder zu befestigen.

      „Wie gut, dass es bei Frau Faules so ordentlich ist. In einem normalen Kinderzimmer hätte ich den ja nie wiedergefunden.“ Sie zwinkerte mir zu und ich spürte eine Welle großer Sympathie für dieses junge Ding in mir aufwallen. Plötzlich wünschte ich mir, wir wären Freundinnen.

      Wir haben uns sehr nett unterhalten, aber der Clou kommt erst noch. Falls die beiden ein „TraumHeim“ kaufen, werden wir sogar zu Nachbarn, denn in dem Fall kaufen sie das freie Grundstück gegenüber unserer Haustür. Ich hoffe sehr, dass das klappt. Ich sehe mich schon mit der Frau im Garten sitzen, während ein niedliches, pausbäckiges Baby zu unseren Füßen rumkrabbelt und wir beide Kaffee trinken und ein Stückchen selbstgebackenen Kuchen essen.

      Besuch bei Marie in der Buchhandlung

      Heute ist mein Glückstag! Die Kinder waren beim Mittagessen ausnahmsweise mal friedlich und sind gleich danach wieder losgezogen. Max hat Training und Laura ist noch zu ihrer Freundin gegangen, um gemeinsam mit ihr für die Englischklassenarbeit zu lernen. Durch meine frühmorgendliche, intensive Arbeitsaktion bleibt mir jetzt sogar noch genügend Zeit, schnell in die Stadt zu fahren, bevor die beiden wieder nach Hause kommen. Kochen muss ich auch nichts, es ist noch genug Gulasch da, das ich nur noch aufzuwärmen brauche.

      Dann