Brigitte Brandl

Malverde


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der Mann nickte eifrig mit dem Kopf, „jaja, der Bürgermeister! Ist ihm zu groß und zu sperrig geworden, sein schönes Baby!“ Lachend klopfte er auf den Kühler. „Man wird eben doch alt, und da treibt man es nicht mehr so wild. Das können Sie aber nicht verstehen, hijo, Sie sind ja noch so jung!“

      Ohne den Mann anzusehen entgegnete Piet, der Wagen habe nicht dem Bürgermeister gehört.

      Der Mann riss die Augen auf. „Wem dann?“

      „Jemandem, den ich gut kannte.“

      Piet holte tief Luft. Dann be­schwor er den Autovermieter, mit ihm zusammen rüber ins Flughafengebäude zu einer Bank zu gehen. Er würde ihm jeden Preis für den Buick zahlen, den er haben wolle, denn er brau­che diesen Wagen, unbedingt. Doch der Autovermieter ließ sich nicht beirren. Er entschuldigte sich er­neut und betonte, wie außerordentlich er es bedaure, aber den Wagen bekäme sein Sohn.

      Lober stand da, hielt seinen Rucksack umklammert und stierte auf den Boden. Er sah, wie sein Blick immer mehr ver­schwamm. Dann presste er heraus: „Bitte geben Sie mir den Wa­gen, er ist alles was mir geblieben ist.“ Nun war es ihm egal, ob der Autovermieter ihn heulen sah oder nicht.

      Verlegen kramte der Mann in seiner Hosentasche und zog ein zerdrücktes Zigarettenpäckchen hervor. Mit zitternden Fingern zog er eine Zigarette heraus, zündete sie an und nahm einen tiefen Zug, als erwarte er sich von dem Tabak die Lösung seines Problems.

      „Ihr Sohn kann einen viel besseren Wagen haben,“ fuhr Piet mit zitternder Stimme fort, „dieser hier machts eh nicht mehr lange.“

      „Der machts noch sehr lange, junger Freund! Er hat 5 Gringo-Prä­sidenten überlebt, da wird ihm so ein bisschen Straße nichts anhaben können.“ Der Mann lachte bitter.

      Piet fragte leise: „Bitte - haben Sie mir auch eine Zigarette?“

      Er hatte seit drei Jahren nicht mehr geraucht. Doch jetzt verspürte er ein so tiefes Verlangen danach, dass er nicht darüber nachdachte. Eine Weile standen sie nebeneinander, schwei­gend, rauchend, verbündet durch etwas qualmenden Tabak in einem Papierröllchen - und durch große Ge­fühle. Wie zwei Idio­ten.

      Piet sah einer Maschine nach, die majestätisch über dem Flughafen einschwebte. Eine andere startete, und von der gegen­überliegenden Seite der Straße buhlten die Taxifahrer mit Geschrei um Fahrgäste. Lieferwagen hupten und dräng­ten sich durch die Taxis. Um das Geschehen herum lag die Ebene und in der Ferne erhoben sich die Berge, grün und still, als wollten sie zeigen, wie gleichgültig ihnen das alles hier war.

      Lober drehte sich zu dem Mann. Der hatte gerade die Ziga­rette auf den Boden geworfen, trat sie aus und warf sich in die Brust.

      „Wieviel wollten Sie zahlen, Señor?“

      Piet reagierte sofort und versicherte dem Mann, er würde zahlen, soviel dieser wolle. Durch ein gutes Geschäft zuhause habe er nun Geld, und er riet dem Mann, für sei­nen Sohn einen Volkswagen zu kau­fen, der komme aus Deutschland, „wie ich selbst“. Ein Volkswagen sei etwas Beson­deres, und er würde die schönste Schwiegertochter der Stadt bekommen. Gleichzeitig war Piet klar, dass er hier großen Blödsinn redete.

      Der Autovermieter grinste gequält. „Vamos,“ seufzte er.

      Piet hielt die Luft an, als er den Motor startete. Da war es wieder, genau dieses Geräusch! Der satte, dunkle Ton des großen Achtzylinders; was brauchte der alte Kasten für eine Unmenge an Sprit, vor allem, wenn jemand so fuhr wie Acacio!

      Acacio! Piet trat aufs Gaspedal und fuhr vom Hof, ohne sich um­zudrehen. Hugo, mentiroso, du Lügner, dachte er bitter, lass dir was Gutes einfallen, ich bin in sechs Stunden da!

