Hubert Schem

Verrückt in Bonn


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dienen - er müsste schon am ersten Tag scheitern, Herr ...."

      "Busch."

      Er hatte sich tatsächlich überrumpeln lassen. Sie sah, dass sich über das zarte Rot seines Gesichts eine zusätzliche Rotschicht gelegt hatte und wartete ab, wie er sich einfangen würde.

      "Verdammt ... Verzeihung... nun gut, meine Name ist also Busch. Sie hätten ihn wahrscheinlich sowieso innerhalb der nächsten halben Stunde erfahren. Wir wollen ja hier keinen Agententhriller spielen. Verkürzen wir das Verfahren also. Ich bin Abteilungsleiter im Innenministerium und in dieser Eigenschaft auch Kontaktmann zum Kanzleramt. Verfassung, innere Sicherheit und vieles mehr. Ihr Einsatz hier hätte im weiteren Sinne damit zu tun. Zuvor gestatten Sie mir aber noch eine Frage."

      Sie bemühte sich, ihre Spannung nicht zu zeigen, sah ihn freundlich an und wartete stumm ab. Er suchte sichtlich nach den angemessenen Wörtern. Schließlich fuhr er in einem suggestiven Tonfall fort: "Die Aufgabe ist nicht nur eine beispiellose Herausforderung, sondern auch in jeder Hinsicht delikat."

      "In jeder Hinsicht? - Heißt das, es wird nicht nur der Einsatz meines Kopfes verlangt? " Jetzt war ihr das Blut zu Kopf gestiegen. Sie ärgerte sich maßlos und überlegte, ob sie einfach aufstehen und die Angelegenheit damit beenden sollte. Das ausgerechnet ihr, der kompromisslosen Kämpferin für die radikale Selbstbestimmung der Frauen!

      "Nein, nein, nicht in diesem Sinne natürlich. Delikat würde Ihre Kommunikationssituation sein. Sie dürften niemandem vertrauen, solange es kein eindeutiges Ergebnis gibt, auch nicht den Mitgliedern des kleinen Teams, mit denen ich sie für einige Zeit zusammenspannen möchte. Bedenken Sie, jede und jeder hier im Bonner Regierungsapparat und seinem Umfeld kann die Quelle oder ein Zufluss jenes unterirdischen Stroms sein - wenn Sie mir diese Metapher gestatten -, der meiner Ansicht nach die Grundfesten unserer Republik bedroht und ein bleibendes Chaos anrichten kann."

      Im letzten Moment schluckte sie eine kesse Bemerkung über den Charme des Chaos hinunter und schwieg. Auch Busch schien sein Pulver verschossen zu haben und widmete sich schweigend dem farblosen Inhalt seines Glases. Schließlich ergriff sie wieder die Initiative: "Sie fragen mich gar nicht nach meiner Einstellung zu unserem Staatswesen, Herr Busch, werde ich dazu noch in einem besonderen Verfahren geprüft?"

      "Nein, nein, wir wissen, dass Sie ziemlich kritisch sind. Aber: wer offen Missstände kritisiert, dem ist der Staat nicht gleichgültig und der plant nicht insgeheim den Umsturz. Ihre Einstellung ist gerade richtig. Und damit sind Sie eingestellt."

      Sie brauchte einen Moment um ihre Freude zu unterdrücken. Dann erwiderte sie in einem leicht ärgerlich klingenden Tonfall: "Und ich werde gar nicht mehr gefragt?"

      "Pardon, wollen Sie also?"

      "Ein paar Fragen hätte ich schon noch."

      "Selbstverständlich."

      "Da Sie mich wegen meiner ganz speziellen Fachkenntnisse hier haben möchten, darf ich wohl annehmen, dass Sie nicht von mir erwarten, wie eine Kriminalistin tätig zu sein. Es geht Ihnen hoffentlich nicht darum, dass ich durch Einsatz meiner Fachkenntnisse konkrete Personen denunziere, die für das Chaos verantwortlich sein könnten, von dem Sie eben gesprochen haben?"

      "Die Frage habe ich von Ihnen erwartet, Frau Dr. Hofknecht. Ich will mit offenen Karten spielen. Von Ihren Teamkollegen muss ich erwarten, dass sie Namen nennen, wenn sie innerhalb ihrer dienstlichen Aufgabe zu dem Ergebnis gekommen sind, dieser oder jener, diese oder jene habe die Absicht oder nehme grob fahrlässig in Kauf, unserem Staat Schaden zuzufügen. Das nenne ich nicht denunzieren. Das ist für mich eine Dienstpflicht. Von Ihnen möchte ich derartiges aber nicht verlangen. Von Ihnen verspreche ich mir etwas anderes. Ich möchte aus der Sicht einer Psychologin und Expertin für Kommunikationsstörungen in Großorganisationen wissen, wie es zu solchen Erscheinungen kommen konnte, welche Gefahren sich für die Zukunft aus der bereits eingetretenen Entwicklung ergeben und was Ihrer Meinung nach getan werden muss, um diesen Gefahren zu begegnen."

