Günther Klößinger

Schnee von gestern ...und vorgestern


Скачать книгу

war er aber schon zu weit entfernt … und außerdem: Du bist hier die Detektivin, oder?“

      „Stimmt!“, erwiderte Penny lächelnd. „Und was bist du?“

      „Der Spannerschreck!“, gab Yasemin grinsend zurück und produzierte eine überdimensionale Kaugummiblase.

      Fox schwieg und konzentrierte sich auf den Café au Lait, der vor ihm stand. Verstohlen warf er einen Blick zu Ilka hinüber. Sie saß ihm gegenüber und bemühte sich, nicht allzu gereizt zu wirken. Kaum zu fassen, aber das „Joli Bois“ war ebenso ausgebucht wie alle Pensionen, bei denen sie zuvor ihr Glück versucht hatten.

      „Wenn sogar hier, am Abgrund zum Arsch der Welt, nichts zu wollen ist“, hatte Prancock mit wachsender Resignation genuschelt, „dann sollten wir wohl besser die Brücken der Umgebung abklappern.“

      Wenigstens einen Kaffee wollten sie sich in der Lounge – ein etwas protziger Name für das Esszimmer des kleinen Etablissements – gönnen, um sich für die weitere Suche zu stärken. Zu Fox’ Verwunderung hatte Ilka nichts dagegen gehabt, obwohl der Nachmittag unbarmherzig voranschritt und weit und breit kein Quartier in Aussicht war. Ilka hatte das „Pardon!“ des Mannes an der Rezeption bereits aus dessen Mienenspiel lesen können, bevor er es ausgesprochen hatte. Fox’ Frust weckte in ihm die Lust, seinen Kaffee mit Cognac zu veredeln. Verstohlen blickte er sich um. Niemand nahm Notiz von ihm. Mit geübter Hand griff er in die Tasche des Trench, den er über die Stuhllehne gehängt hatte, schnappte sich den Flachmann, öffnete ihn mit einer einzigen Handbewegung und wollte einen Schuss Weinbrand in seine Tasse kippen, als er stutzte: Das Fläschchen war leer. Eine Tatsache, die nicht gerade ein Gefühl der Freude in ihm weckte.

      „Sei froh, dass es leer ist!“, sagte Ilka.

      Fox sah hoch und blickte seiner Freundin ins Gesicht: Sie hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und hielt mit zarten, leicht gespreizten Fingern ihre Tasse in Höhe des Kinns, schlürfte etwas heraus und blies dann ein Sahneklümpchen von einer Seite der Tasse zur anderen. Versonnen blickte sie in ihren Kaffee, dann zu Fox. Ihr Lächeln vertrieb jeglichen Appetit auf Cognac, aber dennoch: Fox fühlte sich ertappt.

      „Wieso?“, brummte er. „Auf unsere erfolgreiche Quartiersuche könnten wir ja wohl anstoßen, oder?“

      „Schon“, meinte Ilka, „aber nicht damit!“

      Verdutzt beäugte Fox das Fläschchen genauer. Der Werbeschriftzug von „Caramelle No. 5“ prangte mit unnachahmlicher Eleganz auf dem Glas. Ilka konnte sich nur mit Mühe zurückhalten. Um den Lachanfall zu unterdrücken, trank sie einen weiteren Schluck Kaffee.

      „Dein Parfum?“ Fox war verwirrt. „Aber wie …?“

      „Na, Herr Kommissar, eines Tages klaut man Ihnen noch die Kanone aus dem Schulterhalfter!“, stellte Ilka triumphierend fest.

      „Wann hast du die Flaschen denn vertauscht?“, wollte Prancock wissen.

      „Rate doch mal!“

      Trotz seiner Verwirrung verschlang Fox Ilka fast mit den Augen: Wenn sie dieses spitzbübische Lächeln zu ihm herüberschickte und der Schalk aus ihren Augen sprühte, fand er sie mehr als nur unwiderstehlich. Die Aura, die nachmittägliche Sonnenstrahlen, durch Fensterglas gebündelt, in Ilkas Haar zauberten, verlieh ihr die Ausstrahlung einer pfiffigen Jeanne d’Arc, die gerade den Engländern eins auswischt.

      „Sag schon!“, wurde Fox etwas ungeduldig, trommelte mit den Fingern der linken Hand leise auf der Tischplatte, während er mit der rechten Ilkas Arm streichelte. Diese stellte ihre Tasse ab, lehnte sich zurück und ergriff Fox’ Hand.

      „Beim Küssen“, flüsterte sie ihm zu, indem sie sich wieder nach vorn beugte, „bevor wir hier rein sind!“

      Fox musste nun ebenfalls über das ganze Gesicht grinsen. „Nun“, sagte er, „die meisten Taschendiebe küssen mich nicht unbedingt. Also keine Gefahr für meine Knarre. Soll ich schon mal zahlen?“

      „Gute Idee!“, meinte Ilka und trank ihren Kaffee aus.