      Wie gut er diese Straße kannte! Sie führt von der Haupt­stadt ins Hochland, durch die Kaffeeplantagen und durch den Dschungel, vorbei an den kleinen Dörfern der indi­genas und den Unterkünften für die Arbeiter in den Smaragd­minen. „Die Straße verbindet die Leben des Landes, wie eine immerwährende Hoffnung, zwar steinig, aber vorhan­den,“ hatte Aca­cio ge­sagt. „Die Leute le­ben von ihr, sie hält ihre Träume wach. Ein­mal kommt auf dieser Straße das Glück: eine Arbeit, ein Arzt, eine Frau, ein Mann! Weißt du, Pedro, es kommen aber auch so viele, die diesen Menschen hier sagen wollen, wie das Leben ist, nur, weil sie Europäer oder Gringos sind und auf großen Schulen waren. Aber die Leute hier sind es, die das Le­ben ken­nen, die mit dem leben, was um sie herum ist, was schon im­mer da war und immer da sein wird. Wenn ein Mann Arbeit in einer Mine bekommt, wird er sich krumm schuften. Das Gift wird ihm die Hände zerfressen und die Lungen, aber nie­mals seine Seele. Doch das nützt weder ihm, noch seiner Frau, noch seinen Kindern; es nützt nur der Minengesellschaft. Wenn die Leute ihre Kinder nicht in die Schule schicken, dann tun sie das, weil sie nur überleben können, wenn die Kin­der mitarbeiten in den Coca-Plantagen. Nur dann haben die Fami­lien genug zu es­sen, und es ist ihnen egal, ob ein paar reiche US-Kids an den Drogen von hier verrecken. Wenn du siehst, dass die, die du un­endlich liebst, leiden, dann interessiert es dich nicht, dass eine satte Regierung mit satten Ministern und vielen Pesos fünf Jahre Jahre Schulpflicht haben will, um der ganzen Welt zu zeigen, wie viel sie für ihr Volk tut. Dabei tut sie alles nur für sich sel­ber. Dann schickst du deine Kinder in die Coca-Plantage und scheißt auf die Regierung.

       Acacio! Acacio!

      Piet spürte wie die Tränen zurückkamen. Nur mit Mühe konnte er den Wagen auf der Straße halten, und er versuchte verzweifelt, die schlimmen Ge­danken aus seinem Kopf zu vertreiben. Aber er traute sich nicht einmal, die Musik einzuschalten. Womöglich war die gleiche Kassette noch drin, wer sollte sie auch raus genommen haben?

      Was, wenn die Geschichte mit dem Unfall gar nicht stimmte? Wenn Acacio noch lebte? Den Wagen gab es ja auch noch! Und das ist Acacios Wagen, da war Piet sich ganz sicher. Hatte Acacio Ana geheiratet? Oder war er zu Valderrama übergelaufen oder zu Gabriels Guerilleros? Hatte er jemand umgebracht und war dafür lebenslang verurteilt worden? Hatten ihn die Rebel­len entführt? Warum hatte Hugo überhaupt angerufen - und: warum hatte eigentlich Hugo angerufen und nicht Don Raúl?

      In diesem Moment ergriff ihn eine große Angst, dass am Ende der Fahrt etwas Schreckliches auf ihn wartete. Oder gab es doch eine ganz einfache Erklärung? Nein, eine ganz einfache Erklärung dafür, warum ein Auto völlig un­versehrt bei einem Ver­mieter in Bogotá steht, obwohl es sich kurz zuvor zweimal über­schlagen haben soll, gab es nicht! Und Hugo hat­te diesen Wa­gen gemeint! Er hatte ja davon gesprochen, dass der Wagen alt sei und nicht mehr so stabil, also konnte Acacio nicht mit einem anderen Wagen verunglückt sein.

      Lober gab Gas. Er musste das jetzt durchziehen. Die Reise hatte eine neue Bedeutung bekommen. War es vorher noch die Trauer gewesen, die ihn hierhin zurück getrieben hatte, so war es jetzt etwas, das entweder in der Glückseligkeit oder in einer Ka­tastrophe enden konnte.

      3

      Auf einmal war alles wieder da. Wie damals, vor einem halben Jahr.

      Er kam aus der An­kunftshalle, voller Entschlossenheit und voller Erwar­tung seiner neuen Aufgabe, von der so viel für ihn abhing. Er war unangenehm überrascht von dem Gestank der Abgase, der ihm die Tränen in die Augen trieb, und von dem Lärm der Motoren, der Hupen und der scheppern­den Durchsagen aus den Lautsprechern. Statt dass der Fahrer, den Professor Morales hatte schicken wollen, mit ei­nem Namensschild in der Ankunftshalle stehen würde, hatte man ihn gebeten, vor dem Terminal zu warten. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er in einer Groß­stadt gelandet war; trotzdem kam ihm die kolumbia­nische Hauptstadt gar nicht vor wie eine der Metro­polen, die er kann­te, und in denen er sich sofort zurecht gefun­den hat­te. Er fühlte sich unbehaglich, und er umklam­merte den Trageriemen seiner Reisetasche. Unruhig schau­te er um sich, ob nicht doch irgendwo ein uni­formierter Fahrer mit dem Namensschild stand, aber hier liefen die Leute achtlos an ihm vorbei. Wenn ihn einer anrempelte, gab es ein flüchti­ges perdón, sonst nichts. Die einzigen, die ihn ansprachen, waren die Taxifah­rer