Günther Klößinger

Schnee von gestern ...und vorgestern


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Dorf? Das sind gerade mal zehn Häuser!“

      „Da finden wir bestimmt was!“

      „Na, das wird dann garantiert ein höchstmondäner Urlaub!“, seufzte Ilka und ließ sich mit gespielter Leidensmiene tiefer in ihr Sitzpolster sinken.

      „Klar, typisch französisch“, gab Fox zurück, „überall duftet es nach Kanal No. 5, zum Dessert gibt’s Maus au Chocolat …“

      „… und ein achtzigjähriger Kellner verführt die junge, unerfahrene Urlauberin!“

      Fox musste so lachen, dass fast sein Fuß vom Gaspedal gerutscht wäre. Flink schaltete er herunter und fuhr auf Höhe des ersten Hauses an den Straßenrand. Nachdem er sich seine Lachtränen aus den Augen gewischt hatte, sah er Ilkas Zeigefinger, der direkt auf das Gebäude wies.

      „Guck mal!“, sagte sie und ihr Tonfall klang plötzlich wieder aufmunternd.

      Fox sah aus dem Seitenfenster und erblickte ein Werbeschild, das mit Jugendstil imitierenden Lettern den Namen des Anwesens verriet: „Pension du Joli Bois“.

      Er konnte es nicht fassen. Am liebsten wollte er seinem Begleiter den Feldstecher reichen und flüstern: „Sieh dir das mal an!“, doch noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass er allein gekommen war. Er bemühte sich, einen günstigeren Winkel für das Fernglas zwischen Gestrüpp und Zweigen zu finden. „Nur nicht wie ’n Wildschwein durchs Gehölz brechen!“

      Mit der freien Hand schlug er sich leicht auf den Mund, war ihm das nun rausgerutscht oder waren die Worte noch in seinem Kopf hängengeblieben? Er war nicht weit von dem Anwesen der Göre entfernt. Der Wind trug ohnehin schon den Duft seines schweißgetränkten Unterhemds hinüber zum Gehöft. Er ging weiter in die Hocke und drehte mit einem kleinen Rädchen das Bild in den Okularen schärfer.

      „Was zum Donner geht da vor sich“, murmelte er. Dann hielt er erschrocken inne. Diesmal hatten seine Ohren die eigene Stimme zweifelsfrei wahrgenommen, noch während er die Worte dachte. Er rang um Konzentration und betrachtete verständnislos das Treiben auf dem Hof: Einige junge Kerle und Gören trugen ein Schlagzeug und Gitarren in die Stallungen. Andere, fremdländisch aussehende Männer und Frauen – „Kanacken!“, dachte er bei sich – luden Werkzeug, Farbeimer und Tapetenrollen aus einem Kleinwagen.

      „Ich hab doch gleich gesagt, wir sollten sie kaltmachen!“, stellte der Mann im Gebüsch fest. Zufrieden registrierte er, dass kein Laut über seine Lippen gekommen war. Er konnte in keiner Weise einordnen, was da passierte, aber nach Depressionen infolge eines Mordanschlags sah das bunte Treiben auf dem alten Bauernhof nicht gerade aus – eher nach einer ausgelassenen Einzugsfete.

      „Hallo Penny!“, rief Jasmin der Detektivin fröhlich entgegen, als diese aus ihrem Auto stieg. Die beiden umarmten sich herzlich, dann öffnete Penny den Kofferraum. Mehrere prall gefüllte Plastiktüten lagen darin.

      „Hoffentlich ist Jeannies Kühlschrank groß genug!“, überlegte Penny laut. Sie beugte sich noch im selben Atemzug über die gekauften Lebensmittel und ging daran, eine volle Einkaufstasche aus dem Kofferraum zu hieven.

      „Warte doch, ich helf’ dir!“, sagte Jassy, trat heran, bückte sich und schon verschwand auch ihr Kopf unter der geöffneten Heckklappe. Verwundert bemerkte Jasmin, dass Penny sich einen Zeigefinger auf den Mund legte.

      „Was ist …?“, begann Jassy, aber Petra Roth unterbrach sie: „Psssssssssst!“

      Jasmin hielt inne und sah Penny nur fragend an.

      „Irgendwer beobachtet euch!“

      Bestürzung trat in Jasmins Züge, fassungslos öffnete sie den Mund, aber etwas hinderte sie daran, die Frage auszusprechen.

