Martin Romey

KÖRPER-HAFT


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zu lassen, hatte mich vermutlich doch mehr angestrengt, als ich dachte. Ich überlegte, ob ich die militanten Missionierungsversuche von Bruder Martin durch eine andere Religion ersetzten könnte, die ihre Inhalte friedvoller und ruhiger über mich ausschüttete.

      Platzhalter

      Als der interaktive Erziehungsteil um 18:00 Uhr zu Ende ging, begann ich darüber nachzudenken, welche Religion wohl am friedfertigsten und entspannendsten sein könnte. Ein Gedanke, den ich mir wahrscheinlich zum ersten Mal seit Jahren in dieser Form machte. Aus rein intellektueller Perspektive hatte natürlich jede Religion ihren ganz eigenen Reiz. Das Christentum kannte ich jedoch schon aus schulischer und spezifisch christlicher Erziehung bis zu meinem Austritt aus der Kirche im Alter von 18 Jahren. Ich erinnerte mich noch allzu gut an den schockierten Blick meiner Mutter. »Junge das kannst doch nicht tun, Du landest noch im Fegefeuer.« Scheinbar hatte Sie mit etwas Verspätung Recht. Denn der Zustand, in dem ich mich nun 18 Jahre später befand, kam meiner Vorstellung der Vorhölle schon ziemlich nahe. Sie hatte noch hinzugefügt: »Du stürzt uns alle noch ins Unglück!« Ich hatte mich natürlich nicht von ihr aufhalten lassen und amüsiert einen Schlussstrich unter meine Religionszugehörigkeit gezogen.

      Zwei Wochen später starben meine Eltern bei einer furchtbaren Massenkarambolage auf der Autobahn in einer kalten Nebelbank, die laut Augenzeugen völlig unerwartet in Form einer großen Hand über die Fahrbahn strich und jegliche Sicht nahm. Nur drei Minuten später war der ganze Spuk vorbei und hinterließ ein Schlachtfeld von dampfenden und zischenden Blechhaufen, in denen sieben Menschen starben und neun weitere schwer verletzt wurden. Die Worte meiner Mutter echoten damals durch meinen Kopf. »Du stürzt uns noch alle ins Unglück!«

      Ich hatte mir schwere Selbstvorwürfe gemacht und die Katastrophe auch tatsächlich mit meinem Kirchenaustritt in Zusammenhang gebracht.

      Trotzdem war mir eines klar: Wenn ich reumütig in den Schoß der Kirche zurückkehrte, würden meine Eltern auch nicht wieder lebendig. Und wenn dieser Gott so rachsüchtig war, nur weil man aus seinem Verein austrat, wollte ich mit ihm auch nichts zu schaffen haben. Wenn ich aus dem Tennisclub austrete, werde ich ja auch nicht vom Vorsitzenden mit dem Schläger erschlagen!

      Aber weder die Mitgliedschaft im Tennisclub noch mein Kirchenaustritt sollten der Kern meiner Überlegungen sein. Es ging darum, den religiösen Teil des Erziehungsprogramms am Vormittag erträglicher zu machen. Ich war sozusagen auf der Suche nach einem erträglichen Platzhalter.

      Das Christentum kam wegen meiner persönlichen Erfahrungen und aufgrund des Inquisitionsprogramms von Bruder Martin nicht infrage. Wie gesagt, vom intellektuellen Standpunkt haben natürlich alle Religionen ihren Reiz. Aber sicher nicht in dieser fanatisch militanten Darbietung.

      Was mich von jeher gereizt hatte, war die Friedfertigkeit des Buddhismus, der es ohne jegliche »heiligen Kriege« geschafft hatte, eine nennenswerte Schar Anhänger zu finden.

      Wenn man das Schwert eines religiös verbrämten Recken im eigenen Nacken spürt und gefragt wird: »Glaubst Du jetzt an meinen Gott?«, ist die Antwort naheliegend. Dann würde ich nämlich denken: »Wenn Dein Gott Opportunismus mit Vornamen heißt, glaube ich … glaube ich weiterleben zu können und mache mir im Stillen meine eigenen Gedanken.« Wenn es eine Religion jedoch ohne die schlagkräftige Argumentation eines Schwertes schafft, genügend Neugierige um sich zu scharen, dann interessiert auch mich, was dahinter steckt.

      Zum anderen hatte Bruder Martin den Buddhismus als eine esoterische Minderheit bezeichnet und gerade das machte mir diesen Gegenpol besonders schmackhaft. Und falls es mir nicht gefallen sollte, gab es ja noch andere Religionen. Die meisten beziehen sich ja eh auf ein und denselben Gott – auch wenn dies keiner der Glaubensführer offiziell zugeben würde. Schließlich möchte man sich ja nicht die beste USP, die Unique Selling Proposition, verbauen. »Denn nur wo Gott draufsteht, ist auch Gott drin.«

      Aus meiner Sicht sind alle weltlichen Glaubensgemeinschaften die langlebigsten Marken der Welt, die schon seit Jahrhunderten mit einem perfekten Marketing ein überaus virtuelles Produkt verkaufen: das Seelenheil! Und das Perfekte daran ist: Es hat sich noch kein einziger Gläubiger postmortal gemeldet, um sich zu beschweren, dass er es nicht gefunden hatte! Gerade Garantiefälle, wie zum Beispiel ein klemmendes Gaspedal, kosten Unternehmen eine Menge Geld und treue Kunden. Vom Imageschaden einer geplatzten Himmelfahrt ganz zu schweigen!

