Meike Scharff

Laufet, so werdet ihr finden


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das Buch „Mit einem Kühlschrank durch Irland“ viel besser, wo ein Engländer zusammen mit dem Elektrogerät einmal um die grüne Insel trampt. Der Katzenpilger verschwindet nach kurzem Stopp wieder. Als die Terrasse nicht mehr in der Sonne liegt, verlasse ich das Café.

      Auf dem Rückweg zur Herberge mache ich einen kleinen Schlenker zum Supermarkt, der etwa so groß wie mein Wohnzimmer ist. Die Verkäuferin wickelt mir ein großes Stück Käse ein, außerdem kaufe ich Nudeln und Tomatensoße.

      In der Herberge sind fünf weitere Pilger angekommen. Vier packen gerade ihren Rucksack aus, und eine Frau scheint zu schlafen. Ich koche jetzt meine Nudeln. Während die Nudeln gar werden, lese ich auf dem Gartenstuhl im Faust. Bevor ich in die Küche zurückgehe, um die Spaghetti umzurühren, drehe ich den Faust um, sodass die Rückseite oben liegt. Mir ist unangenehm, dass jemand sehen könnte, was für eine „gebildete“ Lektüre ich mir vornehme. Sofort finde ich mich albern – und wende das Buch daher wieder richtig herum. Als ich wenig später aus der Küche komme, sitzt ein etwa vierzigjähriger Mann im Garten. Er spricht mich auf Deutsch an und stellt sich als Bruno aus Baden-Württemberg vor. Er deutet erfreut auf das Büchlein und zeigt mir seinen Ebook-Reader, auf dem er Goethes Faust geladen hat. Erfreut, dass ich mein Buch nicht versteckt habe, plaudere ich ein bisschen. Bruno fragt ohne große Umschweife: „Warum läufst du?“

      Ich erzähle kurz von meiner Arbeitsstelle.

      Mittlerweile ist die Herberge noch voller geworden. Bruno erzählt mir, dass die anderen abends in dem Restaurant am Ortseingang essen wollen. Ich beschließe mitzugehen und nur etwas zu trinken.

      In dem Restaurant setzen wir uns an einen langen Tisch. Neben mir sitzt Bruno, gegenüber Gabi aus der Schweiz, die mit ihrer spanischen Nachbarin Französisch spricht. Am anderen Ende des Tisches wird auf Englisch gelacht.

      Ich berichte kurz von meinen Schmerzen.

      „Ich habe heute Sylvia und Sylvia überholt“, Bruno grinst, „das sind zwei sächsische Krankenschwestern, die beide im selben Krankenhaus arbeiten. Die lassen es auch ganz ruhig angehen. Falls du unterwegs nicht mehr kannst, holen die dich bestimmt ein und verarzten dich.“

      Ich muss bei der Schilderung lachen.

      Gabi sieht mich an „Hast du Ibuprofen dabei?“

      Genau das steht zwar auf meiner Packliste aus dem Internet, aber ich habe nicht damit gerechnet, sie zu brauchen.

      Als ich um kurz vor 22 Uhr in mein Bett schlüpfe, das direkt neben Gabis steht, reicht sie mir eine Ibuprofen Tablette. „Am besten, du nimmst gleich eine, die haben auch eine entzündungshemmende Wirkung“, sagt sie und gibt mir noch drei weitere Tabletten für den vor mir liegenden Weg. Ohne lange nachzudenken, schlucke ich dankbar eine, verstopfe meine Ohren mit Ohropax und knipse dann die Taschenlampe aus. Wegen der Kälte verschwinde ich auch mit den Armen im Schlafsack.

      In der Nacht schlafe ich unruhig, einmal wache ich auf, weil meine Schulter aus dem Schlafsack ragte und zu kalt geworden ist. Mein linkes Bein schmerzt bei jedem Umdrehen.

       Tag 6 - 30. März 2012: Itero de la Vega

      Gleich beim Aufwachen bewege ich mein linkes Bein und stelle fest, dass es unverändert schmerzt. Ich mache mir Sorgen, muss ich zukünftige Streckenabschnitte mit dem Bus fahren oder meinen Pilgerweg sogar ganz abbrechen? Ich denke darüber nach – bevor ich abreise, kann ich die Schmerzen besser zwei Wochen lang in Spanien auskurieren. „Zeit haben“ ist doch mein Motto auf dem Jakobsweg. Vielleicht kann ich in der Zwischenzeit Spanischunterricht nehmen. Es wäre schön, eine neue Fremdsprache zu lernen. Also warte ich erst mal ab und beobachte, wie sich die Situation entwickelt.

      Zum Frühstück esse ich ein paar Kekse und Brot mit Marmelade, die einer der Franzosen mir anbietet. Dann nehme ich eine Tablette und starte auf die heutige Etappe.