      „Als ich hierherfuhr, fiel mir ein merkwürdiges Blinken im Gebüsch auf.“

      „Ja, und?“

      „Als ich dran vorbei war, habe ich im Rückspiegel unterhalb des Blinkens zwei knallrote Turnschuhe gesehen.“

      „Du meinst also …“

      „Genau!“, unterbrach Penny ihre Freundin. „Da linst jemand mit einem Fernglas oder einem Fotoapparat herüber. Und er will auf keinen Fall entdeckt werden. Zu seinem Pech reflektiert Glas das Sonnenlicht.“

      „Und was sollen wir jetzt machen?“

      „Erst mal nichts!“, erwiderte Penny und hob ächzend die Tasche aus dem Kofferraum.

      Jasmin tat es ihr gleich und beide schleppten übervolle Tüten in Richtung Hauseingang. Der stämmige Mann mit krausem, dunklem Haar, der gerade damit beschäftigt war, die Scharniere wieder an Haustür und Türstock zu befestigen, ließ augenblicklich die Schraubenzieher fallen. Er rannte flugs auf Penny und Jasmin zu und nahm ihnen die schweren Lasten ab.

      „Emanzipation gut“, knurrte er, „aber nicht bis Leistenbruch!“

      Verdutzt sahen die Freundinnen dem Mann nach, als er die Taschen ins Haus trug.

      „Das ist Mehmet!“, bemerkte Jasmin knapp.

      „Angenehm, Roth, äh, Penny!“, stammelte die Detektivin perplex, stellte dann aber fest, dass der resolute Türke bereits außer Hörweite war. Achselzuckend ging sie weiter, betrat mit Jasmin das Haus und bemerkte erstaunt, dass Mehmet bereits wieder aus dem Keller zurückkam.

      „Schon alles verstaut?“, fragte Jasmin verblüfft.

      „Emanzipation gut“, antwortete Mehmet mit verschmitztem Lächeln, „aber Ordnung in Kühlschrank Sache von Hausfrau!“

      Penny blickte ihn strafend an, doch ihr Gegenüber entgegnete mit einem vollkommen entwaffnenden Lachen: „Ich meine: Frau des Hauses!“

      „Schon besser“, lächelte Penny zurück. Sie ging auf ihn zu und gab ihm die Hand.

      „Ich bin Penny!“

      „Mehmet!“

      „Ich weiß!“

      „Wenn du alles weißt, vielleicht auch du weißt, wer Spanner im Gebüsch?!“

      Penny pfiff anerkennend durch die Zähne und fragte: „Bist du sicher, dass du kein Detektiv bist, Mehmet?“

      „Ich 007 aus Ankara!“, witzelte Mehmet und schob mit gespieltem Stolz seine Brust vor.

      „Wir sollten trotzdem überlegen, was wir tun!“, schlug Jasmin ungeduldig vor, als plötzlich ein markerschütternder Schrei das Gemurmel der Helfer vor dem Haus durchbrach. Augenblicklich wurden Jasmin und Penny bleich. Mehmet wirkte nur noch wie ein bereits verschluckter Scherzkeks.

      „Was war das?“, stammelte Penny.

      „Ein neuer Anschlag? Penny, Mehmet, wir müssen …“ Weiter kam Jasmin nicht. Die erst provisorisch befestigte Haustür schwang auf, die Scharniere und Schrauben beschlossen, ihr Bestes zu geben und nicht erneut herauszuspringen. Eine schlanke, große Gestalt stand im Türrahmen, ein triumphierendes Lächeln im Gesicht. In ihrer Hand hielt sie einen kleinen, kantigen Gegenstand, den sie den dreien entgegenstreckte.

      Jasmins Gesicht entspannte sich etwas. „Mensch, Yasemin, war das ein Schock! Hast du so geschrien?“

      „Nee“, gab das große Mädchen Kaugummi kauend zurück, „das war der Spanner!“

      „Aber woher … wusstest du von dem Kerl?“, stammelte Penny.

      „Erstens habe ich Augen im Kopf“, Yasemin unterstrich ihre Rede mit einer selbstbewussten Kopfbewegung, „und außerdem gibt mir Mehmet manchmal praktische Tipps!“

      „Und was ist jetzt mit dem Typen?“, fragte Jasmin ihre kurdische Namensvetterin.

      Yasemin hielt grinsend den Gegenstand hoch. Es handelte sich um einen kleinen Handspiegel.

      „Damit“, sagte sie, „habe ich ihm ein paar Sonnenstrahlen direkt in die Linse umgeleitet. War anscheinend volles Bingo!“

      „Hat