      Verstehen Sie mich nicht falsch, ich spreche hier von Kirchen, Klöstern, Tempeln und so weiter, nicht von den Religionen an sich. Die Religionen beherbergen den Glauben und das ethisch-kulturelle Gut der Menschheit. Die institutionalisierten Glaubensgemeinschaften hingegen verkaufen dieses Gut ohne Skrupel und streichen eine ordentliche Provision ein. Sie sind die schmierigen Immobilienmakler des Glaubens!

      Ich versuchte das Erziehungsprogramm meines Holo-Flat-Pad auf den Buddhismus einzustellen, scheiterte jedoch kläglich an einer Eingabesperre: »Das Christentum ist von jetzt an ihr Standardprogramm, da sie innerhalb von 24 Stunden keine Änderung vorgenommen haben!« Ich verfluchte Bruder Martin in Gedanken, hatte jedoch eine Idee, wie ich Ihn vielleicht austricksen könnte.

      Das lange Liegen machte meinem Rücken schwer zu schaffen. Man gab uns zwar Blutverdünnungsmittel, um Thrombosen zu vermeiden, und ließ uns von unseren Betten durchwalken, aber mein Rücken nahm das gerade Liegen wohl ziemlich krumm.

      Mein Wunsch früh einzuschlafen, um am nächsten Tag wieder geistig frisch zu sein, ging in Erfüllung und mündete in einem traumlosen Schlaf.

      Fluchtwagen

      Ich machte die Augen auf und sah auf meinem Holo-Flat-Pad die Zeit: 5:30 Uhr. Dass Zimmer lag noch im Dunkeln. Ich grinste innerlich. Wenigstens das funktionierte noch. Bevor ich einschlief, hatte ich mir die Uhrzeit eingeprägt, um pünktlich aufzuwachen. Und dass funktionierte wirklich fast immer, wenn ich genug Schlaf bekommen habe. Mein innerer Wecker schob mich dann aus dem Reich der Träume sanft ins echte Leben. Nur, dass das echte Leben nicht sanft zu mir war. Mein Rücken schmerzte immer noch. Ich versuchte mich vollends wach zu räkeln, doch diese Bemühungen wurden von meinem regungslosen Körper sofort im Keim erstickt. Kein Räkeln, kein Ruckeln, nicht einmal den Kopf konnte ich zur Seite bewegen. Nur das Heben und Senken meines Brustkorbes konnte ich beeinflussen. Und so lauschte ich einfach meinem eigenen Atem, starrte auf das Holo-Flat-Pad über mir und wartete darauf, dass mir das sonnengebräunte Gesicht von John Mc Lay ein kraftvolles »Gooood mooorning« entgegen schmettern würde. Vielleicht half die Bewegung und meinem Rücken ging es danach wieder besser. Um mir die Zeit zu vertreiben, wollte ich gerade einen weiteren Anlauf machen, das religiöse Erziehungsprogramm auf Buddhismus umzustellen, als ich hörte, wie leise die Tür geöffnet wurde. Ich versuchte die Augen soweit zu verdrehen, dass ich die Tür ins Blickfeld bekam. Der weiße Balken der Flurbeleuchtung wurde breiter und zwei Gestalten huschten lautlos herein.

      Was sollte das!? Kam jetzt die judäische Befreiungsfront mit dem Fluchtwagen oder das Ninja-Duo der Assassinen-Gilde?

      Dann fingen die beiden zischelnd an zu tuscheln: »Pssst! Sei leise.«

      »Bis gerade eben war alles leise«, erwiderte der andere.

      »Ok, ok«, zischelte die erste Stimme.

      »Lass uns einfach die Nr.7 schnell rausfahren, bevor er anfängt zu stinken und die anderen wach werden. Dass er so schnell hier rauskommen würde, hätte er vermutlich nicht gedacht.«

      »Vor allem nicht mit den Füßen voraus«, meinte der andere sarkastisch.

      »Wir müssen nachher unbedingt Professor Marquez anrufen und ihm sagen, dass etwas schief gelaufen ist.«

      »Jaja,,aber bis der Herr Professor aus dem Bett gekrochen ist, denke ich schon wieder ans Abendessen.«

      »Jetzt mach mal lieber die Stecker von Startnummer 7 raus und mach seinen Fluchtwagen klar.«

      »Bin ja schon dabei«, hörte ich wieder die erste Stimme.

      Dann