Günther Klößinger

Schnee von gestern ...und vorgestern


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Kunst ist in“, bemerkte Jeannie, an ihre Freundin gewandt, „dafür würde mancher Kunstliebhaber bestimmt einiges hinblättern ... wenn du dem Ganzen einen höchst intellektuellen Titel geben würdest – ,Regenfänger der Wahrheit‘ oder so ...“

      Jessica spielte die Gekränkte. Sie verschränkte die Arme. Eine Kunstpause folgte. Mit der Grazie einer Diva aus der frühen Tonfilmzeit hob sie das Kinn und parlierte drauflos: „Erstens ist das Werk nicht ,gegenstandslos‘, wie Madame es nennen, und zweitens hat es einen Titel!“

      „Nicht gegenstandslos?“, fragte Jeannie verwundert. Sie trat näher an Jessys Werk heran. Die Künstlerin ging gnädigerweise etwas zur Seite und blickte die offensichtliche Banausin gönnerhaft an. Nun war es an Jeannie, den Kopf schräg zu halten, leicht die Augen zusammenzukneifen, den Blick in den Wogen und Strudeln aus kräftigen und zarten Farben zu versenken. Und: Voilà – das Bild war tatsächlich nur auf den ersten Blick ein reines Wirrwarr gemeinsam gut wirkender Farben. Betrachtete man das Spiel der geschwungenen Linien und der scheinbar zufälligen Kleckse genauer, konnte man etwas erkennen, das sich richtiggehend aus diesem kolorierten Tohuwabohu herausschälte: ein fröhliches, freundliches und zuversichtliches Gesicht.

      „Fehlt nur noch, dass es mich anzwinkert!“, dachte Janine bei sich. Ihr Blick verweilte fasziniert auf dem Porträt, das ihr merkwürdig vertraut vorkam.

      Jessica begann, ihre Arbeit zu erklären, auch wenn Jeannie sie gar nicht darum gebeten hatte.

      „Das Thema hieß ,Meine beste Freundin‘ oder ,Mein bester Freund‘ – nett, wie unser Kunstpauker nun mal ist, konnten wir uns das wenigstens aussuchen. So, und nun rate mal, wer dich da anguckt!“

      „Robert?“, fragte Jeannie spitzbübisch. Natürlich hatte sie Jasmins Züge mittlerweile eindeutig erkannt.

      „Der war damals noch Jassys Freund“, stellte Jessica trocken fest, „aber ich seh schon, du willst mich verarschen!“

      „Nein, nein!“, warf Jeannie Jessy ein Lächeln zu. Dann kniff sie ihr freundschaftlich in den Arm. Sie wollte sich bedanken, fand aber die richtigen Worte nicht schnell genug, um Jessicas weitere Ausführungen zu stoppen.

      „Na ja, der Müller, unser Lehrer, hat beim ersten Blick auch gedacht, ich wollte ihn verschaukeln – aber nachdem er seine Brille gerade gerückt und noch einmal genau hingeschaut hatte, stand meine Note schon fest. Wochen später hat er mich dann angequatscht, ob ich ihn nicht auch mal so malen könnte. Er wollte so ein Porträt seiner Frau schenken!“

      „Und – hast du’s gemacht?“, fragte Jeannie.

      Jessica nickte ganz aufgeregt. „Klar, das Werk war allerdings noch genialer: Man konnte im Farbspiel wahlweise Herrn Müller oder ein Nashorn erkennen. Ich hab mich einfach auf die alte psychologische Weisheit verlassen, dass die Menschen nur das sehen, was sie auch sehen wollen!“

      Jessy machte wieder eine bedeutungsschwangere Kunstpause. Sie atmete mit einem theatralischen Seufzer ein, um zu signalisieren: „Na los, frag schon weiter!“

      „Hat’s geklappt?“, wollte Jeannie auch prompt wissen.

      „Ein schadenfrohes Grinsen, gepaart mit unwiderstehlicher Unverfrorenheit blitzte aus Jessys Augen. Jeannie konnte nicht mehr anders und begann zu kichern. Jessy erzählte weiter: „Müller war total begeistert, als er das Bild sah. Er schenkte mir eine riesige Schachtel Pralinen – na ja, Kohle wäre mir lieber gewesen – und packte mein Werk freudestrahlend in seine Aktentasche. Als wir in der folgenden Doppelstunde damit beschäftigt waren, irgend so ’n tödlich langweiliges Stillleben zu pinseln, bemerkte ich, wie er das Bild immer wieder hervorzog und anhimmelte.“

      Jeannies Lachen konnte sich nicht mehr hinter dem Zwerchfell verstecken. Sie prustete laut heraus, und auch Jessica hatte Mühe, den Rest der Erzählung noch deutlich zu artikulieren: „Richtig angeschmachtet hat er es – oder vielmehr sich selbst. Den verzückten Gesichtsausdruck hättest du mal sehen sollen. Ach, was heißt da ,verzückt‘ – ,entrückt‘ müsste man sagen. Na ja, ab dem nächsten Tag sah er mich allerdings nur noch verstört und peinlich berührt an und ’ne Eins hab ich bei ihm auch nie mehr bekommen ...“