      Ängstlich setze ich einen Fuß vor den anderen – erleichtert merke ich, dass es ohne große Schmerzen geht. Die Bäume beginnen zu grünen, ich freue mich über den Frühling. Ich denke an Ralph, der mir sein Navi mit spanischen Wanderkarten angeboten hat. Die brauche ich hier definitiv nicht, der Weg ist deutlich durch gelbe Pfeile ausgeschildert. Trotzdem freue ich mich noch jetzt über sein Angebot. Vielleicht hat er nach meiner Rückkehr Interesse, ein Blick in mein Reisetagebuch zu werfen?

      Als ich an einer kleinen Kapelle vorbeikomme, stoppe ich. Sie ist verschlossen, ich kann durch ein Gitter in den Altarraum hineinsehen. Ich hole einen Zettel mit einem Gebet aus meinem Rucksack und spreche es leise.

      Herr, führe mich dahin, wo du mich haben willst.

      Zeig du mir die Menschen, die ich treffen soll,

      sag mir, die Worte, die ich sprechen soll

      und hilf mir, dass ich dir nicht im Weg stehe.

      Dieses Gebet kenne ich, seit ich schon vor ein paar Wochen von der ungeliebten Arbeitsstelle wegversetzt werden sollte. Personalchef und Abteilungsleiter sind einverstanden gewesen. Es fehlte aber immer noch eine Genehmigung der Geschäftsleitung, woraufhin ich beschlossen habe, Gott um Hilfe zu bitten.

      Seit Jahren hatte ich kein persönlich formuliertes Gebet mehr gesprochen und deshalb im Internet nach einem geeigneten Text gesucht.

      Das Gebet mit dem Wunsch nach Gottes Führung hat mich spontan angesprochen, weil ich damit nicht für meine präferierte Lösung bete, sondern generell auf Gott vertraue.

      Tatsächlich hat es aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen mit der Versetzung nicht geklappt. Stattdessen wurde ich aufgefordert, mich auf eine weitere Stelle schriftlich zu bewerben, was ich dann direkt vor meiner Abreise auch getan habe.

      Auch hier auf dem Camino finde ich dieses Gebet sehr passend. Ich bin zwar mit einem klaren Ziel gestartet, jetzt sind aber durch die Schmerzen Hindernisse aufgetaucht. Nicht wenige Pilger brechen den Jakobsweg wieder ab - möglicherweise führt mein Weg nicht bis nach Santiago. Vielleicht ist die Strecke einfach zu weit für mich. Wichtig finde ich nur, dass ich meinen persönlichen Weg gehe. Hier auf dem Jakobsweg, genauso wie in meinem weiteren Leben.

      Um halb elf komme ich in Boadilla del Camino an. Dank der Tablette bin ich jetzt schmerzfrei und völlig in meine Bewegung vertieft. Das Gehen bringt Spaß, ich möchte gar nicht mehr damit aufhören. Gestern habe ich gedacht, dass dieser Ort mein heutiges Etappenende sei, jetzt möchte ich am liebsten bis Frómista weiterlaufen. Ich habe mir also wieder viel zu viel Sorgen gemacht, über Dinge, die gar nicht eintreffen.

      Jetzt kommt mir alles unkompliziert vor. Einfach eine Tablette nehmen - und alles ist gut. Mein übliches Widerstreben gegen Schmerzmittel versuche ich wegzuschieben. Raten die Ärzte nicht meist, man solle lieber eine Schmerztablette nehmen, bevor man in eine Schonhaltung geht? Ruhigstellen ist nicht mehr modern, heutzutage wird moderate Bewegung empfohlen. In Anbetracht dessen, dass die meisten Männer, die ich hier treffe, dreißig Kilometer am Tag laufen, deklariere ich mein heutiges Pensum bis Frómista von 14,7 Kilometern großzügig als mäßige Belastung.

      Auf meinem weiteren Weg passiere ich eine Kirche mit Storchennest obenauf. Der braune Turm hat ein sehr flaches Dach. Neben dem Kreuz sitzt der Storch in seinem Nest.

      Ich wandere eine ganze Weile an einem kleinen mit Schilf bewachsenen Kanal entlang, dem „Canal de Castilla“. Ich befinde mich auf dem alten Treidelpfad. Ein Glück, dass ich nur meinen Rucksack tragen muss und kein Schiff hinter mir her ziehe.

      Als ich mein Handy einschalte, summt es kurze Zeit später zweimal. Meine Mutter schreibt mir eine aufgeregte SMS. Offenbar haben meine Eltern einen Anruf mit der Frage bekommen, ob sie ein R-Gespräch annehmen wollen. Wie meine Mutter in ihrer zweiten Nachricht dann geschrieben hat, hat sie mittlerweile über das Internet herausgefunden, dass es sich um Telefonnepp handelt. Ich schreibe zurück, dass alles in Ordnung ist. Prompt bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil die SMS schon von gestern Abend stammt, woraufhin sie sich nun einige Zeit Sorgen gemacht hat. Gleichzeitig ärgere ich mich