      Fox griff in seine Gesäßtasche und wollte den Geldbeutel zücken, fand ihn aber nicht. Fragend blickte er zu Ilka, die ihm sein Portemonnaie entgegenhielt und ihm verführerisch zuhauchte: „Ich liebe solche langen Küsse!“

      Beide mussten so laut herausprusten, dass ihr Gelächter die übrigen Gäste in der sogenannten Lounge aufblicken ließ. Mit Tränen in den Augen winkte Fox dem Kellner. Statt diesem trat der Herr, der ihnen noch aus der Rezeption bekannt war, an ihren Tisch.

      „Pardon“, sagte Fox, „wir wollten die Ruhe des Raums nicht stören!“

      „Oh, kein Problem!“, erwiderte der Mann. „Aber ich habe eine gute Nachricht für Sie: Ein Gast musste überraschend abreisen – Sie könnten sein Zimmer haben!“

      Verblüfft sahen Ilka und Fox den Portier an.

      „Sie müssten nur eine Stunde warten, bis der Zimmerservice den Raum so weit fertig hat. Sie verstehen?“

      „Natürlich“, sagte Ilka und lächelte den Hotelangestellten so charmant an, dass Fox die rasende Eifersucht in sich kaum bremsen konnte.

      „Möchten Sie in der Zwischenzeit vielleicht etwas ausgiebiger speisen? Unsere Tageskarte sieht Coq au vin vor!“

      „Ich glaube, wir auch!“, sagte Prancock, nachdem er Ilkas zustimmendes Nicken registriert hatte.

      Der Portier bedankte sich und verschwand mit einer kurzen Verbeugung in die Küche.

      „Das war’s jetzt aber endgültig mit dem Stress“, stellte Ilka mit erleichtertem Seufzen fest, „nun ist aber wirklich Urlaub!“

      Jeannie sah sich um: Die Ordnung in ihrem Wohnzimmer war wiederhergestellt, nichts erinnerte mehr daran, dass sie hier fast umgebracht worden wäre. Die Regale standen wieder an ihrem Platz, in ihnen waren Bücher aufgereiht, als wären sie nie herausgenommen worden. Bilder und Poster hingen wieder an den Wänden. Ihr größter Schatz, die Kristallkugel, war wie durch ein Wunder heil geblieben und ruhte wieder auf ihrem roten Samtkissen. Die Überreste zerfetzter Poster hatte Mehmet bereits zum Papiermüll gebracht. In der Diele waren Nick und Robert mit dem Übermalen der Hetzparolen an den Wänden beschäftigt. Penny räumte mal hier, mal da ein wenig herum, blieb aber plötzlich vor einer noch nicht übertünchten Wand stehen, las die üblen Sprüche und erstarrte. Ihr Gesicht wurde immer finsterer, eine lange Denkfalte zog sich über ihre Stirn, dann pfiff sie durch die Zähne.

      Robert rückte seinen missglückt gefalteten Papierhelm zurecht und auch Nick unterbrach die Streicharbeiten.

      „Kommt mal her!“, rief Penny den Jungen zu, ohne den Blick von der Wand abzuwenden.

      „Was gibt’s denn?“, fragten die beiden und gingen zu der Detektivin.

      Penny blickte die zwei gesprenkelten Nachwuchsmaler an und deutete auf die Graffitis.

      „Ja, und?“, fragte Nick. „Sind halt Faschosprüche!“

      „Sicher“, meinte Penny, „aber ich habe den Eindruck, wir haben es hier nicht mit einem dumpfen, primitiven Mob zu tun, sondern mit einer intelligent geplanten Aktion!“

      „Quatsch“, widersprach Nick, „solche Schlägertypen sind doch nur Dumpfbacken und Dünnbrettbohrer!“

      Energisch schüttelte Penny den Kopf, wobei sie mit dem Zeigefinger auf einen bestimmten Spruch deutete: „Asylanten sind biologisch abbaubar!“

      „Ihr könnt sagen, was ihr wollt, Nick: Dumpfbacken schreiben vielleicht ,Kanacken raus‘, ,Ausländerpack‘ oder ,Araberfotzen killen‘, aber dieser Spruch deutet auf einen differenzierteren, wenn auch perversen Humor hin. Ich glaube, hier will nur jemand den Eindruck erwecken, dass da hirnlose Schläger am Werk waren.“

      „Aber wozu denn das?“, schaltete sich Robert ein.

      „Um etwas zu vertuschen!“

      „Und was?“

      „Wenn