      "Sie denken an eine Art von Bestandsaufnahme über alle Befindlichkeiten, Einstellungen und Kommunikationsgewohnheiten im Regierungsapparat, die zu einem Verhalten führen könnten, das nach Ihrer Ansicht gefährlich für den Staat werden kann? Ehrlich gesagt, das klingt mir ziemlich nach Stasi. Das können Sie doch nicht ernsthaft von mir erwarten, Herr Ministerialdirektor." Vera war verärgert und sah ihre Felle wieder davonschwimmen.

      In der nächsten halben Stunde gelang es dem Abteilungsleiter, Veras Bedenken so weit auszuräumen, dass sie im Prinzip zusagte. Er versicherte ihr feierlich, ihre Arbeitsergebnisse würden losgelöst von konkreten Personen und Strukturen für allgemeine korrigierende Maßnahmen verwendet. Und zu ihrer eigenen Überraschung glaubte sie ihm aufs Wort. Stein für Stein trug er die Mauer ihrer Skepsis mit seiner ernsthaften Argumentationsweise ab, bis ihr die Argumente gegen sein Ansinnen ausgingen. Trotzdem blieb ein Rest von Unbehagen. Vera ertappte sich, wie sie auf ihrer Unterlippe herumbiss. Ein starker Impuls warnte sie, sich in eine Situation zu begeben, in der sie trotz aller Zusicherungen mit Grundsätzen ihrer Berufs- und Lebensauffassung in Konflikt geraten könnte. Busch sah schweigend an ihr vorbei ins Leere. Plötzlich nahm sie den Gegenimpuls wahr: Denen muss man es zeigen! Wer zwingt dich denn, deine Feststellungen ausnahmslos und ungefiltert weiterzugeben! - Verdammt noch mal, diese Herausforderung musst du annehmen! Ihre weiteren Fragen gehörten nur noch zu dem Nachhutgefecht dieses eigenartig verschwörerischen Einstellungsgesprächs. "Welche Zeitvorstellungen haben Sie und wie sind die finanziellen Konditionen, Herr Busch?"

      "Beginn praktisch sofort, also morgen früh, Ende spätestens in drei Monaten. Wenn Sie und Ihre Kollegen, mit denen ich Sie morgen bekanntmachen werde, bis dahin kein Ergebnis vorweisen können, wird die Aktion abgebrochen. Mir stehen nur begrenzte Mittel zur Verfügung."

      "Und die finanziellen Konditionen?“

      "An Ihrer Einstufung können wir nichts ändern. Sie erhalten für die Dauer der Abordnung natürlich das übliche Trennungsgeld und eine Zulage, die wir aus haushaltstechnischen Gründen als Gefahrenzulage deklarieren müssen, von 500 Mark monatlich. Sie wissen ja, die Bundeskassen sind leer."

      "Sie haben mich überredet, Herr Busch."

      4

      Als die Lufthansabedienstete in Tegel ihn in der freundlich-bestimmten Art des Bodenpersonals aufforderte, den Laptop als Gepäck aufzugeben, wäre er am liebsten zurückgesprungen, um mit dem Privatwagen nach Bonn zu fahren. Aber die dienstlichen Komplikationen und die privaten Turbulenzen, die er damit heraufbeschwören würde, waren ihm sofort gegenwärtig. So verharrte er resigniert am Schalter und legte seinen Laptop behutsam auf das Förderband. Dabei kam ihm der missglückte Kalauer eines früheren Treuhand-Kollegen in den Sinn: ‘Geh'n wir hier alle ex und hop, der Dietmar bleibt mit Lap ganz top.‘ Diese ironische Prognose hatte sich als falsch und richtig zugleich erwiesen. Als die Treuhandanstalt in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben umbenannt und das Personal drastisch reduziert wurde, hatte es zwar auch ihn getroffen. Er war jedoch weich aufgefangen worden. Das Bundesvermögensamt übernahm ihn nahtlos. Allem Anschein nach war sein Ruf als Experte für besonders knifflige Datenverarbeitungsprobleme seiner auf Verdacht losgeschickten Bewerbung vorausgeeilt. In seinem Bewerbungsschreiben hatte er seine erfolgreiche Tätigkeit in der Sonderermittlungsgruppe gegen Vereinigungskriminalität wohlweislich nicht besonders hervorgehoben. Nach der überraschenden Auflösung der Gruppe war nicht abzusehen gewesen, wie die dem Bundesfinanzministerium nachgeordneten Behörden und Anstalten diese heikle Tätigkeit einschätzten. Später hatte er dann zufällig erfahren, dass sein Treuhand-Abteilungsleiter ihm das Feld beim Bundesvermögensamt bestens vorbereitet hatte. Eine weitere positive Überraschung hatte der ehemalige NVA-Offizier erlebt, als sein neuer Dienststellenleiter ihm die Übernahme in das Beamtenverhältnis anbot. Die Auskunft bei der Gauck-Behörde hatte nichts ergeben, was nicht bereits bekannt war. Man hatte sich anscheinend nicht dafür interessiert, welche Einstellung zur DDR er vor der Wende gehabt hatte. Und seine jetzige Einstellung hatte er offenbar so glaubwürdig vermitteln können, dass keine Zweifel an seiner Verfassungstreue verblieben waren. So durfte er sich seit einem knappen Jahr Regierungsoberinspektor nennen.

      Das Flugzeug war nur spärlich besetzt. Er wunderte sich nicht, dass an