Brigitte Brandl

Malverde


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einmal dreißig Jahren zum erlauchten Kreis jener hoffnungsvol­len Elite zählte, vor der die moderne Wissenschaft den roten Teppich ausrollt. Hier interessierte es niemand, dass er dem­nächst wohl Deutsch­lands jüngster Professor und ein paar Jahre spä­ter Nach­folger auf einem der begehr­testen Lehr­stühle sein wür­de; hier interessierte sich offenbar kein Mensch für ihn. Er griff in seiner Jacke nach seinem Mobiltele­fon und suchte Professor Morales' Nummer. Es konnte doch nicht sein, dass man ihn vergessen hat­te!

      Schließlich fuhr der Wagen vor. Ein Buick Convertible aus den Siebzigern, ein Riesenschlitten, ockergelb, mit breiten blauen und roten Streifen an den Seiten: lackiert in den Landes­farben! Er fuhr sehr langsam, obwohl die Straße frei war, und er sah aus wie ein vergessenes Requisit aus einem Hollywoodfilm. Auch die Taxifahrer machten ihre Bemerkungen zu dem ungewöhnlichen Gefährt, das jetzt in einer der Parkbuchten angehal­ten hatte. Piet musterte den Wagen mit ungläubigem Interesse, zu­mal der junge Mann am Steuer auch noch zu ihm herüber­sah. Dann stieg er aus und schlenderte auf Lober zu, lässig, als wolle er Piet zeigen, dass man sich hier auch beim Abholen wichtiger Persönlichkeiten Zeit nahm. Die lan­gen Haare wehten im Wind, genauso wie sein dünnes Hemd.

      Ob er Señor Piet Lober de Hamburgo sei, sprach er Piet an, ohne die Sonnenbrille abzunehmen. Nach­dem Lober seine nicht wirklich freudige Überraschung überwun­den und die Frage mit einem eher gestammelten „“ beant­wortet hatte, sagte der Fahrer des bunten Wagens:

      „Ich bin Acacio Varela. Morales hat mich geschickt, um dafür zu sorgen, dass man Ihnen hier nicht den Hintern abschießt, dóctor. Dabei grinste er breit und entblößte eine Reihe makelloser Zähne.

      Piet starrte ihn an. Nicht genug, dass es ihn schon ärgerte, mit welch seltsamem Vehikel man hier seine wissen­schaftlichen Gäste abzuholen pflegte, auch diese Person hier war nicht unbedingt das, was er erwartet hatte! Piet war nie um eine Antwort verlegen gewe­sen, doch auf diese Begrü­ßung fiel im nichts ein.

      Der junge Kolumbianer nahm die Sonnenbrille ab; Lober blickte in funkelnde, dunkelbraune Augen. Der Junge hielt ihm sei­ne Hand hin und sagte in deutlich gemäßigterem Ton:

      „Kleiner Scherz. Willkommen in Kolumbien.“

      Lober stotterte ein gracias und ärgerte sich über seinen verlorenen Punkt. Warum war ihm nichts eingefallen? Wie vie­le dümmliche Kommentare hatte er während seiner Vorträge lässig mit einem Spruch pariert und für ent­spannte Heiter­keit un­ter denen gesorgt, die seine Sprache sprachen? Jetzt ge­rade hatte er sich wie ein Idiot benommen.

      Acacio drehte sich um und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, ihm zum Wagen zu folgen. Lober sah nach unten auf seine Taschen. Sie standen am Platz. Er hob den Kopf und sah zu dem Ko­lumbianer, aber der schlenderte schon wieder Richtung Wagen, wohl in der si­cheren Annahme, dass Piet ihm folgen würde. Der Deut­sche holte tief Luft, hob sein Gepäck vom Bo­den und stapfte zu dem Buick.

      Die Universität würde ihm einen Fahrer schicken, hatte Professor Morales gesagt. Der würde ihn die ganze Zeit über im Hoch­land begleiten und ihm helfen. Statt des Fahrers war ein unge­zogener Wilder in Schlabberklamotten gekommen, der ihn sein Gepäck schleppen ließ wie ein Rucksack­tourist. Wenigstens öff­nete er den Kofferraum des alten Cabrio­lets, ohne freilich auch nur die kleinste Anstalt zu ma­chen, Piet beim Einla­den zu helfen. Stattdessen stieg er ein, startete den Motor und vergewisserte sich mit einem schnellen Seitenblick, dass sein Fahrgast neben ihm saß.

      Schweigend fuhren sie los. Acacio Varela schien es nicht zu interessieren, ob Lober der Verkehrslärm und die Abgase störten und er viel­leicht lieber das Verdeck geschlossen hätte, oder dass sein Fahr­gast beunruhigt um sich sah und feststellte, dass es keine Si­cherheitsgurte gab. Er drückte aufs Gas, und das alte Vehikel brummte kraftvoll auf. Der Schub drückte Lober in den Sitz, und seine Hand klammerte sich am Türrahmen fest.