      „Was wohl deutlich macht, welchen Teil des Kunstwerks seine werte Gemahlin in dem Bild gesehen hat!“, sagte Jeannie, nachdem sie ihren Lachanfall beendet hatte. Ein unkontrollierbares Kichern spukte aber immer noch durch ihre und Jessys Stimme. Sanft nahm Janine die Freundin in die Arme. Jessy hatte ihr nicht nur ein Bild geschenkt, sondern auch das Lachen in ihre Wohnung zurückgebracht. Die Schatten der Erinnerung lagen sicherlich auch noch darin, doch schienen sie inzwischen weniger bedrohlich als zuvor.

      „Emanzipation gut“, tönte es da von der Tür her, „aber Frau auch soll umarmen lieben Mann!“

      „Sag mal“, fragte Fox, der große Mühe damit hatte, seine Hemden in ein Fach des kleinen Schrankes zu stapeln, „wie stellst du es nur an, dass dir deine T-Shirts nicht gleich wieder entgegenfliegen?“

      Ilka hatte ihre Kleidungsstücke ordentlich im eigenen Teil des Hotelschranks verstaut und wandte sich Prancock grinsend zu: „Gelernt ist gelernt! Ach, und übrigens“, ihre Stimme nahm einen leicht bedrohlichen Unterton an, „diese T-Shirts“, wie du sie nennst, sind höchst edle Oberteile. Sogar meine absolut noble weiße Bluse hab ich dabei!“

      „So was hatte ich zum letzten Mal bei meiner Konfirmation an!“, grummelte der Kommissar.

      „Soso“, stichelte Ilka weiter, „du hattest an deiner Konfirmation also eine Bluse an!“

      „Ich dachte, Blusen sind out und altmodisch, Kätzchen!“

      „Sind sie auch“, seufzte Ilka, „aber wenn man mit einem Mann deines Alters unterwegs ist ...“ Sie konnte den Satz nicht mehr beenden, denn ein wild zusammengeknäultes Paar Männerstrümpfe traf sie ins Gesicht.

      Sie sah so verdutzt drein, dass Prancock schallend lachen musste. Das wurde allerdings von einem modischen Top gestoppt, das seine Freundin ihm genau auf den Mund warf. Es flogen noch einige Neckereien und Kleidungsstücke hin und her, aber nach einer weiteren Viertelstunde hatten die beiden die Schlacht beendet und ihr gesamtes Gepäck verräumt.

      „Sieh mal einer an“, stellte Fox fest, „hier gibt’s sogar ’nen Safe für deine Wertsachen!“

      „Du kannst ja deinen Flachmann darin einschließen!“

      „Dafür ist das Ding hier nicht sicher genug, glaube ich! Aber für deine Brillanten könnte es reichen.“

      Ilka lächelte und trat an den Hotelsafe. Noch nie hatte sie so ein Behältnis benutzt, einfach deswegen, weil sie keine entsprechenden Wertgegenstände besaß. Ausweispapiere und Brieftasche trug sie lieber bei sich.

      „Wenn da jemand deine Klunker rausklaut, weigert sich jede Versicherung zu zahlen!“, bemerkte Fox.

      Ilka wollte die Sicherheit des Safes nun auch einmal überprüfen. Sie drehte den Schlüssel. Ein ungesundes Ächzen erklang und die Fronttür des kleinen Schließfachs klappte auf – viel zu schnell und leicht, wie Ilka befand. Ein prüfender Blick offenbarte außerdem, dass das Türchen nur noch an einem Scharnier hing und nun schräg hin- und herbaumelte.

      „Was da schon alles drin gelegen haben mag?“, sprach Ilka ihre Gedanken versonnen aus und blickte in das angeblich sichere Aufbewahrungsfach.

      „Kondome, Ledermasken, Peitschen, Pornos ...“, machte Fox einen seiner üblichen Prancock-Witze und erwartete schon Ilkas anklagendes „Männer!“, doch es kam nicht. Verwundert sah er seine Freundin an.

      „Ist was?“ Da bemerkte er Ilkas faszinierten Blick, der auf dem Safe ruhte. Nun wurde der Polizist in ihm neugierig: „He, Kätzchen, was gibt’s denn?“

      Ilka griff in das Schließfach und zog etwas heraus. Verständnislos sah Fox den Briefumschlag an. „Hat da jemand seine Rechnung liegen lassen?“, fragte er, mehr an sich selbst gerichtet.

      Ilka hielt ihm das Kuvert hin. Nun stockte auch ihm der Atem. Eine krakelige Handschrift,