      Acacio lachte. „Hier musst du so fahren, rubio, sonst nehmen sie dich ausein­ander. Die Gringos sind die Schlimmsten. Sie mieten sich feine Wa­gen, und dann fliegen sie in der zweiten Kurve von der Stra­ße. Weil sie nicht wissen, dass wir hier auch beim Autofah­ren die Stärkeren sind.“

      Lober antwortete nicht. Seine Wut wurde immer größer, und am meisten ärgerte er sich über sich selber. Er musterte den Einheimischen neben ihm wie ein widerliches Insekt. Lässig grinsend saß Acacio hinterm Lenkrad, den Arm auf den Rahmen gelegt und wiegte den Kopf im Takt der Musik, als säße er allein im Auto. Er hatte ein feines, fast schon edles Pro­fil, und sein Haar glänzte in der Sonne, pechschwarz. Seine Hän­de waren schmal, feingliedrig und sauber; Lober kam es vor, als gehörten diese Hände zu einem anderen Menschen als zu die­sem unge­hobelten Kerl, der wohl auch noch deutlich jün­ger war als er selbst.

      Sie fuhren vom Gelände des Flughafens hinunter auf die Avenida, die aus der Stadt hinaus führte. Es war eine sechsspurige Stra­ße, auf der sich der Verkehr trotzdem gnadenlos staute. Schwere Geländewagen drängten an nebeneinander fahrenden Mopeds vorbei, und im Gewühl bewegten sich Menschen, die ihre Waren den genervten Fahrern zum Kauf anboten: bunte Fähnchen, Knabbergebäck oder Wasserflaschen. Immer wieder passierten sie bun­te, offene Busse, in de­nen Arbeiter in schmutzigen Kleidern und schwatzende Haus­frauen saßen ge­nauso wie Kinder in piekfeinen Schuluniformen. Das Stadtzentrum mit seinen rostfarbenen Hochhäusern passierten sie in kurzer Zeit, und Lober sah ungläubig über den Rand der Karosserie auf kleine Schmiede- oder Schreinerbetriebe, Autowerkstätten, Reinigungen und dann auf eine Menge Blumenläden, die prächtig geflochtene Kränze feilboten. Ein Schild verwies auf das Cementerio Central. Keine breiten Boulevards, wo fein gekleidete Geschäftsleute mit dem Mobiltelefon am Ohr sich den Weg durch den Stau bahnten, keine Arkaden mit Luxusgeschäften, das Stadtzentrum von Bogotá erschien ihm gerade so provinziell wie der Flughafen. Die Häuser am Straßenrand wur­den immer kleiner und ärmlicher, je weiter sie sich wieder vom Zentrum ent­fern­ten. Zwischen den Häusern waren Wäscheleinen ge­spannt, und über­all standen volle Mülltonnen. Doch es schien nie­mand zu inter­essieren, dass sie voll waren: was nicht mehr hin­ein passte, wurde einfach liegengelassen: Speisereste in Plastiktüten, Kar­tons, Flaschen, sogar Mö­bel. Schwärme von Insekten kreis­ten um die Müllberge, und in der Luft hing der säuerliche Ge­ruch von Fäulnis und Gärung. Hunde liefen herum und schnup­perten nach etwas Fressbarem, und ein paar Jungen kickten joh­lend mit Flaschen gegen eine Hauswand. Männer saßen vor den Häu­sern, meist eher not­dürftig zusammen ge­zimmerten Hütten, rauchten und sahen in einen Fernseher, der vor dem Haus auf dem Boden stand. Ihre Frauen tru­gen Klein­kinder ohne Hosen auf dem Arm.

      Wahr­scheinlich kam sein Mit­fahrer ja auch von hier, überlegte Lober, verdiente sich ein paar Pesos, in dem er für Morales Gäste vom Flughafen abholte, wenn der offizielle Fah­rer kurzfristig ausgefallen war. Sicher dachte man sich hier: besser ein abgerissener Typ mit einem bunten Amischlit­ten als gar kein Abholservice. Hier war man wohl nicht so professionell und so organisiert, wie Piet dies in New York oder Bethesda erlebt hatte! Bestimmt war es so. Sie kannten hier eben auch diese Höflichkeit nicht, mit der man Ausländern be­gegnet, die noch dazu in einer so wichtigen An­gelegenheit reis­ten. Wenigstens schien er den Wa­gen zu be­herrschen, obwohl Piet sich nicht sicher war, ob dies aufgrund eines rechtmäßig erworbe­nen Führerscheins war.

      Was solls, dachte er, ich werde ihm nach der Ankunft ein paar Scheine extra zustecken. Das muss dann aber auch genug sein! Trotz allem gelang es ihm nicht, dieses Ge­fühl der wü­tenden Ohnmacht loszuwerden, das die dreiste Be­grüßung des Kolumbianers bei ihm ausgelöst hatte.

      Der große Wagen brummte vor sich hin, und Piet sog geradezu gierig alle Ein­drücke vom Straßenrand in sich auf, nur um endlich diese brennende Wut loszu­werden. Er fürchtete nur noch mehr in die Defensive zu gelangen, und er fühlte sich missachtet, übervorteilt und al­leine.

      Bald war nur noch die Straße da, ab und zu ein paar vereinzelte Gebäude, und es ging bergauf. Noch wa­ren die Kak­teen an den Hängen sichtbar, manche über zwei Meter hoch, mit leuchtend gelben Blüten. Doch das dunkle Grün der Bäume wurde immer dominanter, und langsam schluckte es die gelben Kakteen. Nur wenige Fahrzeu­ge kamen ihnen entgegen. Meist waren es die bunten Busse, die hier den Fernverkehr